| # taz.de -- Vorm Lutherjahr 2017 Volker Leppin erschließt mit Luther die mysti… | |
| Bild: Schlosskirche in Wittenberg. In römischen Kirchen sind die Leute besser … | |
| von Micha Brumlik | |
| Der Bürgerkrieg in Syrien, das Abkommen des Westens mit dem Iran sowie die | |
| Einwanderung von Muslimen in Länder der europäischen Union lenken das | |
| Augenmerk auf die politische Bedeutung von Religion beziehungsweise die | |
| religiöse Bedeutung von Politik. Beide – Religion und Politik – prägen die | |
| öffentliche Debatte wie seit Jahrzehnten nicht mehr, und das dem Umstand | |
| zum Trotz, dass hierzulande die Kirchen kontinuierlich Mitglieder | |
| verlieren. | |
| Wie die Spannung von Religion und Politik die moderne europäische Welt | |
| formte, erschließt sich im Blick auf die Geschichte der Reformation, deren | |
| in Deutschland 2017 mit Veranstaltungen zum 400. Jahrestag von Martin | |
| Luthers Thesenanschlag 1517 gedacht wird. | |
| Dabei beginnt diese Moderne – nur scheinbar paradox – mit einer Vertiefung | |
| christlicher Mystik. Zwei neuen Publikationen lässt sich entnehmen, wie | |
| eine zutiefst mittelalterliche Frömmigkeit die Persönlichkeit jenes Mannes | |
| formte, der mit seinem wuchtigen Auftreten und brennenden Glauben die im | |
| Zerfall begriffene politische Ordnung des Mittelalters endgültig zerstörte. | |
| Es war die Zeit der Reformation, in der das entstand, was später als | |
| „Deutschland“ gelten sollte, ein Deutschland, das ganz anders war als | |
| Italien, vor allem Rom mit seinem geistlichen, allemal auch weltlichen | |
| Herrscher, dem Papst. | |
| Gegen dieses Amt der Päpste, ihre politische Macht, ihren Reichtum und | |
| ihren lasziven Lebenswandel richtete sich Luthers Protest – ein Protest, | |
| der aus schweren Identitätskrisen eines jungen Geistlichen, aus denen sich | |
| moderne Individualität formte, erwuchs. Es war die Last des Glaubens an ein | |
| von jenseitigen Strafen bedrohtes Leben, das – wie Volker Leppin zeigt – | |
| den jungen Luther Trost in kirchlich eher randständigen, sogar als | |
| ketzerisch verdammten Schriften der Theologen Meister Eckhart und Johannes | |
| Tauler sowie einer später von Luther selbst „Theologia teutsch“ betitelten | |
| Schrift finden ließ. | |
| Diese Theologie der Innerlichkeit postulierte nicht nur, dass Gott immer | |
| wieder in der menschlichen Seele geboren wird, sondern dass es zumal das | |
| Leiden sei, das den Menschen mit Gott, dem gekreuzigten Christus vereinige. | |
| Damit wird die religiöse Grundhaltung umgestellt: Künftig kommt es nicht | |
| mehr auf gottgefälliges, ethisch verbindliches Handeln, sondern auf ein | |
| ganz auf Gott vertrauendes, demütiges, passives Wahrnehmen und Warten an: | |
| Es ist der Glaube und nur der Glaube an Gottes Gnade, der dem Menschen | |
| Gerechtigkeit widerfahren lässt; sein grundsätzlich unfreier Wille eröffnet | |
| ihm die Möglichkeit, die Gnadenverheißung, wie sie in der Bibel, zumal bei | |
| Paulus, vorliegt, wahrzunehmen und ihr zu vertrauen. | |
| Doch ist auch dieses Vertrauen nicht selbst gewirkt, sondern ein göttliches | |
| Geschenk. Dass diese geänderte Grundeinstellung politische Folgen haben | |
| musste, leuchtet sofort ein, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die | |
| katholische Kirche Vergebung der Sünden und damit den Erlass jenseitiger | |
| Strafen im wörtlichen Sinn verkaufte: Der Handel mit Ablassbriefen | |
| verschaffte sowohl dem Klerus vor Ort als auch der Herrschaft in Rom so | |
| hohe Einkünfte, dass das im Niedergang begriffene Papsttum seine Bedeutung | |
| durch die Förderung von Kunst und Kultur, von prachtvoller Architektur | |
| erneut beweisen konnte. | |
| Luthers Lehre von der nur von Gott und keinen Zwischeninstanzen zu | |
| erwartenden Gnade musste diese Praxis ins Herz treffen und das fragile | |
| politische Gefüge zwischen deutschen Landesfürsten, dem kaiserlichen Hof | |
| sowie dem päpstlichen Amt erschüttern. | |
| Wie sehr sich Luther und seine Anhänger hier und die wechselnden Inhaber | |
| des päpstlichen Amtes und ihre hochgebildeten Gesandten dort missverstehen | |
| mussten, zeichnet Volker Reinhardt präzise nach. Während Luther und die | |
| Lutheraner Rom als Sündenpfuhl und den Papst sogar als „Antichristen“ | |
| empfanden, galt Luther den Römern als grobianischer, ungeschlachter und | |
| letztlich ungebildeter Deutscher. | |
| In der bisherigen Literatur zu diesem Konflikt wurde vor allem Luthers | |
| Perspektive dargestellt; mit den von Reinhardt neu erschlossenen römischen | |
| Quellen, vor allem den Berichten des päpstlichen Gesandten, des Kardinals | |
| Girolamo Aleandro, liegt jetzt das längst fällige Gegenstück vor. | |
| Tatsächlich fanden in all den Jahren zwischen Luthers Thesenanschlag 1517 | |
| und einem Religionsgespräch in Regensburg 1541 immer wieder Treffen | |
| zwischen Luther und Vertretern der Papstkirche statt, Treffen, die jedoch | |
| nie zu einer Einigung führten. Am Ende stand die Spaltung der Deutschen in | |
| katholische und protestantisch regierte Staaten, eine Spaltung, die | |
| Jahrzehnte später zum verheerenden Dreißigjährigen Krieg führen sollte. | |
| Volker Leppin: „Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln“. C. H. | |
| Beck, München 2016, 247 S., 21,95 Euro↓ | |
| Volker Reinhardt: „Luther, der Ketzer. Rom und die Reformation“. C. H. | |
| Beck, München 2016, 352 S., 24,95 Euro | |
| 19 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Micha Brumlik | |
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