# taz.de -- "Die Schockstarre legt sich nun wieder" | |
> Bestattungskultur Da sich immer mehr Menschen den Wald oder andere Formen | |
> der Urnenbestattung aussuchen, müssen Friedhöfe auf Umnutzung setzen | |
taz: Herr Rehkopf, Beisetzungen decken heute ein Spektrum von der | |
Seebestattung bis zum Friedhof des Hamburger Sportvereins ab. Ist der | |
normale Friedhof ein Auslaufmodell? | |
Lutz Rehkopf: Das sind die Ausnahmen. Nur drei Prozent der Bestattungen | |
finden zu See statt und auf dem Friedhof des HSV gab es in vier Jahren vier | |
Beisetzungen. Das verändert nicht unsere Struktur. Aber der moderne | |
Friedhof muss sich wandeln, wie er sich auch in der Vergangenheit gewandelt | |
hat. | |
Wie sahen Friedhöfe früher aus? | |
Friedhöfe spiegelten gestalterisch immer die Moden und Strömungen ihrer | |
Zeit wider. Um die Jahrhundertwende herum lagen Mausoleen und Armengräber | |
nebeneinander. Heute kehrt das nach einer Phase, in der der Friedhof ein | |
recht einheitliches Friedhofsbild hergab, langsam wieder. | |
Was war in der Zwischenzeit anders? | |
Von den 1950er- bis 1990er-Jahren lagen etliche Grabstätten nebeneinander, | |
und alle Grabsteine wiesen ähnliche Größen und Materialien auf. Der | |
Friedhof wirkte daher monoton. Erst seit rund 15 Jahren entstehen wieder | |
Mausoleumsbauten – und es gibt immer mehr künstlerisch gestaltete | |
Grabsteine. | |
Wie erklären Sie sich dieses Bedürfnis? | |
Da ist eine Tradition abgebrochen: Noch vor 100 Jahren waren alle | |
Grabstätten künstlerisch gestaltet. Doch dann kamen die beiden Weltkriege, | |
und der Tod gehörte nun zu jungen Leuten, die mitten im Leben gestanden | |
hatten: den Soldaten. Die Trauer um die dort Verstorbenen war so | |
übermächtig, dass es die Friedhofskultur lähmte. Die Schockstarre der | |
vergangenen Jahrzehnte legt sich nun wieder. | |
Ist das der einzige Grund für das Wiederaufleben der Friedhofskultur? | |
Nein. Während der Aidskatastrophe Ende der 80er-Jahre sind viele | |
lebensfrohe Homosexuelle in relativ kurzer Zeit schockartig gestorben und | |
aus einer innigen Gemeinschaft gerissen worden. Aus der Schwulenbewegung | |
und der Erfahrung des Aidstodes kam das Bedürfnis, die Trauerfeier bunter | |
und fröhlicher zu gestalten. Der Tod wurde als Teil des Lebens betrachtet. | |
Da haben sich neue Formen der Trauerkultur entwickelt, die sich inzwischen | |
gesamtgesellschaftlich durchgesetzt haben. | |
Welche zum Beispiel? | |
Inzwischen werden Konzerte oder Friedhofsführungen angeboten, auch ohne | |
eine Trauerfeier. Auch tragen viele bei einer Beerdigung keine schwarze | |
Kleidung, und statt den Kirchenchor zu bestellen, singen sie selber. | |
Stimmt es, dass es immer mehr Urnenbegräbnisse gibt? | |
Ja, die Urnenbeisetzungen werden mehr, die Sargbeisetzungen weniger. Das | |
hat für Friedhöfe zur Folge, dass sie ein Platzproblem bekommen. Es gibt zu | |
viel Platz. | |
Wie reagieren die Friedhöfe? | |
Sie suchen nach Nachnutzungen. So wurden verschiedene Friedhofsteile zu | |
öffentlichem Grün erklärt. Zurzeit wird auch ein | |
Bürgerbeteiligungsverfahren eingeleitet. Die Bürger und Bürgerinnen sollen | |
gefragt werden, welche Nachnutzungen sie sich auf Friedhöfen vorstellen | |
können. | |
Welche Alternativen zum Sarg gibt es außer dem klassischen Urnenbegräbnis? | |
Baumgräber. Hier spielt die symbolische Verbindung zwischen oben und unten | |
eine Rolle: Die Wurzeln graben sich in die Erde, und die Krone erhebt sich | |
in den Himmel. Zudem muss kein Grabstein gekauft werden, sondern nur ein | |
Schildchen, das am Baum befestigt wird. Das spart Geld. | |
Wie läuft eine Baumbestattung ab? | |
Die Urnen werden in mit etwas Abstand in einem Ring um den Baum herum | |
eingelassen, so dass das Wurzelwerk nicht beschädigt wird. Die | |
Baumbestattung ist derzeit die gefragteste Variante. | |
Warum? | |
Einerseits aus ökonomischen Gründen: Sie sparen den Grabstein, der bis zu | |
2.000 Euro kosten kann, und haben auch keine Grabpfleg . Hauptgrund ist | |
aber die Symbolik des Baumes. | |
Gaben die Menschen früher mehr für ihre Toten aus? | |
Ja. Vor 120 Jahren war es wichtig, eine teure, repräsentative Grabstätte zu | |
haben, die man vorzeigen konnte. Heute ist es wichtiger eine Villa zu | |
besitzen oder Urlaub zu machen. | |
In Hamburg gibt es inzwischen zu 80 Prozent Feuerbestattungen. Warum? | |
Zum einen gibt es mehr Begräbnisvarianten, die nur mit Urne möglich sind. | |
Zum anderen hat der Einfluss der Kirche nachgelassen; noch bis Ende der | |
1960er-Jahre durften sich Katholiken nicht einäschern lassen, weil das die | |
Auferstehung verhindere. | |
Deutschlandweit sind lediglich 52 Prozent Feuerbestattungen. Warum sind es | |
in Hamburg so viel mehr? | |
Die katholischen Gegenden liegen im Norden ein wenig zurück. Es gibt ein | |
Nord-Süd-Gefälle, welches eigentlich ein katholisch-evangelisches Gefälle | |
ist. In Flensburg gibt es bereits 98 Prozent Urnenbeisetzungen. In | |
katholisch-regierten Bundesländern, wie Bayern oder Baden-Württemberg, | |
liegt der Anteil bei 15 bis 20 Prozent. | |
Welche Rolle spielt heute die Grabpflege? | |
Viele Kinder wohnen nicht mehr in dem Ort, wo ihre Eltern beigesetzt sind. | |
Diese Bürde der Grabpflege ist dann schwierig. Deswegen gibt es heute viele | |
Angebote, wo man keine eigene Pflege mehr leisten muss. Interview: Anna | |
Gröhn | |
26 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Anna Gröhn | |
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