# taz.de -- Völlig losgelöst | |
> Umgedreht Beim Aerial Yoga tauschen Teilnehmer ihre Matten gegen | |
> Akrobatik-Tücher und hängen kopfüber von der Decke | |
Bild: Kein Kontakt zum Boden: Dorina Maltschewa zeigt, wie man sich richtig ins… | |
Fünf Frauen hängen kopfüber in Akrobatik-Tücher eingedreht von der Decke. | |
Ihre Beine sind fest um die Stränge des Tuches gewickelt, die Hände wie bei | |
einem Sit-up neben dem Kopf angewinkelt. Sie ziehen den Oberkörper hoch, | |
gucken zwischen ihren Beinen hindurch. „Macht mindestens acht Crunches, | |
aber in Eurem eigenen Tempo“, weist Yoga-Lehrerin Dorina Maltschewa die | |
Teilnehmerinnen an. | |
Seit zwei Jahren gibt die 42-Jährige solche Aerial-YogaKurse. Der Trend aus | |
den USA basiert auf dem therapeutischen Yoga. Dabei werden die Yogis bei | |
ihren Übungen von Seilen stabilisiert. Beim Aerial Yoga lösen sich die | |
SportlerInnen von der Schwerkraft. Das Tuch, in dem sie sich dehnen, ist | |
aus festem, aber weichem Stoff und erinnert an eine Hängematte. | |
Unter den Tüchern liegen Matten im großen, hell gestrichenen Studio. Die | |
Fensterfront führt auf eine gepflegte Terrasse. In einer Ecke stehen | |
Kräuter-Tee, eine Wasserkaraffe und Duftöle. Aus einem Lautsprecher kommt | |
Musik, die sich aus monotonem Gesang und Klangschalen-Tönen zusammensetzt. | |
Präzise beschreibt die Leiterin die Übungen, zeigt sie selbst, geht dann | |
herum, um jeder Teilnehmerin Tipps und Hilfestellung zu geben. Die zwei | |
Neulinge im Kurs zögern noch, sich kopfüber fallen zu lassen. Maltschewa | |
kann sie beruhigen: „Niemand fällt einfach so aus dem Tuch. Das ist noch | |
nie passiert.“ | |
Die beiden neuen Frauen trauen sich: Noch sitzen sie in dem Tuch wie in | |
einer Schaukel, stützen sich dann aber mit den Füßen auf dem Boden ab und | |
rollen sich in die gefürchtete Umkehrhaltung. Diese akrobatischen | |
Bestandteile sind das Besondere am Aerial Yoga: „Man kann sich wieder als | |
Kind fühlen, ein paar verrückte Sachen versuchen“, sagt Maltschewa. „Wenn | |
man das zwei, drei Mal gemacht hat, fühlt man sich federleicht.“ | |
Die Teilnehmerinnen, die schon öfter da waren, erkennt man leicht: Sie | |
fangen selbstständig mit komplizierten Übungen an – wie die „Fledermaus�… | |
Sie rollen sich in das helllila Tuch ein, drehen und wenden sich, bis sie | |
in Bauchlage über dem Boden schweben. Keine Chance für Anfänger, aber bei | |
fast jeder Position zeigt Maltschewa eine Variation für Fortgeschrittene | |
und eine für Anfänger. Sie betont, dass jeder und jede die Übungen auf dem | |
eigenen Level machen solle. Das Prinzip geht tatsächlich auf: Die Neulinge | |
sind zwar skeptisch, doch selbst die Crunches in Umkehrhaltung sind kein | |
Problem. | |
Die Stunde endet mit einer Meditation. Die fünf Teilnehmerinnen setzten | |
sich in ihre Tücher hinein, schwingen wie in einem Kokon über dem Boden, | |
atmen synchron ein und aus. Maltschewa geht mit einem Duftöl zu jeder | |
Teilnehmerin und massiert mit kreisenden Bewegungen ihre Schläfen. | |
So in den Tüchern zu hängen, macht nicht nur Spaß, sondern hilft auch der | |
Gesundheit: „Das mag banal klingen, aber Yoga hilft fast überall, wo man’s | |
macht“, sagt Andreas Michalsen, der als Arzt in Berlin am Immanuel | |
Krankenhaus und an der Charité arbeitet. Seit 2005 untersucht er die | |
medizinische Wirksamkeit von Yoga. | |
Die Übungen würden „keinen Krebs heilen, aber es hilft bei Tagesmüdigkeit | |
und verbessert die Lebensqualität bei Krebserkrankungen“, sagt er. Auch bei | |
der Behandlung von Bluthochdruck sei Yoga sinnvoll. Bei Rücken- und | |
Nackenschmerzen sei es mitunter sogar „die beste Therapie“, ist der | |
Mediziner überzeugt. „Schmerzen entstehen meist aus einer Kombination von | |
Fehlhaltung durch Computerarbeit, Bewegungsmangel und vor allem Stress.“ | |
Yoga helfe so gut, weil es zugleich Sport, Dehnung, Meditation und | |
Atemkontrolle sei. | |
Dorina Maltschewa hat damit auch selbst schon Erfahrungen gemacht: Nach | |
einer Operation am Knie machte sie zusätzlich zur Krankengymnastik Yoga. | |
Das habe ihr bei der Heilung geholfen. Bis vor zehn Jahren fand sie den | |
Sport aber „eigentlich immer doof“. | |
Doch damals suchte die ausgebildete Schauspielerin nach einem Ausgleich zu | |
ihrem Job. Eine Freundin schleppte sie zu einem Kurs mit. So kam Maltschewa | |
zum Bikram Yoga. Noch so ein Extrem: Die Übungen werden bei Temperaturen um | |
die 40 Grad absolviert. Später versuchte sie es auch mit Vinyasa Yoga. | |
Dabei gehen die Bewegungen besonders fließend ineinander über. | |
Dabei blieb sie hängen. Seitdem arbeitet Maltschewa selbstständig im Studio | |
„Flying Yoga“. Nebenher steht sie auf Theaterbühnen und vor der Kamera. | |
Außerdem organisiert sie Yoga-Reisen. | |
An ihren Kursen nehmen ganz unterschiedliche Menschen teil. Junge und Alte, | |
Männer und Frauen, manche sind gesund, andere haben Beschwerden. Ihre | |
Motivation ist ganz unterschiedlich: „Manche kommen in die Stunde, weil sie | |
gestresst sind von ihrem Freund, der Familie oder von ihrem Arbeitgeber“, | |
sagt Maltschewa. Andere wollten sich körperlich auspowern. | |
Dazu gehört auch eine der Frauen in diesem Kurs. Sie kommt jede Woche. | |
Durch das Yoga könne sie ihren Rücken stärken, sagt sie nach dem Training. | |
„Das ist wichtig für den Alltag.“ Das sieht auch Maltschewa so. Die | |
Kursleiterin ist mit ihren 1,54 Metern eine der kleinsten Frauen im Studio. | |
„Danach fühle ich mich gestrafft, gestreckter und lang“, sagt sie und | |
lächelt. „Das ist die einzige Sportart, bei der man Energie bekommt, statt | |
sie dann nicht mehr zu haben.“ | |
Aerial Yoga verändere aber nicht nur die Körperhaltung: „Dadurch, dass du | |
deinen Körper besser spürst, kannst du auch mit anderen Menschen besser | |
umgehen“, sagt sie. „Leute, die Yoga machen, sind offener – oder sie werd… | |
es.“ | |
19 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Leonie Habisch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |