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# taz.de -- Vegane Burger, Springer-Lederloafers, Torstraßen-Brille und Snapch…
Ausgehen und Rumstehen
von Sascha Ehlert
Der Kater am Montagmorgen, der erste Blick auf den Monitor des Laptops. Was
war? Ach ja: „Veganer-Imbiss wird zu einem Fall für die Polizei“, wie ein
Link auf Facebook verkündet.
Samstag, 20.30 Uhr, kurz hinter der Deutschen Bank am Anfang der
Karl-Marx-Straße. Man hätte es besser wissen müssen, ist aber trotzdem zur
Eröffnung des Dandy Diner. Das sich auftuende Menschentableau hat was von
einer Block-Party: auf dem Gehweg kein Durchkommen, auf dem Mittelstreifen
auch alles voll, dazwischen hupende Autos. So weit, so gut eigentlich,
oder?
Ein veganer Schnellimbiss mit zartrosa Schwein als Wappentier direkt am
Hermannplatz. Den Großteil meines Lebens hätte ich nicht im Traum an so was
gedacht. Das Logo kann man, wenn man will, als Joke auf Kosten der
muslimischen Community verstehen, die dieses Viertel jahrzehntelang geprägt
hat und von Läden wie diesem verdrängt wird. Aber zu spät für Bedenken, ich
bin schon drin.
Vorhölle. Kurz glaubt man, in München zu sein. Ich weiche bekannten
Modebloggerinnen mit schnellen Hakenschlägen aus, versuche den
herumstehenden Springer-Journalisten Umsonstdrinks über die schnieken
Lederschuhe zu schütten und freue mich erst, als ich Yung Hurn treffe, der
hier heute noch auftreten soll. Wir kennen uns von einer durchzechten Nacht
in Wien, ohne ihn wäre ich wohl heute auf der Couch geblieben. Gemeinsam
mit Freunden warten wir auf seinen Auftritt, beißen in vegane Burger (die
schmecken trotz allem: gut), plündern das Alkohollager im Keller, sehen zu,
wie It-Man und Dandy-Diner-Besitzer Carl Jakob Haupt mit gewohnt
derangierter Miene ununterbrochen auf Tischen rumspringt und mit seinem
Smartphone für Snapchat 10-Sekunden-Filmchen macht und schließlich, wie die
Polizei die Veranstaltung auflöst.
Irgendwann hat sich endlich die Menschentraube vor dem Laden aufgelöst, die
Polizei ist abgezogen und Yung Hurn darf doch noch auf einen der Tische
klettern, „Fick die Polizei, ich hab nix dabei“ rappen und der geballten
Coolness vor der Bühne ein Gefühl von Rebellion verschaffen. Lotze sagt zu
mir: „Wir sind ja quasi auch schuld an so Läden.“ Neben uns einer, der
angeblich Bild-Reporter ist. Anzug, Lederloafers, Torstraßen-Brille,
stilsicherer Auftritt. Nach dem Auftritt greift er zum Handy und bestellt
das Kokstaxi zum Diner. Wundervoll.
Wir flüchten mit Elias’ T3 in Richtung Hermannstraße, und ich frage mich,
was genau schlimmer ist: dass ich auf Veranstaltungen hänge, die zwei Tage
später vom kompletten Springer-Portfolio abgefeiert werden – oder die
Tatsache, dass es mich überhaupt nicht mehr wundert, wenn neben mir einer
den Schneemann ruft.
Am vergangenen Dienstag bei der Filmpremiere von „Wild“ waren es die
Schauspieler, die in kleinen Grüppchen die Toilettenkabinen des Kino
International bevölkerten. Am Freitag bei „Meteoriten“ im Gorki: ein, zwei
Koks-Anspielungen auf der Bühne. Wenig später auf der Skalitzer Straße:
eine unangenehme Begegnung mit einem, dem ich das Schnuff in der Nase den
Augen abzulesen glaubte. Kokain war zwar immer mal wieder des Künstlers
Lieblingsdroge gewesen und ich kein Moralapostel.
Nichtsdestotrotz: Nicht nur bei Benjamin von Stuckrad-Barre scheint das
Weiße gerade unangenehm omnipräsent. Unangenehm auch deshalb, weil diese
Droge so schön zur momentanen Berliner Gemütslage passt: Wir schieben
unsere Egofilme, achten auf uns selbst und vielleicht noch auf unsere
Engsten, gehen aber ansonsten achselzuckend mit dem Umstand um, dass wir
uns unser eigenes Grab schaufeln, wenn wir den Ausverkauf unseres Zuhauses
zwar beklagen, aber dann doch wieder zu besoffen oder zu verkatert sind, um
dagegen etwas zu unternehmen. So wie’s mir halt auch geht.
19 Apr 2016
## AUTOREN
Sascha Ehlert
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