# taz.de -- „Es wäre falsch, das zu verstecken“ | |
> Transsexualität Bis zu ihrem Tod leben Ken und Hazel nach außen als | |
> „normales“ Paar. In der Ausstellung „Ken. To be destroyed“ verarbeitet | |
> Sara Davidmann nun das Geheimnis ihres Onkels | |
Bild: „K am Straßenrand“: Wo auf dem Originalfoto Hazel sitzt, befindet si… | |
Interview Hilke Rusch | |
taz: Frau Davidmann, für Ihre Ausstellung haben Sie Fotografien aus dem | |
Nachlass Ihrer Mutter bearbeitet. Das Bild „Side by Side“ etwa zeigt zwei | |
Bräute – die eine ist anscheinend ein Mann mit einem strengen Gesicht. Wer | |
sind die beiden? | |
Sara Davidmann: Meine Tante Hazel und die Person, die ich als meinen Onkel | |
Ken kannte. Ken starb 1979. 2011 habe ich mit meinen Geschwistern in den | |
Sachen meiner Mutter Briefe und Dokumente über Ken und Hazel gefunden, die | |
zeigten: Ken war trans*. Er hat schon als Kind heimlich Kleider getragen. | |
Die Hochzeit mit Hazel 1954 war für ihn mit der Hoffnung verbunden, dass er | |
all das würde beiseiteschieben können – was nicht der Fall war. Vier Jahre | |
später entschied er sich, Hazel einzuweihen. Er schrieb ihr einen Brief, | |
konnte sich aber nicht überwinden, ihn ihr zu geben. Also sorgte er dafür, | |
dass Hazel seine Frauenkleider finden würde. | |
Wie hat Hazel reagiert? | |
Es war ein Schock, sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie schrieb an | |
ihre ältere Schwester – meine Mutter – in der Hoffnung, Hilfe und Rat zu | |
finden. Damals gab es so gut wie kein Wissen über Trans*-Leute, meine | |
Eltern dachten deshalb erst, Hazel würde sich das einbilden. Als klar | |
wurde, dass stimmt, was Hazel schrieb, waren sie überzeugt: Hazel und Ken | |
würden sich scheiden lassen müssen. Unter den Briefen, die wir gefunden | |
haben, gibt es einen von Hazel, den meine Eltern abgetippt hatten – um ihn | |
einem Scheidungsanwalt zu geben. Aber Hazel wollte Ken nicht verlassen. | |
Wie hat sie es geschafft, damit umzugehen? | |
Viele Fragen bleiben unbeantwortet, auch weil nicht alle Dokumente erhalten | |
geblieben sind. In ihren Briefen beschrieb Hazel, wie Ken privat als Frau, | |
öffentlich als Mann lebte – für ihn eine Verkleidung. 1963 schrieb sie, sie | |
habe sich mit all dem versöhnt und fühle sich wesentlich besser. Aus der | |
Zeit danach gibt es keine weiteren Informationen. Klar ist: Sie blieben | |
zusammen. Ich glaube, ihre Ehe war voller Liebe und Zuneigung. Kens Briefe | |
an Hazel sind sehr liebevoll, und Hazel entschied, sich neben ihm begraben | |
zu lassen. Aber wie ihr tägliches Leben aussah, wissen wir nicht. | |
Hat Ken je versucht, Kontakt zu anderen Trans*-Leuten aufzunehmen? | |
Es gibt ein Antragsformular für die Beaumont Society, eine Organisation, | |
die Transgender unterstützt. Irgendwie war Ken an das Formular gekommen – | |
aber es war nicht ausgefüllt. Warum? Ich weiß es nicht. Vielleicht fehlte | |
ihm der Mut? | |
Wie war das im Privaten – hat Ken da einen anderen Namen genutzt? | |
Ob Ken einen weiblichen Namen nutzte – ich weiß es nicht. Ich sage deshalb | |
oft K statt Ken, das lässt mehr Uneindeutigkeiten zu. | |
Ihre Ausstellung heißt „Ken. To be destroyed“. Was bedeutet der Titel? | |
Der geht zurück auf meine Mutter. Das stand auf einem der Umschläge, die | |
wir gefunden haben. Als Ken starb, hob Hazel viel auf: Briefe von | |
Medizinern, die Ken in den Sechzigern kontaktiert hatte, die Dokumente, in | |
denen er sich damit auseinandersetzte, was es bedeutet, trans* zu sein, | |
Notizen über körperliche Veränderungen, als er in den Siebzigern Östrogen | |
nahm. Als Hazel 2003 starb, wird meine Mutter eine Menge aussortiert haben, | |
aber sie behielt eben auch viel. Es ist mir ein Rätsel, warum sie diese | |
Sachen einerseits aufbewahrte und sie dann mit dem Vermerk „to be | |
destroyed“ zur Vernichtung freigab. Sie spürte vielleicht, dass das | |
Material wichtig war – und hielt es gleichzeitig geheim, weil der | |
gesellschaftliche Blick auf Trans*-Leute bis vor Kurzem nicht sonderlich | |
positiv war. | |
Haben Sie K gut gekannt? | |
Als er starb, war ich 25 Jahre alt. Wenn wir früher meine Großeltern in | |
Edinburgh besuchten, kam Hazel dazu, Ken meist nicht. In einem Brief | |
schrieb Hazel an meine Mutter, dass Ken es unpassend finde, wenn die Kinder | |
– also meine Geschwister und ich – zu ihnen ins Haus kämen. Vielleicht | |
hatte er Angst, wir könnten Dinge finden, die er lieber verstecken wollte? | |
Ich kannte Ken also nicht gut. | |
Sie haben durch die Briefe von Ks Transsexualität erfahren? | |
Nein, meine Mutter hat es mir 2005 erzählt. Damals war ich Teil | |
verschiedener Queer-Communities in London, viele Trans*-Leute waren zu | |
Freund_innen geworden, und ich arbeitete mit einigen an Fotoprojekten. Ich | |
vermute, dass sie mir deshalb von Ken erzählte. Aber sie wollte, dass ich | |
es geheim hielt. Mir hingegen war sofort klar, dass es falsch wäre, das zu | |
verstecken. Um mich herum hatten so viele Menschen schwierige Erfahrungen | |
damit gemacht, wie sie gesellschaftlich wahrgenommen wurden. Kens Leben zu | |
verheimlichen wäre wie ein Betrug gegenüber diesen Menschen gewesen. Ich | |
glaube, gerade wenn wir nicht der Norm entsprechen, sollten wir das zeigen | |
und darüber sprechen. | |
In Ihrem Projekt entwerfen Sie jetzt ein ganz eigenes Bild von K. Wie | |
arbeiten Sie mit den Fotos und den Briefen? | |
Fasziniert war ich von einer Sammlung von Hochzeitsfotos, auf denen per | |
Hand „proof“ geschrieben stand. Mir war klar, dass es nicht „Beweis“ | |
bedeutete, sondern „Abzug“. Hazel und Ken sollten sich ein Foto aussuchen, | |
das vom Studio vervielfältigt werden würde. Aber „proof“ schien auch in | |
seiner Bedeutung von Beweis mit dieser Geschichte verbunden zu sein. | |
Inwiefern war denn das Hochzeitsfoto ein Beweis? Wofür? In unseren | |
Familienalben gibt es nur Ken, aber kein Zeugnis von K – nur in diesen | |
Dokumenten, die zur Vernichtung freigegeben waren. Deshalb wollte ich mit | |
meiner Arbeit alles auflösen, was über das Foto als „Beweis“ verstanden | |
werden könnte. | |
Sie wollten K zeigen, wie er_sie sich nie öffentlich gezeigt hat? | |
Ich wollte K die Freiheit geben, die Ken in seinem oder ihrem Leben nie | |
gehabt hat. Ich wollte Bilder schaffen, die es ermöglichen würden, K | |
wahrzunehmen. | |
Was macht Sie so sicher zu wissen, wie K sich gewünscht hätte auszusehen? | |
Es gibt Fotos, die Hazel zeigen und wohl von Ken aufgenommen wurden, auf | |
den Rückseiten ist seine Handschrift. Hazel sieht darauf wunderschön aus in | |
ihrem 50er-Jahre-Kleid. Was mag Ken wohl gefühlt haben, als er sie | |
fotografierte? Vielleicht hätte er dieses Kleid, diesen Hut, diese Schuhe | |
gern getragen? Vielleicht hätte er sich in der Öffentlichkeit gern als die | |
Frau gezeigt, die er war? Also habe ich beispielsweise für „K at the | |
roadside“ ein Bild von Hazel digital bearbeitet, K an ihre Stelle gesetzt | |
und den Fotoabzug per Hand koloriert. | |
Unterscheidet sich dieses Projekt von den Arbeiten, die Sie bislang mit | |
anderen Trans*-Leuten gemacht haben? | |
Ja, zum einen bin ich zu meinen Wurzeln als Malerin zurückgekehrt, was sich | |
sehr vertraut anfühlt. Zum anderen habe ich bislang immer eng mit den | |
Menschen zusammengearbeitet, um sie so zeigen zu können, wie sie sich | |
selbst sehen. Bei „Ken. To be destroyed“ sind alle Beteiligten tot. Ich | |
kann niemanden zu Gefühlen oder Gedanken befragen. Dadurch entsteht eine | |
viel intimere Arbeitsweise, und ich kann ganz anders in die Interaktion mit | |
den Bildern gehen. | |
Haben Sie nie Zweifel daran gehabt, ob es richtig ist, Ken auf eine Weise | |
zu präsentieren, wie er_sie sich nie öffentlich gezeigt hat? | |
Nein. Zum einen sind das fiktionale Fotografien. Sie bilden nichts ab, was | |
gewesen ist. Und außerdem gibt es bis zu einer wirklichen Akzeptanz von | |
Trans*-Leuten noch einen langen Weg, auch wenn sich schon viel bewegt hat. | |
Manchmal gibt es einfach den richtigen Zeitpunkt für bestimmte Dinge. Und | |
ich glaube, für das Projekt „Ken. To be destroyed“ ist jetzt der richtige | |
Zeitpunkt. | |
Vernissage heute im Schwulen Museum, 19 Uhr. Bis 30. Juni | |
17 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Hilke Rusch | |
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