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# taz.de -- Schrotflinte und Hakenkreuz
> Prozess Heimtückisch und rassistisch: Im Fall des in Neukölln auf offener
> Straße erschossenen Briten sehen die Anwälte Parallelen zur Tötung von
> Burak B.
Der 31-jährige Brite Luke Holland verbringt den Samstagabend in einer
Neuköllner Bar. Er lässt den Stress der Arbeitswoche hinter sich und feiert
mit Freunden, die der Jurist in Berlin kennengelernt hat. Der
Oxford-Absolvent kam 2014 nach Berlin, um Start-ups zu beraten. Er bleibt
die ganze Nacht in der Bar, und als es draußen schon wieder hell wird, geht
Holland raus, um zu telefonieren. Als er sein Telefonat beendet, hält ihm
ein Mann eine Schrotflinte an den Bauch und drückt ab. Luke blutet stark
und stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus. Der Täter kann fliehen. Es ist
sechs Uhr morgens am 20. September 2015. Am Abend nimmt die Polizei einen
Verdächtigen fest.
Seit vergangener Woche läuft der Prozess gegen Rolf Z. aus Neukölln am
Berliner Landgericht. Laut Anklage soll er Luke Holland heimtückisch
getötet haben, doch mit welchem Motiv?
Lukes Eltern Rita und Philip Holland aus Manchester sind Nebenkläger im
Prozess. Ihre Anwälte Mehmet Daimagüler und Onur Özata halten es für
möglich, dass Luke sterben musste, weil er Englisch sprach. Rolf Z., der an
dem Abend auch in der Bar war, habe sich laut Zeugenaussagen negativ
darüber geäußert, dass dort kaum noch jemand Deutsch spreche. „Er wurde
ermordet, weil er nicht Deutsch sprach“, ist sich Rita Holland sicher.
Bei der Durchsuchung von Z.s Wohnung fanden die Ermittler eine
Hakenkreuzfahne und ein Hitler-Bild. Daher schließen die Nebenkläger ein
rassistisches Motiv nicht aus. Sie sehen auch Parallelen zum Fall Burak B.
vor vier Jahren. Damals schoss ein Unbekannter in Neukölln auf eine Gruppe
Jugendlicher und tötete den 22-jährigen Burak B. Schon damals gaben Zeugen
Hinweise auf Rolf Z.
Bei der Verhandlung am Montag trafen die Hollands nun auf den Mann, der
ihren Sohn getötet haben soll. Rolf Z., 63 Jahre, ein hagerer Mann mit
langen weißen Haaren und Vollbart. Er machte keine Aussage. Seine
Verteidiger Sebastian Schmidt und Daniel Lehnert sprachen umso mehr. Sie
ließen keine Chance ungenutzt, Staatsanwalt Michael von Hagen und die
Ermittler anzugreifen. Sie kritisierten die „dilettantischen Ermittlungen“
der Staatsanwaltschaft und forderten, die Anklage solle nicht verlesen
werden, da sie fehlerhaft sei. Weil die Eigenschaft der Heimtücke darin
nicht erklärt werde. Die Kammer wies ihre Anliegen zurück.
Die Polizisten, die Rolf Z. festnahmen, sagten als Erste aus. Schon morgens
am Tattag habe es Hinweise auf den mutmaßlichen Täter gegeben. Die Polizei
griff Z. aber erst gegen 21 Uhr auf. Er sei den ganzen Tag über auf einem
Mittelalterfest in Oranienburg gewesen, sagte er bei der Festnahme. Bei ihm
fanden die Ermittler tatsächlich eine Fahrkarte nach Oranienburg. Und das
Fest, so viel ist klar, fand wirklich statt. Für die Tatzeit hat der
Angeklagte allerdings kein Alibi.
Am Mittwoch, dem zweiten Prozesstag, verdichteten sich die Indizien gegen
Rolf Z. An den Händen des Angeklagten und an seiner Kleidung wurden
Schmauchspuren gefunden. Sie passen zu den Spuren an Lukes Wunden. An der
potenziellen Tatwaffe fanden Ermittler die DNA von Z. und einer unbekannten
Person. Die Schrotflinte wurde zwar in seiner Wohnung gefunden, aber nicht
bei ihm, sondern bei seiner Mitbewohnerin.
Die Verteidiger warfen ein, dass die Schmauchspuren an der Hand von Rolf Z.
auch von einem Schießstand auf dem Mittelalterfest stammen könnten. Der
Hinweis der Verteidigung blieb offen im Raum stehen. Bisher ist noch
unklar, ob es auf dem Fest überhaupt einen Schießstand gab.
Ob rassistischer Hintergrund oder nicht, die Hollands fordern eine gerechte
Strafe für den Mörder ihres Sohnes. Am Mittwoch sagten sie unter Tränen vor
dem Gericht aus: „Er war unser einziges Kind. Jetzt haben wir keine Zukunft
mehr“, sagte der 62-jährige Vater. „Luke liebte das Leben“, sagte die
Mutter.
Auch wenn sich die Indizien verdichten, bleiben Zweifel, die in den
nächsten acht Verhandlungstagen ausgeräumt werden müssen: Warum wurde die
Waffe bei der Mitbewohnerin gefunden? Hat sie etwas mit der Tat zu tun? Gab
es auf dem Mittelalterfest einen Schießstand? Am Montag wird der Prozess
fortgesetzt. Ein Urteil wird Ende April erwartet. Patrick Große
21 Mar 2016
## AUTOREN
Patrick Große
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