# taz.de -- Mit Macht spielen | |
> Kunst Tobias Madison inszeniert, malt, ist mal Autor, Kurator oder | |
> Performer. Der Schweizer Künstler arbeitet selten allein. Seine | |
> Ausstellung in Hannover geht an die Grenzen der Kunst | |
Bild: Tobias Madison, Still aus „das blut, im fruchtfleisch gerinnend beim bi… | |
VON Beate Barrein | |
Die beige melierte Auslegeware dämpft die Schritte. Es ist aufgeräumt. | |
Einzig der große Spiellöwe mit kaputtem Gipskopf und Holzbeinen darf schräg | |
im Raum stehen. Wir bahnen uns den Weg um eingeschweißte Paletten mit | |
Zementsäcken in den Gängen der Kestnergesellschaft Hannover. Die ovalen | |
Fenster des ehemaligen Jugendstil-Stadtbades sind orangerot gefärbt. Das | |
dauerhafte Sonnenauf- oder eben -untergangslicht schließt uns ein. | |
Ein gute Woche vor Beginn seiner Ausstellung hatte Tobias Madison hier noch | |
mit Kindern einer evangelischen Kita aus Hannover-Hainholz gedreht, einem | |
Brennpunktbezirk. Die Spielsachen-Requisiten lagen verstreut herum, die | |
Kinder turnten durch alle Räume. Madison selbst hatte, wie er sagt, nur das | |
Grundgerüst vorgeben. Der gerade 30-Jährige arbeitete, wie so oft an den | |
vielen wichtigen Kunstorten, mit einem Stab von global organisierten | |
Kreativen. Sie schätzen sich, Freundschaft sei hier ein „Surplus“. Für das | |
Setdesign etwa hat er Mathias Renner engagiert. Der Londoner | |
Interieurdesigner adaptierte auf Basis des Werkkataloges und des Films die | |
Ausstellungsräume, mit offenen Rückansichten der Trennwände, Hindernisse | |
und dunklen Gänge. | |
Zum Film, dem Zentralstück der Schau, geht es also teppichgepolstert vorbei | |
an der Serie „Untitled“. Vier verschieden große, kassettenfensterartige | |
Reliefs sind weit über das Foyer verteilt, bemalt mit dem jodhaltigen | |
Desinfektionsmittel Betadine. Braunorange, leicht durchsichtig und opak, | |
wie schon bei Francesca Pia, Zürich, im letzten Jahr zu sehen. Kein | |
Tageslicht, auch nicht im Raum mit dem Spiellöwen. Im orangeroten Schein | |
geht es dahinter nach oben in die große Halle, wo die schwärzliche Fassade | |
einer Geisterbahn aufragt, bemalt mit Gruselgestalten, bestimmt sechs Meter | |
hoch – als „Vapour in Debri“ 2014 im Modern Institute Glasgow installiert. | |
Gehen die Besucher hindurch, beginnt die Welt der Kinder des Tobias Madison | |
in seiner 33-minütigen Videoarbeit. Direktorin Christina Végh ruft: „Sehen | |
Sie sich alles bewusst an. Danach werden Sie es anders wahrnehmen.“ | |
## Der Märchenerzähler | |
Bereits für Carnegie International 2013 hatte der Wahlzüricher zusammen mit | |
Kindern und Jugendlichen eines Förderprogramms gedreht. Immer wieder baut | |
Madison in seine Arbeiten Referenzen ein, an eigene Werke und an Vordenker, | |
die ihn beeindruckt haben. Hier hat er sich den Experimentalfilm „Emperor | |
Tomato Ketchup“ (1971) des Japaners Schuji Terayama vorgenommen. Keine | |
leichte Kost. Terayama kritisierte damals die Indoktrination der | |
maoistischen Linken in Japan. | |
Kinder zwischen sechs und 13 Jahren mit Masken, Gesichtsbemalung, Umhängen, | |
Uniformen, Hauben aus goldenen Perlen, Fahnen schwenkend und mit | |
Maschinengewehren haben Sprech-, Performance- und Tanzeinsätze. „Mich hat | |
interessiert, dass diese Kinderrevolution gleichzeitig eine Form von | |
politischer Satire ist und eine Projektionsfläche für die Ideale des | |
aufkeimenden Anarchismus.“ Vielleicht sollen die bunt bemalten | |
Soldatenhelme freundlich wirken. Weniger freundlich wirkt dann, wie die | |
Kinder einen Gefesselten durch die Gegend bugsieren, die Waffen auf ihn | |
gerichtet. Ein Aufstand als Rollenspiel? „Ich habe dabei extrem viel | |
gelernt über die subtilen Machtausübungen der Kinder beim Spiel“, sagt | |
Madison. Es sei alles vorher mit der pädagogischen Leitung des Projekts | |
abgestimmt worden und vor allem mit den Eltern. Der Filmtitel „das blut, im | |
fruchtfleisch gerinnend beim birnenbiss“ ist auch der Titel der | |
Ausstellung. „Ein klar abgegrenzter Moment“, ergänzt Direktorin Végh. | |
Heute wachsen Kinder mit Nachrichten über Gewalt und Krieg auf, während sie | |
noch Märchen hören. Wir Erwachsenen sehen hier Kindersoldaten statt des | |
Rollenspiels. Regisseur Madison sieht die Politik der Kinder. So | |
funktioniert der Film, auch ohne dass man das japanische Vorbild kennt. | |
## Klar und nicht autoritär | |
Die Instrumentals des Videos stammen vom New Yorker Stefan Tcherepnin. „95 | |
Prozent davon sind von ihm“, sagt der gebürtige Baseler Madison. „Meine | |
klare Autorenstimme interessiert mich nicht so.“ Allerdings sei es für die | |
Art und Weise, wie man zusammenarbeitet, „am sinnvollsten, wenn es ein | |
bisschen klar verteilt ist“. Das dürfen dann seine Mitarbeiter mit seiner, | |
wie er sagt, „nicht autoritären Figur“ in Einklang bringen. Das Netzwerk | |
von Künstlerfreunden baute er sich schon vor Studienende 2011 an der | |
Zürcher Hochschule der Künste auf. Währenddessen betrieb Madison bereits | |
den Off-Space „New Jersey“ in Basel. Aktuell hat er den Kunstraum „AP New… | |
in Zürich. Wozu braucht er da noch Institutionen? „Ich brauche den | |
Austausch mit Räumen, mit den Kuratoren und die feinen Unterschiede, wie | |
diese Räume geführt werden. Das ist Nährstoff für mein Denken, für mein | |
Arbeiten.“ | |
Und tatsächlich hat sich nach dem Film etwas verändert. Aber nicht so sehr | |
hinsichtlich der Ausstellung, sondern in Bezug auf Richtig und Falsch, auf | |
Kunst und Realität. In seiner Schweizer Heimat spaltet der globale | |
Netzwerker und Überflieger die Kunstwelt. Zuletzt war Madison mit einer | |
Einzelausstellung 2013 in der Kunsthalle Zürich und mit anderen im | |
Fridericianum in Kassel. Eine nächste Arbeit dreht sich kurioser- oder auch | |
konsequenterweise um die Polizei. Madisons Augen funkeln. „Die Polizei ist | |
überall die Ausführerin des Monopols, das der Staat auf Gewalt hat.“ Seine | |
Macht ist hier. | |
Bis 24. April, Kestnergesellschaft, Hannover | |
29 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Beate Barrein | |
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