# taz.de -- Der Wahlkampf ist sicher | |
> 2017 Die GroKo hat die Altersarmut von Millionen Bundesbürgerinnen als | |
> Kampagnenthema entdeckt. Gut so – wenn konkrete Maßnahmen folgen | |
von Ursula Engelen-Kefer | |
Horst Seehofer ist immer für eine Überraschung gut. Diesmal könnte es eine | |
gute Nachricht für Arbeitnehmer und Rentner sein. Die Riesterrente, sagt | |
er, muss abgeschafft und das Rentenniveau wieder angehoben werden. | |
Finanziert werden soll dies aus einem Anstieg des Steuerzuschusses. Damit | |
kommt zum ersten Mal ein Vorschlag aus berufenem Munde der GroKo, mit dem | |
der drohenden Altersarmut nachhaltig begegnet werden könnte. | |
Allerdings gibt es einige gravierende Haken: Gesucht und gefunden wurde ein | |
Wahlkampfthema, das zuallererst von den Querelen der Schwesterparteien CDU | |
und CSU in der Flüchtlingspolitik ablenken und die herben Verluste des | |
Wahlvolks für die CDU rückgängig machen soll. Die Rentenversicherung ist | |
aber wegen ihrer Komplexität und Bedeutung am wenigsten als Ablenkungs- und | |
Wahlkampfmanöver geeignet. | |
## Bitte keine Schlammschlacht | |
Hierbei geht es um einen Eckpfeiler unseres Sozialstaats, der das Leben | |
eines großen und steigenden Teils unserer Bevölkerung mit Millionen | |
Rentnern betrifft. Für die Rentner, die Rentenversicherung und die | |
Gesellschaft insgesamt wäre es fatal, wenn die durch Beiträge von | |
jahrzehntelanger harter Arbeit erworbenen Rentenansprüche in wahltaktischen | |
Schlammschlachten zerrieben werden. SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel versucht | |
Seehofer lautstark mit der Forderung nach einer grundlegenden Rentenreform | |
zu übertreffen. Der Nachweis für die Glaubwürdigkeit dieser erneuten Wende | |
in seiner Rentenpolitik – vor dem Hintergrund dramatisch schlechter Wahl- | |
und Umfrageergebnisse – steht allerdings noch aus. Vor allem muss er dann | |
seine Enthaltsamkeit bei der Abschaffung der Riesterrente, der | |
Wiederanhebung des Rentenniveaus sowie zusätzlichen Steuern auf hohe | |
Einkommen, Vermögen, Kapitalerträge und Erbschaften aufgeben. Dies sind | |
entscheidende Schritte, wenn die SPD ihren Anspruch als Partei der sozialen | |
Gerechtigkeit aufrechterhalten will. | |
Die trotz der gegenwärtigen guten Entwicklung von Wirtschaft und Einkommen | |
und trotz Rentensteigerungen drohende Altersarmut ist seit Jahren bekannt | |
und hätte von der GroKo längst aufgegriffen werden müssen. Im | |
Koalitionsvertrag ist die Bekämpfung der Altersarmut zwar als Zielsetzung | |
der GroKo ausdrücklich genannt, jedoch wird dabei lediglich auf eine vage | |
solidarische Lebensleistungsrente abgestellt. Da als Termin hierfür das | |
Jahr der nächsten Bundestagswahlen 2017 genannt wird, kommt dies eher einer | |
„Beerdigung erster Klasse“ gleich. | |
## Merkel weiter neoliberal | |
Nach den diesbezüglichen Vorstellungen der Koalitionsparteien CDU/CSU und | |
SPD sind die bisher bekannten Konzepte mit hohen Hürden für den Zugang bei | |
der beitragspflichtigen Beschäftigung sowie dem Nachweis einer privaten | |
oder betrieblichen Altersversorgung verbunden. Zudem werden sie auf die | |
Grundsicherung angerechnet. Die betroffenen Menschen, vor allem | |
Rentnerinnen, können somit am wenigsten in den Genuss einer derartigen | |
Lebensleistungsrente kommen. | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die politische Handreichung, von der | |
Flüchtlingspolitik abzulenken, gern aufgegriffen. Auch sie will die | |
Rentenpolitik zu einem zentralen Thema im Bundestagswahlkampf machen. Im | |
Gegensatz zu Seehofer will sie dies allerdings nicht mit der Erhöhung des | |
Rentenniveaus, sondern mit dem Aufbau der privaten Zusatzrenten verbinden. | |
Damit würden die Ungerechtigkeiten und die Aushöhlung der gesetzlichen | |
Altersversorgung fortgesetzt. | |
Bis heute ist es nicht gelungen, die Undurchsichtigkeit der privaten | |
Zusatzversorgungssysteme sowie die teilweise skandalös hohen Gebühren zu | |
durchbrechen. Unseriöse und unhaltbare Versprechungen der privaten | |
Finanzbranche über angebliche Renditen der privaten Vorsorgeleistungen | |
schrecken gerade gering verdienende Menschen vor privaten Kapitalanlagen | |
zur Alterssicherung ab. | |
Bestehen bliebe der entscheidende Sündenfall der Riesterrente, die | |
Aushöhlung der paritätisch finanzierten gesetzlichen Rentenversicherung zu | |
Lasten der Arbeitnehmer. Nicht nur müssen sie die Riesterrente zusätzlich | |
zu ihren Beiträgen für die gesetzliche Altersrente bezahlen; auch erfolgt | |
gleichzeitig ein massiver Abbau der paritätisch von Arbeitgebern | |
mitfinanzierten gesetzlichen Altersrenten. | |
Dafür wurden die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gedeckelt, | |
auf 20 Prozent 2020 und 22 Prozent 2030. Entsprechend gesenkt wird das | |
Niveau der gesetzlichen Altersrenten, von etwa 54 Prozent Netto vor Steuern | |
2001 auf derzeit unter 48 Prozent. Bis 2030 wird ein weiterer drastischer | |
Abfall auf 43 Prozent erfolgen. Nach Hochrechnungen von Löhnen und | |
Rentenleistungen könnte bis 2030 für etwa die Hälfte der Altersrenten ein | |
Absturz auf Sozialhilfeniveau erfolgen. | |
## Gespaltene Gesellschaft | |
Auch nach 15 Jahren stagnieren die Riesterrenten bei etwa der Hälfte der | |
Arbeitnehmer. Darüber hinaus erfolgt eine weitere Spaltung in der | |
Gesellschaft. Vor allem Besserverdienende mit höheren Ansprüchen an | |
gesetzliche Alters- und zusätzliche Betriebsrenten haben Riesterverträge | |
abgeschlossen. Dabei können sie von der öffentlichen Förderung durch | |
Steuersubventionen am meisten profitieren. Hingegen haben diejenigen mit | |
geringen Löhnen und Renten weder eine betriebliche Altersversorgung noch | |
eine private Riesterrente. Trotz der öffentlichen Förderung haben sie am | |
wenigsten finanzielle Spielräume. Ihnen bleibt im Alter nach oft | |
jahrelanger harter Arbeit nur der Gang zum Sozialamt. Dies gilt vor allem | |
für viele Frauen. | |
Wenn Seehofer es mit seiner Volte gegen die „neoliberale Rentenpolitik“ | |
ernst meint, muss er alle politischen Register ziehen, um noch vor den | |
Bundestagswahlen im September 2017 eine derartige große Rentenreform auf | |
den Weg zu bringen. Dann wäre dies eine gute Botschaft für viele | |
Arbeitnehmer und Rentner. Zu finanzieren ist dies durch eine | |
belastungsgerechte Steuerpolitik und einen Abbau der hohen | |
Steuersubventionen für private Zusatzrenten. In jedem Fall ist zu | |
verhindern, dass Rentner gegen Flüchtlinge ausgespielt werden. | |
18 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Ursula Engelen-Kefer | |
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