# taz.de -- Gemeinsam Wo einst die Castoren rollten, leben nun Geflüchtete. Vo… | |
Von Luis Willis | |
Protest, Eigeninitiative und alternative Lebensweisen: Dafür steht das | |
Wendland. Der jahrzehntelange Kampf gegen das Atommülllager Gorleben zog | |
Revoluzzer*innen und Linksalternative in den Landkreis; auch nach | |
Dannenberg. Die alten Kämpfer*innen haben sich ein neues Ziel gesetzt: | |
Geflüchteten eine neue Heimat bieten; sie als Bürger*innen behandeln. | |
Dannenberg sieht nach einer niedersächsischen Dorfidylle aus: | |
Fachwerkhäuser in langer Kette entlang der Hauptstraße aufgereiht; eine | |
Kirche, ein paar Imbisse und Cafés, ein Dönerladen. Hier kennt jeder jeden. | |
Ausländeranteil: Fast null. | |
Das hat sich im vergangenen Jahr schlagartig geändert: Einige hundert | |
Geflüchtete leben nun in Containern, in denen ehemals Polizisten | |
nächtigten; an den Gleisen, auf denen einst die Castoren rollten. Die | |
Aufgabe, die Geflüchteten zu unterstützen und ihnen beim Ankommen in | |
Deutschland zu helfen, haben viele der Einwohner*innen selber in die Hand | |
genommen: Sie gründeten eine Solidaritätsinitiative, die im „Café Zuflucht… | |
ihre Basis hat. Ehrenamtliche Lehrer bieten dort kostenlos Deutschkurse an, | |
andere helfen beim Ausfüllen von Formularen und organisieren | |
Freizeitangebote wie Näh- und Malkurse. Einmal in der Woche kochen alle | |
zusammen in der kleinen Küche des Cafés. Die Zivilgesellschaft füllt hier | |
die Lücken, die staatliche Integrationspolitik offen lässt. | |
## Lachen und Sprachen | |
„Schule und Kommunikationszentrum“ nennt Klaus Zimmermann das Projekt. Der | |
rüstige 75-Jährige trägt einen braunen Lederhut mit Feder und ein T-Shirt | |
mit der Aufschrift: „Klaus – Café Zuflucht“. Sein freundliches Gesicht u… | |
die ruhige, offene Art geben ihm das Auftreten eines liebevollen | |
Großvaters. | |
Geht man durch die Tür ins Café hinein, fällt gleich auf, wie herzlich und | |
offen die Menschen hier miteinander umgehen. In lautem deutsch-arabischen | |
Sprachengewirr sitzen Neubürger*innen zusammen mit Dannenberger*innen. Es | |
wird gelacht, einige Kinder laufen im Gewusel umher. Die Verständigung | |
funktioniert vor allem über die brüchigen Deutschkenntnisse der neuen | |
Dannenberger*innen. Klappt das nicht, hilft man sich hier mit broken | |
English. | |
Aus dem Café entstand auch eine Kreativwerkstatt. Gemeinsam mit | |
Dannenberger*innen nähen geflüchtete Frauen an laut ratternden Maschinen | |
aus bunten Stoffresten Vorhänge, Kissenbezüge und kleine Taschen. Begonnen | |
hat es mit einer kleinen Nähecke im Café; mittlerweile hat die Werkstatt | |
eigene Räume, die sie mietfrei nutzen kann. Es geht darum, zusammen zu | |
arbeiten, Spaß zu haben und etwas zu erreichen. Gemeinsame Erfolge | |
verbinden. | |
Das Café ist vor allem ein Treffpunkt, die Betreiber*innen sind | |
Anlaufstelle für kleine, manchmal auch größere Probleme. Die Geflüchteten | |
werden hier an die Hand genommen, in die Dorfgemeinschaft integriert – sei | |
es beim Gang zum Arzt, oder dass eine Neudannenberger*in ein Fahrrad | |
braucht. Schnell findet sich jemand, der jemanden kennt, der weiterhelfen | |
kann. | |
## Eine Chance für die Region | |
Das Engagement der Freiwilligen ist ein Fulltime-Job. Denn Zeit haben sie | |
genug, viele von ihnen sind bereits in Rente und haben nun eine neue | |
Mission gefunden. Und die Fürsorge der Dannenberger*innen wird sich | |
auszahlen – nur wenn sich die Geflüchteten hier wohl fühlen, werden sie | |
bleiben und arbeiten. Zwar gibt es wenig Arbeit, viele Schaufenster sind | |
leer, der Landkreis Dannenberg-Lüchow ist hochverschuldet. Die Jugend | |
verlässt die Gegend nach der Schule, zum Studieren oder Arbeiten und kehrt | |
nur selten zurück. Die neuen Bürger*innen sind auch ihrerseits eine Chance, | |
nämlich dafür, die Kaufkraft und damit die Wirtschaft der Region zu | |
stärken. Mehr Leute, mehr Arbeit. | |
Das Gelingen von Integration hängt von Einzelpersonen ab. Man kann dabei | |
die Integrationsarbeit im Wendland sicher als vorbildlich bezeichnen. Die | |
Freiwilligen sehen ihr Engagement aber nicht als besondere Ausnahme – für | |
sie ist es selbstverständlich. „Wir sind alles Menschen, haben alle | |
dasselbe Herz“, sagt Zimmermann. | |
Bei der taz.lab-Veranstaltung „Neue Heimat Wendland“ stellen vier | |
Generationen Geflüchteter und Freiwillige vom „Café Zuflucht“ ab 15 Uhr i… | |
Projekt vor | |
26 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Luis Willis | |
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