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# taz.de -- „Da zeigt sich ein aggressiver Antifeminismus“
> Geschlechter An der Freien Universität Berlin wird mit dem neuen
> Margherita-von-Brentano-Zentrum die Geschlechterforschung gestärkt. Die
> wissenschaftliche Leiterin, Margreth Lünenborg, über dessen Ziele, alte
> männlich geprägte Wissenschaftstraditionen und aktuelle Shitstorms
Bild: Hat sich dezidiert gesellschaftspolitisch positioniert: Namensgeberin des…
Interview Hilke Rusch
taz: Frau Lünenborg, Anfang des Jahres hat das
Margherita-von-Brentano-Zentrum (MvBZ) an der Freien Universität Berlin
seine Arbeit aufgenommen. Im Zentrum werden die Aufgaben der
Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung und
das Interdisziplinäre Zentrum Geschlechterforschung zusammengeführt und
erweitert. Was ändert sich?
Margreth Lünenborg: Das MvBZ hat jetzt einen klaren Forschungsauftrag. An
der FU findet Geschlechterforschung nicht innerhalb eines eigenen Fachs
statt, sondern trans- und interdisziplinär. Wir werden also verstärkt
Kolleg_innen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen
zusammenbringen, Impulse geben und so Forschungsprojekte initiieren.
Was haben Sie da konkret vor?
Die Projekte werden wir in der kommenden Zeit erst entwickeln, aber klar
ist, dass wir transkulturelle und transnationale Perspektiven verstärken
werden. An der FU haben die Regionalwissenschaften eine große Bedeutung,
daraus können wir schöpfen. Wir sind überzeugt, dass globale
Wandlungsprozesse ohne den Blick auf die darin wirkenden
Geschlechterordnungen nicht zu verstehen sind.
Was bedeutet das?
Ein Beispiel ist die aktuelle Debatte in Deutschland: Da wird die Sorge
geäußert, dass sich durch die globale Migration Geschlechterarrangements in
Deutschland verändern, dass es durch eine stärkere Präsenz des Islam zu
einer Maskulinisierung der Öffentlichkeit kommt. Medien spielen dabei eine
zentrale Rolle, sie beeinflussen, welche Konzepte von Männlichkeit und
Weiblichkeit als modern, welche als traditionell gelten. Ein anderes
Beispiel ist die weibliche Migration: Frauen verlassen auf der Suche nach
Arbeit ihr Herkunftsland oder auch gleich den Herkunftskontinent und müssen
ihre Kinder oft zurücklassen. Die werden dann meist von den Großeltern
versorgt. Mit digitalen Medienpraktiken wie beispielsweise Skype können
Familienbeziehungen weiter aufrechterhalten werden. Konzepte von Autonomie,
Fürsorge oder Liebe müssen da aber ganz neu gedacht werden, so entstehen
veränderte Geschlechterverhältnisse. Beide Beispiele zeigen, dass globale
Ungleichheiten und erzwungene Wanderungsbewegungen zu veränderten Familien-
und Geschlechterarrangements führen. Genau solche Zusammenhänge wollen wir
untersuchen.
Welche Rolle spielt dabei die Namensgeberin des Zentrums, die Philosophin
und erste Frau im Amt der Vizepräsidentin Margherita von Brentano?
Für uns ist sie programmatisch bedeutsam. Zum einen hat sie sich dezidiert
gesellschaftspolitisch positioniert. Das, was an der Uni passiert, nämlich
Erkenntnisproduktion, hat sie als gesellschaftliche Aufgabe begriffen.
Außerdem hat sie sich schon in den 1960er Jahren kritisch mit der Stellung
von Frauen in der Wissenschaft beschäftigt. Sie hat das Geschlecht der
Wissensproduktion in den Blick genommen: Wer forscht, und welchen Einfluss
hat das auf die Forschung?
Das müssen Sie erklären: Inwiefern hat das Geschlecht einen Einfluss auf
das Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit?
Jede Erkenntnis ist immer an den oder die Erkennende gebunden. Ich kann die
Position, aus der heraus ich forsche, nicht einfach abstreifen. Zudem ist
Wissenschaft als Institution historisch männlich gewachsen und hat immer
wieder Idealtypen generiert – wie zum Beispiel die Figur des Genies, die
ausschließlich männlich gedacht ist. So eine Tradition lässt sich nicht
einfach abschütteln. Aber in großen Teilen der sozial-, geistes- und
kulturwissenschaftlichen Forschung ist es inzwischen Konsens, dass wir als
Forschende nicht außerhalb dessen stehen, was wir untersuchen. Wir sind in
unser Untersuchungsfeld eingebunden, und das prägt unsere Perspektive.
Was bedeutet denn das für die wissenschaftliche Arbeit, wie lässt sich
damit umgehen?
Wir müssen genau das im Erkenntnisprozess reflektieren: Wie schreibt sich
da mein Geschlecht, aber auch meine ethnische oder meine ökonomische
Position ein? Eine Universität wie die FU, die sich auch „internationale
Netzwerkuniversität“ nennt, muss sich fragen: Wie divers, wie plural, wie
multiperspektivisch sind wir eigentlich in der Forschung, aber auch in der
Interaktion mit Studierenden?
Und? Wie multiperspektivisch ist sie, die FU?
In den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften haben wir an der FU ein
breites Repertoire an Erkenntnisbeständen im Hinblick auf
Geschlechterforschung. Die Naturwissenschaften beziehen
Geschlechterperspektiven deutlich seltener mit ein. Aber zumindest die
eigene Fachgeschichte wird in den Blick genommen: Wie waren Frauen
eingebunden – oder auch nicht? Gerade diese Fächer wollen Studierende auch
in ihrer Diversität ansprechen, also auch über den tradierten Kernbestand
junger Männer hinaus. Aber es ist genauso wichtig, in der
Grundlagenforschung Perspektiven von Geschlecht mitzudenken.
In den letzten Jahren erfahren feministische Positionen starken Gegenwind,
etwa durch sogenannte Männerrechtler, die sich gegenüber Frauen
benachteiligt fühlen. Erleben Sie das auch in Ihrer Arbeit?
Ja. Da zeigt sich ein offensiver und aggressiver Antifeminismus, und der
trifft uns auch als Forschende und Lehrende. In Berlin hat es
beispielsweise massive Angriffe auf Forscher_innen gegeben, die sich darum
bemühen, sprachliche Variationen zu generieren, um verschiedene
Geschlechtsidentitäten zu erfassen.
… wie Lann Hornscheidt, Profx an der Humboldt-Universität. Hornscheidt bat
darum, geschlechterneutral angesprochen zu werden und musste einen
Shitstorm über sich ergehen lassen. Wie geht man damit um?
Das sind politisch hochbrisante Rahmenbedingungen. Es ist wichtig, weiter
in diesen Feldern zu arbeiten und sichtbar zu bleiben – als Form von
Solidarisierung, aber auch als kommunikative Gegenmaßnahme. Und wir haben
die Aufgabe, zu schauen, wie hier der Bedarf an kritisch-feministischer
Wissensproduktion aussieht. Es ist ja kein Zufall, dass sich solche Formen
von Aggressivität gerade jetzt zeigen, das zeugt von massiven
Abwehrkämpfen. Die Angriffe sind eine Reaktion auf einen Wandel von
Geschlechterordnungen und damit auf den Verlust von Stabilität.
8 Mar 2016
## AUTOREN
Hilke Rusch
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