# taz.de -- Verhalten bis ungehalten | |
> ISLAM Die rechtspopulistischen Parteien in Dänemark, den Niederlanden und | |
> Italien wollen in ihren Ländern ebenfalls Volksentscheide zu | |
> Minarettbauten durchsetzen. EU-Politiker sind empört. Stimmen aus | |
> islamischen Ländern plädieren für Toleranz gegen Intoleranz | |
## EU-Kommission will sich nicht äußern | |
BRÜSSEL taz | Brüssels größte und schönste Moschee liegt im Jubelpark, nur | |
einen Steinwurf von den europäischen Institutionen entfernt, wo gestern die | |
Innen- und Justizminister der EU tagten. Der derzeitige Ratspräsident, | |
Schwedens Einwanderungsminister Tobias Billström, kritisierte die Vorgänge | |
in der Schweiz: „Es ist problematisch, wenn Politiker anfangen, über | |
Architektur zu entscheiden. Dafür sind wir wirklich nicht qualifiziert.“ In | |
Schweden sei eine solche Entscheidung kaum möglich, dort werde die | |
Religionsfreiheit hochgehalten. | |
Frankreichs Einwanderungsminister Luc Besson sagte vor dem Treffen in | |
Brüssel, der Islam dürfe in Europa nicht stigmatisiert werden. Die | |
österreichische Innenministerin Maria Fekter erklärte, in ihrem Land seien | |
Minarette durch die Religionsfreiheit geschützt. Letztlich obliege es aber | |
den Bundesländern, über Städteplanung und Baugenehmigungen zu entscheiden. | |
Die EU-Kommission wollte sich nicht zu den Vorgängen in der Schweiz äußern. | |
„Baurecht fällt vollständig in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Aber | |
sie sollten dabei so weit wie möglich die humanistischen Prinzipien | |
respektieren“, sagte ein Sprecher, der vergessen zu haben schien, dass die | |
Schweiz kein EU-Mitglied ist. Auf die Frage, ob die besonderen Beziehungen | |
der EU zur Schweiz überdacht werden müssten, sagte der Kommissionssprecher: | |
„Die Frage ist hypothetisch. Ich sehe auch nicht, dass die Schweiz durch | |
dieses Handeln die Rede- und Religionsfreiheit einschränkt.“ | |
DANIELA WEINGÄRTNER | |
## Lega Nord möchte auch Referendum | |
ROM taz | „Ein Akt der Zivilisation!“, jubelte nach dem Schweizer | |
Volksentscheid Roberto Castelli, Politiker der Lega Nord und in Berlusconis | |
Kabinett Vizeminister für Infrastrukturen. Zivilisation, wie die | |
rechtspopulistisch- fremdenfeindliche Lega Nord sie gerne hat: als rüde | |
Beschneidung jeden Spielraums für Muslime. | |
Ihre Lokalpolitiker tun alles, um den Anhängern Allahs das Beten zu | |
verleiden, in einem Land, in dem es zwar ein paar hundert Moscheen, aber | |
insgesamt nur drei Minarette gibt. In Treviso verhindern sie seit Jahren | |
die Öffnung einer Moschee, im lombardischen Lodi trieben Lega-Politiker | |
Schweine zur Verrichtung der Notdurft auf ein für eine Moschee reserviertes | |
Baugrundstück, in Bologna mobilisierten sie zur Volksbefragung. | |
Da überrascht es niemanden in Italien, dass führende Vertreter der Partei – | |
die in Rom immerhin den Innenminister stellt – dem Schweizer Entscheid | |
jetzt geradezu Modellcharakter zusprechen. Der Minister für | |
Verwaltungsvereinfachung etwa, Roberto Calderoli, erklärte jetzt in der | |
Tageszeitung La Repubblica, Minarette hätten einfach „eine weit über das | |
Religiöse hinausreichende Bedeutung“ und die Schweizer hätten es | |
dankenswerterweise unternommen, „die propagandistischen Aspekte des Islam | |
zu bremsen“. | |
Deshalb fordert die Lega jetzt, auch in Italien solche Volksentscheide | |
zuzulassen. Zudem will die Lega nun auch noch das Kreuz zum Bestandteil der | |
italienischen Nationalflagge machen. Der Vatikan nahm die Nachricht über | |
das Minarettverbot mit Besorgnis auf. MICHAEL BRAUN | |
## Islamische Welt reagiert gelassen | |
BERLIN taz | Zumindest in den englischsprachigen arabischen Medien hat das | |
Ergebnis des Schweizer Referendums bis Montagnachmittag noch keine | |
Schlagzeilen gemacht. Auf der Website des Fernsehsenders al-Arabija | |
kommentiert ein „Sami“: „Muslime in der arabischen Welt sollten von ihren | |
Regierungen fordern, den Bau jedweder Kirche, besonders in Ägypten, Syrien | |
und Jordanien, zu stoppen. Auge um Auge. Die Mehrheit herrscht. Aber für | |
jeden Muslim bedeutet das, sein oder ihr Geld auf einem Schweizer Konto | |
liegen zu haben. Schämt euch!“ Andere wollen den Bau von Kirchtürmen | |
verbieten lassen. Der ägyptische Großmufti Ali Gomaa sprach von einem | |
Angriff auf die Religionsfreiheit. | |
Die größte muslimische Organisation in Indonesien, dem Land mit der | |
weltgrößten muslimischen Bevölkerung, hat das Schweizer Votum verurteilt. | |
„Die Schweizer wollen in ihrem Land keine muslimische Präsenz sehen, diese | |
intensive Abneigung hat sie intolerant gemacht“, sagte Muskuri Abdillah, | |
der Vorsitzende der Nahdlatul Ulama (NU), der Nachrichtenagentur AFP. Das | |
Votum zeige ein engstirniges Denken über Muslime. Auf diese Intoleranz | |
solle am besten mit Toleranz reagiert werden, zumindest friedlich. „Wir | |
fordern Indonesiens Muslime auf, sich für die Entscheidung nicht zu rächen. | |
Wir sollten ihnen Toleranz und die Freiheit der Religion zeigen“, sagte der | |
NU-Führer. Indonesiens Islam ist traditionell moderat und tolerant. Doch | |
hat es in den letzten Jahren einige Radikalisierungstendenzen gegeben. | |
B.S., HAN | |
## Schweiz ist der Türkei nicht so wichtig | |
ISTANBUL taz | „Islamophobie aus der Wahlurne“ titelte gestern Zaman, die | |
auflagenstärkste Zeitung aus dem islamischen Spektrum. Dies dürfte ziemlich | |
genau dem entsprechen, was die Mehrheit der Bevölkerung empfindet. Die | |
Schweizer Abstimmung könnte Vorbildcharakter für andere Länder bekommen, | |
befürchtet der Kommentator. | |
Insgesamt ist die Abstimmung über die Minarette in der Türkei zwar eine | |
wichtige Nachricht, beherrscht aber nicht die Titelseiten. Die Schweiz ist | |
aus türkischer Sicht nicht so wichtig. Das liegt einmal daran, dass die | |
Schweiz kein EU-Mitglied ist, vor allem aber auch daran, dass nicht | |
türkische, sondern bosnische Migranten die größte Gruppe unter den Muslimen | |
in der Schweiz darstellen. Trotzdem wird überall darauf hingewiesen, dass | |
mit der Abstimmung über das Minarettverbot die Muslime einseitig | |
diskriminiert werden. Erst kürzlich, berichtet der Korrespondent von Zaman, | |
sei in der Schweiz ein neuer Sikh-Tempel eingeweiht worden, und auch die | |
serbisch-orthodoxe Kirche habe ein neues Gotteshaus eingeweiht. | |
Der türkische Kulturminister Ertugrul Günay bezeichnete die Entscheidung in | |
einem kurzen Statement als „Zeichen religiöser Intoleranz, das nicht zu | |
Europa passe“. Die Schweiz sei zwar ein europäisches Land, das Verbot von | |
Minaretten sei aber „uneuropäisch und unzeitgemäß“. Günay schloss nicht | |
aus, dass das Minarettverbot zu Protestaktionen in der islamischen Welt | |
führen könnte, beispielsweis auch zum Boykott Schweizer Waren. | |
JÜRGEN GOTTSCHLICH | |
1 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
DANIELA WEINGÄRTNER / MICHAEL BRAUN / B.S. / HAN / JÜRGEN GOTTSCHLICH | |
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