# taz.de -- Hausbesuch Sie leben zu elft in einem Haus in Heidelberg – und fi… | |
Bild: Eine WG mit drei Stockwerken: Studenten des Collegium Academicum | |
Von Lena Müssigmann (Text) und Alex Fischer (Fotos) | |
Plöck 93, Heidelberg. Zu Besuch beim Collegium Academicum, einer Elfer-WG | |
mit besonderer Vergangenheit und einer Vision für die Zukunft studentischen | |
Wohnens. | |
Draußen: Schmale Altstadtstraße, eine grüne Haustür voller Graffiti. Im | |
düsteren Durchgang zum Innenhof stehen Fahrräder und ein Sofa. An einer | |
Schnur hängen Lampions und Weihnachtskugeln. Dann öffnet sich das | |
Hofdreieck zum Himmel. | |
Drinnen: In drei Etagenwohnungen leben elf Leute. „Drei WGs, aber ein Haus, | |
ich kann hochgehen und aufschließen“, sagt Louisa Grabert, 23, Bewohnerin | |
der unteren WG. Die Wäscheständer tragen Wollsocken und bunte Tücher, an | |
den Wänden hängen Poster: Kurt Cobain neben einem weißen Kätzchen aus dem | |
Medizini-Heft. | |
Wer macht was? Mathis Wiek (20, „auch genannt Hausbaby“) studiert Geografie | |
und ist gerade erst eingezogen. Henrik Eckhardt, 26, wohnt am längsten im | |
Haus, seit vier Jahren, er studiert Physik. Die meisten der neun anderen | |
sind auch Studenten. | |
Alltag: Fixpunkte des Gemeinschaftslebens sind Essenszeiten in den drei | |
Küchen oder das sonntägliche „Mausfrühstück“ vor dem Fernseher im Zimmer | |
von Malin Bigos, 27, angehende Ärztin. Freiheiten? Regeln? „Wer den Müll | |
runterbringt, steht in einem Plan, an den man sich halten muss, das wird | |
nicht ausdiskutiert“, sagt Maurice Frank, 21. | |
Einsam? Wenn man heimkommt, ist schon jemand da. Ruhe gibt es in der | |
Uni-Bibliothek hundert Meter weiter – selten nur schleicht sie sich doch | |
mal in die WG. „Es ist ungewohnt, wenn man merkt, es ist keiner da“, sagt | |
Louisa. „Creepy“, findet Malin. WG ist für sie wie Familie – „nur weni… | |
Streit“. | |
Was hält sie zusammen? Tradition und Idee des Collegium Academicum: Es | |
wurde 1945, „zur Demokratisierung der Jugend“ von der Universität | |
gegründet. In der Heidelberger Seminarstraße 2 lebten damals Studenten | |
selbstverwaltet zusammen und etablierten sich zum Kulturzentrum – bis die | |
Uni das Gebäude 1978 räumen ließ und zum Verwaltungsstandort machte. In der | |
ersten Epoche des CA gehörten Reinhard Bütikofer, späterer | |
Bundesvorsitzender der Grünen, und Schriftsteller Rafik Schami zur Gruppe. | |
1985 hat ein Verein von ehemaligen Bewohnern des CA das Haus in der Plöck | |
angemietet, um das selbstorganisierte Wohnen wiederaufleben zu lassen – | |
diese zweite Epoche dauert bis heute an. Seit drei Jahren arbeiten die | |
Bewohner und ein paar Unterstützer darauf hin, eine dritte Phase mit dem | |
wohl ehrgeizigsten Projekt der CA-Geschichte zu verwirklichen. | |
Das Projekt: Die Bewohner wollen ein großes selbstverwaltetes Wohnprojekt | |
in Heidelberg schaffen. Für 200 Studenten. Mit Veranstaltungsräumen für | |
Vorträge, Musik und Theater. Mit Fahrradwerkstatt, einem Café, einer | |
Redaktion für die Studentenzeitung. Mit Kleidertauschpartys und einem Lager | |
für Produkte aus solidarischer Landwirtschaft zur Versorgung der | |
Stadtbewohner mit frischem Gemüse. Dafür hat die Wohngemeinschaft zusammen | |
mit Unterstützern eine GmbH gegründet und Gespräche mit der Stadtverwaltung | |
geführt. Es sieht so aus, als ob das ehemalige Militärkrankenhaus in | |
Heidelberg dafür in Frage kommt, wie die Gruppe berichtet. Ein Mix aus | |
altem Gebäude und Neubauten schwebt den Erfindern der Idee vor, sie haben | |
mit Architekten zusammengearbeitet und Pläne entwickelt, die längst keine | |
Luftschlösser mehr sind. | |
Gelernt? Sie wollen dort später nachhaltig leben, jeder vom Wissen des | |
anderen profitieren – wie schon jetzt im Kleinen. „Henrik kann mir alles | |
über Mülltrennung erzählen, das konnte ich nicht richtig. Wie man | |
Schwarzwurzeln kocht, wusste ich vorher auch nicht“, sagt Maurice. Durch | |
ihr Projekt haben sie gelernt: wie man Verhandlungen mit der | |
Stadtverwaltung führt und mit Geldbeträgen hantiert, die sie auf ihren | |
eigenen Konten nur mit zwei Nullstellen weniger kennen. Zur Finanzierung | |
wollen sie Darlehen, auch von Privatleuten, einholen und durch | |
Mieteinnahmen zurückzahlen. | |
Wie finden sie Merkel? „Ich glaub, ich geh raus“, sagt Henrik auf die Frage | |
– es gibt keine geouteten CDU-Wähler in der WG. Margarete Over, 23, sagt: | |
„Lange wurde ihr vorgeworfen, dass sie für nichts steht. Jetzt steht sie | |
für was und bekommt Gegenwind.“ Dass sie trotzdem bei ihren Entscheidungen | |
in der Flüchtlingspolitik bleibt, schätzen die Bewohner. | |
Wann sind sie glücklich? „Wenn’s warm ist, mit dem Sofa aus dem Hof drauß… | |
auf der Plöck sitzen“, sagt Louisa. „Morgens meine Tomaten anschauen und | |
sehen, wie weit sie gewachsen sind“, sagt Henrik. Franziska Meier, 26, | |
träumt vom Sommer: „An der Neckarwiese ins Wasser gehen, mich mit dem Strom | |
treiben lassen, an einem Tag ganz ohne Verpflichtungen.“ | |
Sie möchten auch besucht werden? Schicken Sie eine Mail an: | |
[email protected] | |
5 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Lena Müssigmann | |
Alex Fischer | |
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