# taz.de -- Vom Schweinestall ins Spielfilmstudio | |
> Retrospektive Das Œuvre von Filmemacher Heiner Carow verdient ein | |
> Revival. Das Zeughauskino zeigt nun nahezu das Gesamtwerk des | |
> Defa-Regisseurs, auch seine schlechten Filme. Warum gerade das so gut ist | |
Bild: Einer der erfolgreichsten Filme der DDR: „Die Legende von Paul und Paul… | |
von Claus Löser | |
Fast zwanzig Jahre lang bewahrte die Schnittmeisterin Evelyn Carow in ihrem | |
Arbeitsraum eine Kopie der Defa-Produktion „Die Russen kommen“. Der Film | |
ihres Mannes Heiner Carow war 1968 verboten worden. Der Vorwurf: | |
„Psychologisierung des Faschismus“. Auch hatte der Filmtitel wohl kurz | |
nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei die | |
falschen (bzw. richtigen) Assoziationen geweckt. | |
Die wahren Gründe für das Verbot lagen jedoch im Umstand, dass es bis dahin | |
keinen ostdeutschen Film gegeben hatte, der derart differenziert mit dem | |
eigenen Tätervolk umgegangen war. Hier gab es keinen positiven Helden; der | |
obligatorische antifaschistische Widerstand existierte nicht einmal in | |
Andeutungen. So war es wohl eher der Realismus des Stoffes (und nicht, wie | |
manchmal vermutet, seine Traumsequenzen und andere surreal wirkende | |
Einschübe), die dem Film den Garaus machten. Dabei hätte „Die Russen | |
kommen“ damals eine sehr wichtige Ergänzung zu Konrad Wolfs | |
autobiografischem Werk „Ich war neunzehn“ sein können, das im selben Jahr | |
in die Kinos kam und die Kriegserlebnisse aus der Sicht eines jungen | |
Sowjetsoldaten schilderte. | |
Carow wusste ebenfalls, wovon er erzählte: Er selbst sollte 1945 mit 16 | |
Jahren im letzten Aufgebot noch die Truppen der Roten Armee aufhalten. In | |
seinem Film geht es um einen Hitlerjungen, der sich in den letzten | |
Kriegstagen aus Abenteuerlust an der Jagd auf einen flüchtigen | |
„Ostarbeiter“ beteiligt, dabei unfreiwillig zum Handlanger der Mörder wird | |
und an der ihm mehr und mehr bewusst werdenden Schuld zerbricht. Nicht | |
genug, dass der Film der Öffentlichkeit vorenthalten wurde, Carow ließ sich | |
nach dem Verbot auch noch dazu überreden, Fragmente in einem | |
unappetitlichen Propagandafilm namens „Karriere“ (1971) zu verwenden. | |
Heiner Carow war kein Held und auch kein Dissident, doch sein Œuvre ist | |
unbedingt einer Wiederentdeckung wert. Es spiegeln sich darin Widersprüche, | |
wie sie für viele DDR-Künstler typisch waren. Schon als Schüler begann er | |
Theater zu spielen, tingelte mit einer Amateurtruppe über Dörfer in | |
Mecklenburg, nahm 1950 im Nachwuchsstudio der Defa eine Ausbildung auf (die | |
Filmhochschule in Babelsberg gab es noch nicht). | |
Im „Studio für populärwissenschaftliche Filme“ drehte er 1951 seinen erst… | |
Film. In „Bauern erfüllen den Plan“ ging es um höhere Effizienz in den | |
Schweineställen. 1957 gelang ihm mit dem Kinderfilm „Sheriff Teddy“ der | |
Wechsel zur Spielfilmregie. DDR-weit bekannt wurde 1966 mit dem | |
Ostsee-Abenteuer „Die Reise nach Sundevit“. Und 1972 konnte der Regisseur | |
für sich verbuchen, den einzigen wirklichen Defa-Kultfilm gemacht zu haben: | |
Die Liebes-Tragikomödie „Die Legende von Paul und Paula“ (Drehbuch: Ulrich | |
Plenzdorf) wurde in kurzer Zeit von 3 Millionen Zuschauern gesehen und wird | |
bis heute stark nachgefragt. | |
Aus heutiger Sicht erweist sich aber der 1975 entstandene „Ikarus“ als | |
künstlerisch reifster und kompromisslosester Spielfilm des Regisseurs. Auf | |
einem Roman von Klaus Schlesinger basierend und von ihm für das Kino | |
adaptiert, wird hier die Einsamkeit eines emotional vernachlässigten Kindes | |
beschrieben. | |
Die Lieder für das traurige, doch niemals rührselige Entfremdungsdrama | |
schrieb Bettina Wegener, die damalige Frau Schlesingers. In der kindlichen | |
Hauptrolle ist ein unglaublich intensiv spielender Peter Welz zu erleben. | |
Es ist immens wichtig, dass jetzt im Zeughaus auch die nicht so gelungenen | |
und politisch fragwürdigen Filme Heiner Carows zu sehen sind. Denn zu oft | |
werden beim Rückblick auf die ostdeutsche Filmgeschichte nur die relativ | |
wenigen herausragenden Beispiele gezeigt. Dabei vereinigen sich in den | |
Werkbiografien, ja mitunter in einzelnen Filmen, oft gegeneinander | |
arbeitende Energien, die zu teils paradoxen Ergebnissen führten. Doch nur | |
so ist die Absurdität der DDR zu begreifen. | |
In Carows „Sie nannten ihn Amigo“ (1959) beispielsweise wird eine zunächst | |
präzis und sensibel erzählte Geschichte um Jugendliche im NS-Alltag von | |
einer Szene gekrönt, die einen der Helden 20 Jahre später als stolzen | |
Kommandanten eines NVA-Panzers zeigt. | |
Der Regisseur ärgerte sich später selbst so stark über den | |
propagandistischen Epilog, dass er ihn eigenhändig aus einigen im Umlauf | |
befindlichen Kopien entfernt haben soll. Heiner Carow, der, wie fast alle | |
Defa-Regisseure bis zuletzt Mitglied der SED war, setzte sonst auf die | |
Kraft der langsamen Veränderung. Er unterstützte tatkräftig weitaus jüngere | |
KollegInnen wie Helke Misselwitz, Herwig Kipping oder Thomas Heise, war | |
Vizepräsident der Akademie der Künste der DDR und hoffte auf eine | |
Veränderung des Systems von innen heraus. | |
Sein letzter Defa-Film „Coming Out“ startete ausgerechnet am Abend des 9. | |
November 1989. Während der Premierenfeier lief das potentielle Publikum in | |
Scharen über die soeben geöffnete Grenze davon, die gesellschaftliche Basis | |
der verhandelten Konflikte wurde binnen Kürze obsolet. | |
Die Werkschau mit fast allen Filmen Heiner Carows ist noch bis zum 20. | |
April im Zeughauskino zu sehen | |
4 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Claus Löser | |
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