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# taz.de -- Im Anwohnerpark
Manja Präkels
## Teil 25: Der Kuckuck kommt zum Esel
Guten Morgen, du Schöne!“
„Woher die jute Laune?“
„Schlechte Menschen haben immer jute Laune.“
„Und die Juten?“
„Keine Ahnung.“
Eine ganze Woche lang hatte Hildegard im Bett gelegen und die Welt
verflucht. Kein Tropfen Bier war durch die Zapfhähne des blaulicht
geflossen, was einer Katastrophe gleich kam, so kurz auf knapp, im Winter,
wenn die Außentische leer und Zufallsgäste rar blieben. Wie so oft war es
Fritze gelungen, die aufkommende Pleitepanik zu vertreiben, indem er
Hildegard überzeugte: „Du brauchst eine neue Karte!“ Und in der Tat war es
das Letzte, worauf sie selbst gekommen wäre. Nun saßen sie, über einen
großen Taschenrechner gebeugt, am Tresen. Fritze las die Lieferlisten gegen
und hatte bereits die erste Entscheidung gefällt. Die Bierpreise müssten
erhöht werden. Na, das würde vielleicht Ärger geben ...
Wollte nicht der Frühling kommen? Graukalt lag die Straße nördlich des
Fernsehturms, abweisend und erschöpft. Das Morgengewimmel aus tropfenden
Nasen, eiligen Füßen und heruntergezogenen Kapuzen hatte sich verflüchtigt.
Doch der Wind ließ so wenig nach, wie die Bauarbeiten, die die Gegend
zwischen Kaufhalle, Friedhof, blaulichtund Bioladen seit dem vergangenen
Sommer in Atem hielten.
„Ey Alter, wer hat schon wieder die verfickte Bohrmaschine hier
wegjenommen?“
„Woher soll ick dit wissen?“
„Ick dreh gleich durch!“
Hatten diese Bauarbeiter-Orks nicht endlich Pause? Ungeduldig hockte der
krumme Komponist auf seinem Küchenstuhl und wartete auf eine Gelegenheit,
seine Wohnung verlassen zu können. Er mochte weder das Klavier anfassen,
noch Partituren lesen, geschweige denn irgendjemand begegnen. Dabei
fürchtete er weniger die haarlosen Kerle, als das, was sie verkörperten.
Typen wie die hatten Mitja auf dem Gewissen, den Schüchternen, den Sanften.
Die erste große Liebe, damals, in der Sowjetunion. Eine Träne lief ihm über
das Gesicht. Der Komponist hatte keine Lust, sich zusammenzureißen, schloss
die Augen und wünschte sich fort. Nur wohin?
Sprottenpeter saß fernab des Marktgetümmels in einem Nebengang der Halle
und zupfte an seiner Gitarre. Eigentlich wäre es jetzt Zeit gewesen, die
frische Lieferung Dorsch zu zerlegen. Aber der Chef war im Urlaub, die
Kollegin krank und Peter seit vier Uhr in der Frühe allein am Stand. Er
zündete sich eine Zigarette an, ohne das Instrument aus der Hand zu legen,
steckte sie in den Mundwinkel und begann zu spielen: „My Lady D’Arbanville,
why do you sleep so still?“ Seine Finger würden sich noch im Schlaf an den
Song erinnern, so oft hatte er damit die Mädchen bezirzt. Im Grunde
genommen war es, abgesehen von ein paar Pionierliedern, der einzige Song,
den er auswendig kannte. Peter wünschte sich Django zur Seite, den besten
Gitarristen der Welt. Der konnte wirklich spielen und auch viel besser
Englisch als er. Aber der Junge hatte schlimme Probleme. Sehr schlimme
sogar.
„Wat is denn hier los?“
Die Schlange vor dem blaulicht reichte bis hinüber zur Kaufhalle. Durch die
Scheibe drangen gierige Blicke in den Gastraum. Hildegard erkannte im
Gedränge die versammelte Stammkundschaft, aber wo kamen plötzlich all die
fremden Gesichter her? Sie zögerte aufzuschließen. Verunsichert drehte sich
die Wirtin noch mal zu Fritze um, der mit unschuldsvoller Miene hinterm
Tresen stand:
„Na die alten Preise gelten doch nur noch bis Montag.“
„Und woher wissen die dit?“
Fritze grinste und schwieg.
Im benachbarten Bioladen drängte trippelnd eine Gruppe Zwerge in den Raum.
Sie sagten kein Wort, hielten sich bei den Händen und bewegten ihre
kleinen, schwarzen Köpfe wie Rundumleuchten kreuz und quer an den Regalen
entlang. Fast erleichtert legte Nura, die heute den Laden schmiss, das
Lehrbuch zur Seite. Den halben Tag war nichts los gewesen. Sie hatte sich
der Prüfungsvorbereitung gewidmet. Blödes Thema, öder Stoff. Da war sie für
jede Abwechslung dankbar.
„Naaaa. Waaasss sooolls deeenn seeein?“
Mit offenen Mündern blickte das Zwergenvolk der usbekischen Aushilfskraft
entgegen.
„Veeerrrstäht iiiehrrr mieeech?“
Akzent hin oder her. Die Kleinen guckten weiter wie die Uhus. Nuras Chefin
Anne hatte ihr schon viel von den Flüchtlingen in der Turnhalle erzählt.
Anscheinend gehörten diese Kinder dazu. Aber was, beim Barte des
Schneeleoparden, wollten die ausgerechnet im Bioladen? Kaum hatte Nura den
Gedanken zu Ende gedacht, da stürzte eine stattliche Person mit weichen
Brüsten und buschigen Augenbrauen in den Laden. In einer Nura unbekannten
Sprache wandte sie sich den Kindern zu, die augenblicklich wieder
hinaustappsten, um vor der Tür auf sie zu warten: „Kaaan iiiech cheeelfen?“
Die Frau lächelte verlegen und hob kurz die Hand zum Abschied. Nura
beobachtete durch das Schaufenster, wie die Gruppe in einem Hauseingang
gegenüber verschwand. Sie hatten sich wohl in der Adresse geirrt.
Enttäuscht schlug sie das Lehrbuch wieder auf: „Agrarökologie in der
bäuerlichen Praxis.“ Vielleicht hatte ihr Vater doch recht. Wer den Sohn
des Bürgermeisters heiratet, kann ruhig doof sein. Oder faul. Oder beides.
Vergeblich klingelte Sprottenpeter an Djangos Tür im letzten unsanierten
Haus. Seit der Mittagspause hatte er an ihn denken müssen und sich
ernsthaft Sorgen gemacht. Augenscheinlich stand es nun noch schlimmer als
zuvor. Die Wohnung war von einem Gerichtsvollzieher versiegelt worden. Von
Django fehlte jede Spur. Vielleicht würden sie drüben im blaulicht etwas
wissen?
„Django? Lass mich bloß mit dem in Ruh!“
Hildegard war immer noch stinksauer. Vor allem dachte sie an Lale und
daran, wie der Blödmann dem Mädchen das Herz gebrochen hatte – so oder so.
Doch Peter, der liebenswürdige Seebär, ließ einfach nicht nach.
„Und wenn er sich was angetan hat?“
„Quatsch. Frag doch den Russen, diesen krummen Komponisten. Der ist sein
Nachbar – noch …„
3 Mar 2016
## AUTOREN
Manja Präkels
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