# taz.de -- Patrick Grosse schaut sich am neuen „Kirsten-Heisig-Platz“ um: … | |
An der Karl-Marx-Straße steige ich aus der S-Bahn. Es ist kalt und neblig, | |
tristes Wetter an diesem Morgen im Norden von Neukölln. Die Straße ist | |
voll, der Lärmpegel hoch. Als ich in die Emser Straße einbiege, passen sich | |
die grau-gelben Häuserfassaden der tristen Stimmung an. Ich erreiche die | |
Kreuzung Emser/Kirchhofstraße. Mein Ziel. Genau hier soll am Freitag ein | |
neuer Platz eingeweiht werden. Oder anders gesagt: Der eher schmucklose | |
Fleck in Neukölln bekommt einen Namen. Nämlich den der ehemaligen | |
Jugendrichterin Kirsten Heisig. Doch einen Tag vor der Einweihung erinnert | |
so gar nichts an diejenige, die von manchen „Richterin Gnadenlos“ genannt | |
wurde. Vor mir liegt ein Platz, ein knochiger Baum steht in der Mitte. | |
Darum ein Blumenbeet. Ich entdecke eine Bäckerei, einen Kiosk, eine Kneipe | |
und ein Tattoo-Studio. Die Bebauung auch hier: grau in grau. Einfallslose | |
Graffitis schmücken die Wände. Zigarettenstummel zieren den gepflasterten | |
Boden. Eine Plastiktüte fliegt vorbei. An einer Wand hängt ein | |
Kaugummi-Automat, der vermutlich seit Jahren nicht aufgefüllt wurde. Zu | |
meiner Linken liegt die Feuerwache Neukölln, zwei Männer in Uniform | |
unterhalten sich. Ansonsten ist niemand zu sehen, nichts zu hören. Der | |
Trubel der Karl-Marx-Straße scheint weit entfernt. | |
Bevor sich Kirsten Heisig 2010 das Leben nahm, urteilte sie in Neukölln | |
über straffällige Jugendliche. Heisig wollte die Abläufe effektiver machen. | |
Ihr „Neuköllner Modell“ setzte sich in ganz Berlin durch. Bei kleinen | |
Delikten werden Jugendliche seitdem schneller vor Gericht gestellt. Aber | |
mit ihren Ideen traf sie nicht überall auf Zuspruch. Die Neuköllner SPD | |
hingegen will Heisig ein Andenken setzen – mit einem glanzlosen Platz, dem | |
„Kirsten-Heisig-Platz“. | |
In der Bezirksverordnetenversammlung stimmten SPD- und CDU-Fraktion im | |
letzten November dafür. Grüne und Linke enthielten sich. Die Piraten | |
lehnten den Antrag ab. „Heisig war für Neukölln und Berlin modellhaft und | |
wichtig“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Lars Oeverdieck. Die Neuköllner | |
Grünen sagten damals, Heisigs Modell sei gut gemeint, aber schlecht | |
gemacht. Ob Heisigs Arbeit gut oder schlecht war, sei dahingestellt. Ihr | |
Engagement hat Spuren hinterlassen. Sie verdient ein Andenken. Aber nicht | |
mit einem tristen Platz. | |
Der Bezirk fand einen Ort, der namenlos war, um den bürokratischen Aufwand | |
zu begrenzen. Kirsten Heisig steht ein ansprechenderes Andenken zu. So ist | |
die Idee nur gut gemeint, aber schlecht gemacht. | |
11 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Patrick Große | |
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