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# taz.de -- Konferenz der Äpfel und Birnen
> Markt Food Assemblys sind eine Art Wochenmarkt und eine Mischung aus
> Solidarischer Landwirtschaft und Interneteinkauf. In Deutschland gibt es
> bisher 16 Assemblys, die meisten davon in Berlin
Bild: „Richtig knackig“: Bäuerin Angelika Fietze-Glawe freut sich über da…
von Ralf Hutter
Wenn im Café „Food Hero“ in der Kreuzberger Graefestraße Markttag ist, da…
ist es weder laut noch gehetzt oder unübersichtlich, es wird nicht
verhandelt und niemand versucht, einem Kunden etwas anzudrehen. Nur eng ist
es, wie so oft auf Märkten. Die Hälfte der Café-Breite wird vom Tresen
eingenommen, an den Tischen daneben befinden sich die kleinen Stände.
Gleich am Eingang, die Tür schlägt fast gegen die Tische, gibt es das
Gemüse. Hier sitzt ein Imker mit Honig und Kerzen, und dahinter wartet ein
Mitarbeiter eines nordbrandenburgischen Hofs mit einer Kühltruhe voller
Produkte vom Sattelschwein. Käse gibt es am Tresen. Wer donnerstags
zwischen 18 und 20 Uhr ins Food Hero kommt, hat Lebensmittel im Internet
bestellt und wird am Eingang in Empfang genommen. Die Bestellnummern weisen
der Kundschaft den Weg zu den betreffenden Ständen. Es wird sich geduzt und
geplaudert.
Food Assembly heißt das Konzept, das den Online-Einkauf mit der Förderung
regionaler Lebensmittelherstellung verbindet. „Assembly“ heißt auf Englisch
Versammlung. Eine Food Assembly versammelt einmal pro Woche verschiedene
Erzeuger für ungefähr zwei Stunden, in denen sie die Produkte verteilen,
die die Kundschaft vorher im Internet geordert hat. Das Gesamtangebot
variiert je nach Assembly, aber neben Obst und Gemüse gibt es oft Fleisch
und Honig, mal Tofu, Käse, Brot oder Eier, manchmal auch ausländische
Produkte von regionalen Händlern.
## Streicheleinheiten inklusive
Den größten Stand bei der kleinen Marktversammlung im Food Hero hat
Angelika Fietze-Glawe von der Luch-Gärtnerei in Märkisch Luch. Fietze-Glawe
macht seit zwei Jahren keine Märkte mehr. Für kleine Erzeuger sei es wegen
der abnehmenden Zahl der Kunden schwieriger geworden, dort überhaupt einen
Stand zu bekommen, sagt sie. Und dann muss der Stand sich auch noch
rentieren. Food Assembly ist für sie sehr nützlich, denn sie kann und will
auf ihren paar Hektar nicht so viel produzieren, wie der Großhandel
braucht. „Ich bin mehr auf der Schiene, Direktkontakt zum Verbraucher zu
haben“, sagt die Bäuerin. „Da krieg ich gleich meine Streicheleinheiten:
Mann, das sieht toll aus, das ist aber knackig, so hab ich das noch nie
gehabt.“
Die untersetzte und rundliche, aber kräftig und energisch wirkende
Landwirtin plauscht sichtlich gern mit der Kundschaft, gibt Tipps und
andere Infos zu den Lebensmitteln. An drei Tagen in der Woche kommt sie
nach Berlin, um mit einer Hilfskraft fünf Assemblys zu beliefern. Die
Assembly-Mitglieder vom Food Hero loben sowohl Frische und Geschmack der
Produkte als auch den direkten Kontakt. Die Bäuerin hat den Eindruck
gewonnen, dass die Leute sich für ihren Hof interessieren: „Die möchten
gern wissen, was wir machen. Es ist ein Geben und Nehmen.“ Es seien schon
Leute zum Helfen auf den Hof gekommen. Demnächst will Fietze-Glawe alle von
ihr belieferten Assemblys bitten, ihr beim Bau von Hochbeeten zu helfen.
Die Art der Kooperation ist bisher vom Konzept „Solidarische
Landwirtschaft“ bekannt. Dabei verpflichten sich die Mitglieder zu
wöchentlichen Abnahmen der Lieferungen zu einem Festpreis, unabhängig von
Art und Umfang der Produkte. Dieses Konzept verfolgt die Luch-Gärtnerei
ebenfalls. Fünf Abholstellen mit insgesamt 30 Mitgliedern beliefere sie
wöchentlich und zu einem geringeren Preis als die Food Assembly, sagt
Angelika Fietze-Glawe. Ihr Fazit: „Beide Konzepte ergänzen sich. Sehr gut
sogar.“
## Milch gibt es noch nicht
Auch Food-Assembly-Mitglieder werden für die Probleme der Bauernhöfe
sensibilisiert, wie Trockenheit und unregelmäßiger Absatz. Die Kundin Anna
zum Beispiel sagt, sie versuche, möglichst oft hier zu kaufen, denn sie
wisse, dass Konstanz für den Hof wichtig ist. Dabei kann ihre Nachfrage gar
nicht ganz gestillt werden: „Ich würde sehr gern Milch direkt beim Bauern
kaufen, weil ich das Wahnsinn finde, wie da die Preise sind und dass da
beim Bauern überhaupt nichts hängen bleibt. Aber bis jetzt war bei meiner
Food Assembly noch keiner dabei, der das angeboten hat. Das ist sehr
schade.“
In der Hauptstadtregion ist es wegen der agrarischen Großstrukturen
Brandenburgs generell schwierig, Erzeuger zu finden, die den Ansprüchen von
Food Assembly genügen, beklagt Veronica Veneziano vom
Food-Assembly-Organisationsteam. Vor allem auf Käse und Brot treffe das
zu: „Käsehersteller, die wirklich traditionell arbeiten, und Bäcker, die
wirklich backen und nicht fertige Backmischungen verkaufen, sind in Berlin
schwer zu kriegen. Manchmal fehlen ihnen die Kapazitäten, Assemblys zu
beliefern.“
Hinzu kommt der Anspruch an Regionalität: Eine Bäckerei im Raum Berlin,
die ihr Getreide aus Süddeutschland bezieht, könne nicht mitmachen, sagt
Veneziano. Regionalität bedeutet hier einen Radius von in der Regel maximal
150 Kilometern. In Berlin betrage die durchschnittliche Entfernung zum
Herkunftsort der Produkte weniger als 50 Kilometer, berichtet Veneziano.
Es geht um regionale Wertschöpfung. Zu diesem Zweck wurde das Konzept Food
Assembly ab 2010 in Frankreich ersonnen. 2014 expandierte es nach
Deutschland, Großbritannien, Spanien und Italien, 2015 nach Belgien.
Exportiert wird vor allem die Onlineplattform. Food Assembly ist ein
Unternehmen mit Sitz in Paris, wo knapp die Hälfte der europaweit rund 100
Angestellten arbeitet. Es sucht die Erzeuger aus und macht Vorgaben zu
Landbau und Tierhaltung, zertifiziert aber nichts.
## Bezahlung mit Kreditkarte
In Deutschland gibt es 16 Assemblys, die meisten davon in Berlin. Rund 20
weitere sind in Vorbereitung. Von den 11.000 registrierten Menschen haben
aber erst 3.000 schon mal etwas bestellt. Bei Food Hero ist es ähnlich:
Rund 800 Menschen sind hier registriert, für heute haben aber nur 18
bestellt. Mehr als 26 waren es noch nie. „Das ist ein trauriges
Verhältnis“, sagt Daud Zulfacar, der Café-Betreiber. Ein Grund für dieses
Missverhältnis ist sicherlich, dass derzeit nur mit Kreditkarte bezahlt
werden kann.
In Frankreich sind Kreditkarten akzeptierter, da ist auch das Verhältnis
von Registrierten und Bestellenden besser. Über 700 französische
Abholstellen zeigt die Food-Assembly-Landkarte an. Einige haben über 2.000
Mitglieder, sagt Veronica Veneziano. Manch eine französische Abholstelle
finanziere sich komplett durch die Food Assembly.
Die Gastgeber erhalten von jedem Erzeuger 8 Prozent der Verkaufseinnahmen.
Die Firma hinter Food Assembly bekommt ebenfalls 8 Prozent. „Der Produzent
bekommt über 80 Prozent vom Endpreis“, hält Veneziano fest. „Im Großhand…
sind es zwischen 20 und 40 Prozent.“
Das Unternehmen Food Assembly ist in Deutschland noch nicht rentabel. „Der
Plan ist, in zwei oder drei Jahren richtig rentabel zu sein“, sagt
Veneziano. „Dafür werden 300 bis 400 Assemblys nötig sein.“ Bis dahin
schießt das französische Mutterunternehmen zu.
## Märkte schlechter besucht
Aber trägt Food Assembly nicht dazu bei, dass Märkte schlechter besucht
werden, weil sich der Handel komplett ins Internet verlagert? Angelika
Fietze-Glawes Gesicht wird ernst: „Die Zeit ist so, dass das Internet
vorrangig ist. Wenn ich als Kleinbauer da nicht mitgehe, bin ich verloren“.
Während der Bio-Verband Naturland das Konzept auf Anfrage als
vielversprechend bezeichnet, äußert sich der Verband Bioland skeptischer:
Lieferservices gebe es bereits, und ein Marktstand mit zusätzlicher
Online-Bestellmöglichkeit sei wegen der Laufkundschaft besser und nicht
unbedingt teurer. Allenfalls für Erzeuger, die nicht genug Absatzwege
haben, sei Food Assembly reizvoll, findet Bioland. Deshalb sei das Konzept
auch keine Konkurrenz – sondern eine Ergänzung zum Wochenmarkt.
25 Feb 2016
## AUTOREN
Ralf Hutter
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