# taz.de -- Zauberinsel Auf nach Hawaii! Paul Theroux: „Hotel Honolulu“: Ro… | |
Bild: Etwas Erotischeres als Hotelzimmer gibt es nicht. Sie sind für den Erzä… | |
von Ulrich Rüdenauer | |
Ein nicht ganz erfolgloser, aber ausgebrannter Schriftsteller, den ein | |
kapitaler Schreibekel samt bedrohlicher Sinnkrise befallen hat, ist | |
eindeutig reif für die Insel. Er sucht sich einen Ort, an dem niemand ihn | |
kennt und niemand mit ihm rechnet. Er tut einiges, um nicht daran erinnert | |
zu werden, wer er einmal war und was er einmal zu erreichen suchte. Hawaii | |
ist zwar kein blinder Fleck auf der Landkarte; aber eben auch kein Hotspot | |
der literarischen Welt. Der ideale Rückzugsort für einen schreib- und ein | |
bisschen auch lebensmüden Autor. Der Zufall und das Glück stehen ihm dort | |
in Person eines lauten, aufbrausenden amerikanischen Landsmanns zur Seite, | |
dem Multimillionär Buddy Hamstra. Dieser cholerische Spaßvogel bietet dem | |
Flüchtling, der aus seiner eigenen Biografie ausbrechen möchte, eine | |
verlockende Chance: den Job als Geschäftsführer in einem Hotel in Honolulu. | |
Natürlich hat der Gestrandete nicht die geringste Ahnung vom Hotelgewerbe | |
oder vom Angestelltendasein überhaupt; von Menschen allerdings schon. Das | |
ist bereits die halbe Miete. Er richtet sich ein im vermeintlichen | |
Paradies, verliebt sich (in eine uneheliche Tochter von John F. Kennedy, | |
die von ihrer Herkunft allerdings nichts ahnt), heiratet und wird im Alter | |
von fünfzig Jahren Vater. Und so bleibt der an der Midlife-Crisis knapp | |
vorbeischrammende Held viel länger auf seiner Zauberinsel, als er es sich | |
ausgemalt hatte. | |
## Erotische Verwicklungen | |
Hinter dem Erzähler verbirgt sich, zumindest andeutungsweise, der 1941 | |
geborene amerikanische Autor Paul Theroux, Verfasser meist autobiografisch | |
gefärbter Romane und Reiseschriftsteller von Rang. Sein „Hotel Honolulu“ | |
aus dem Jahr 2001, nun neu aufgelegt und mit Esprit übersetzt von Theda | |
Krohm-Linke, besteht aus unendlich vielen miteinander verwobenen | |
Erzählungen. Achtzig Zimmer hat dieses mittelprächtige Hotel, und in ebenso | |
vielen Kapiteln wird von seinen Gästen und Angestellten berichtet. | |
Etwas Erotischeres als Hotelzimmer gebe es für ihn nicht, gesteht uns der | |
Erzähler gleich zu Beginn – Hotelzimmer seien „Räume der Liebe und des | |
Todes“. Von nicht mehr und nicht weniger handeln die Geschichten: von | |
schicksalhaften Liebschaften, scheiternden Liaisons, erotischen | |
Verwicklungen, mysteriösen Verwandtschaftsverhältnissen, von Gewalt und | |
Prostitution, von Selbstmorden und anderen Todesfällen, vom Glück und | |
davon, wie rasch es sich ins Gegenteil verkehren kann. | |
Das Hotel ist ein literarischer Ort, ein Mikrokosmos menschlicher | |
Sehnsüchte und Begierden. „Ein Schriftsteller hat einmal gesagt […], dass | |
das Haus der Fiktion eine Million Fenster habe, und Schriftsteller schauen | |
hinaus, beobachten alle dasselbe Geschehen und sehen doch jeder etwas | |
anderes. Der eine sieht Schwarz, wo der andere Weiß sieht, einer sieht | |
groß, wo ein anderer klein sieht. Das Paradies aus dem einen Fenster sieht | |
aus wie die menschliche Komödie aus dem anderen.“ | |
Der Schriftsteller, von dem hier die Rede ist, heißt Henry James. Er spielt | |
in Theroux’ Hotel mit seinen zahllosen Fenstern eine wichtige Rolle: Der | |
Ich-Erzähler ist ein später Nachfahre des amerikanischen Schriftstellers | |
aus dem 19. Jahrhundert. Nur dass er nicht wie James in den Salons von | |
Paris, London oder New York seine hellsichtigen Beobachtungen macht, | |
sondern in einer eher heruntergekommenen Absteige mitten im Pazifik. | |
Auch wenn der Erzähler dem Schreiben untreu geworden ist, so scheint er | |
doch als Geschäftsführer des Hotels die illustren Gäste als seine Figuren | |
zu betrachten – sie sind ihm Lieferanten für die fantastischsten Szenen und | |
Anekdoten. Die heimliche Hauptfigur in diesem Puppenhaus allerdings bleibt | |
ihm immer einen Schritt voraus, entwickelt ein imposantes Eigenleben, ist | |
das Gravitationszentrum dieses Romans: Der ungebildete, aber lebensweise | |
Buddy Hamstra ist der große Zampano, der den Rhythmus und den Ton vorgibt, | |
der aus dem Hintergrund immer mehr ins Zentrum rückt und dessen | |
Dahinsiechen dem Buch schließlich eine gewisse Schwermut verleiht. | |
Ein Angestellter des Hotels sagt einmal über Hawaii: „‚Natürlich ist das | |
jetzt kein Paradies mehr. Deshalb gefällt mir auch der Name, den du der Bar | |
gegeben hast – Paradise Lost –, weil der einzige Ort, der wirklich die | |
Hölle sein kann, der ist, der einmal das Paradies war.‘ Er schwieg, dann | |
sagte er: ‚Das macht die Hawaiianer so traurig.‘“ | |
## Traurig und heiter | |
„Hotel Honolulu“ ist ein trauriges und zugleich heiteres Buch. Ein | |
geschichtenreiches und überbordendes. Ein wunderbares Buch mit vielen | |
Zimmern, an deren Wänden man lauscht und in die man durchs Schlüsselloch | |
hindurch hineinspitzt. Hinter jeder Tür spielt sich ein Drama ab oder eine | |
Komödie, und oft ist gar nicht zu entscheiden, ob es sich um das eine oder | |
das andere handelt. | |
Am Ende zieht sich der Erzähler in einen kleinen Bungalow zurück und | |
verwandelt sich in einen Bienenzüchter (auch der Bienenstock ein Haus mit | |
tausend Zimmern …). Möglicherweise beginnt er sogar damit, wieder zu | |
schreiben und all die Geschichten aus dem Hotel aufzubewahren. Der Titel | |
seines Romans könnte lauten: „Hotel Honolulu“. | |
Paul Theroux: „Hotel Honolulu“. A.d. Englischen von Theda Krohm-Linke. | |
Hoffmann und Campe, Hamburg 2016. 528 S., 24 Euro | |
26 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Rüdenauer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |