# taz.de -- Heimweh In Eritrea hat seine Mutter immer gekocht. Seit er geflohen… | |
Bild: Mesgine Estfanuse in seinem Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft. Er koch… | |
Von Maria Gerhard | |
Wenn Mesgine Estfanuse Zwiebeln schneidet, ist er in Gedanken in Eritrea. | |
Er sieht dann seine Mutter vor sich, wie sie vor ihren Töpfen steht, eine | |
Hand in die Hüfte gestemmt, und langsam darin rührt. Er erinnert sich an | |
die brennende Schärfe ihres Essens, den Geschmack nach Ingwer und Chili. | |
Jahrelang hat sie für ihn gekocht. Jetzt muss er es selber tun. | |
Sein Flüchtlingsheim liegt in Berlin-Treptow, zwischen Schnellstraße und | |
Aldi. Die Vorhänge sind zugezogen, Fernsehkabel quer über die Hauswand | |
gespannt. 220 Menschen leben hier, sie kommen aus Ägypten, Syrien, dem Irak | |
und eben Eritrea. Am Eingang steht ein Sicherheitsmann. | |
Mesgine Estfanuse, der 21 ist und scheue Augen hat, war gleich dazu bereit, | |
als wir in der Unterkunft gefragt haben, ob einer der Flüchtlinge Lust | |
hätte, mit uns zu kochen. Er hat „Tsebhi“ vorgeschlagen, einen scharfen | |
Rindereintopf. Estfanuse hat ein Einzelzimmer. Hier bereitet er meistens | |
sein Essen vor. In der Küche, zwei Räume weiter, hält er sich nicht gerne | |
auf. „Da kochen viele, und manchmal ist es schmutzig“, sagt er. | |
Während er die Zwiebeln mit einem stumpfen Messer bearbeitet, schaut eine | |
Madonna von einem Wackelposter auf ihn herab. Macht man einen Schritt zur | |
Seite, wird das Blau ihres Gewandes grün. Ansonsten sind alle vier Wände | |
kahl. „Maria“, sagt Estfanuse und deutet mit dem Küchenmesser auf das Bild. | |
Seine Sätze sind kurz, manchmal sagt er nur ein, zwei Wörter. Maria, sagt | |
er, beschützt ihn. Als er in Berlin angekommen ist, hat er sich gleich | |
einen Rosenkranz gekauft. Er baumelt jetzt um seinen Hals. Perlen aus | |
weißem Plastik, auf seiner Brust liegt das Kreuz. | |
Um den Reis zu kochen, muss er dann doch in die Küche, wo sich große | |
Pfützen auf dem Boden ausgebreitet haben. Kondenswasser? Schneematsch? Man | |
weiß es nicht. „Selam“, sagt jemand an der Tür. Zwei junge Männer betret… | |
den Raum: Filman Kahsay und Yafet Meharie. Sie kommen ebenfalls aus | |
Eritrea. Ihre Namen sind geändert, weil sie ihre Familien schützen wollen. | |
Filman Kahsay nimmt sich ein Schneidebrett. Für den Eintopf braucht es | |
Knoblauch. Also schneidet er vier dicke Zehen klein, mit einer Hingabe und | |
Ausdauer, wie man sie in deutschen Küchen selten sieht. | |
Mesgine Estfanuse brät in der Zwischenzeit die Zwiebeln an. „Meine drei | |
Schwestern und meine Mutter sind sehr gute Köchinnen“, sagt er. Von ihnen | |
habe er einiges gelernt. Er versucht, sich an Handgriffe und | |
Gewürzkombinationen zu erinnern. Seine Familie, darunter noch drei Brüder, | |
musste er in Eritrea zurücklassen. „Ich telefoniere einmal im Monat mit | |
ihnen“, sagt er. „Mein Vater will, dass ich zurückkomme. Aber ich komme | |
nicht zurück. Ich kann nicht zurück. In Eritrea gibt es keine Freiheit.“ | |
Die letzten drei Sätze spricht er monoton. Er hat sie wohl schon oft | |
gesagt. Und dann, während er mit dem Löffel im Eintopf rührt, damit nichts | |
anbrennt, erzählt er. Um seine Familie zu unterstützen, hat Estfanuse die | |
Schule abgebrochen. Mit dem Auto ist er umhergefahren und hat Gemüse | |
verkauft, Putzschwämme, alles, was man so braucht. Bis ihn Polizeischergen | |
aufgegriffen haben. Er konnte sich nicht ausweisen. Einen Monat lang war er | |
inhaftiert. Was ihm widerfahren sei? Darüber möchte er nicht sprechen. | |
Nach seiner Entlassung wollte er nur weg, sagt er. Also flieht er aus | |
seinem Land. Fünf Monate war er unterwegs. Allein um die Sahara zu | |
durchqueren, hat es Wochen gedauert. „Der Fahrer hat sich immer verfahren“, | |
erzählt er, „wir hatten kein Wasser mehr. Viele sind dabei gestorben.“ Von | |
Libyen ist er mit dem Schiff nach Italien gefahren. „Es gab keinen Platz.“ | |
Er geht vor dem Herd in die Hocke, presst die Beine fest aneinander, | |
verschränkt die Hände vor der Brust, neigt den Kopf – ein Menschenpaket. | |
Filman Kahsay und Yafet Meharie nicken. Sie haben Ähnliches durchgemacht. | |
Einen Moment herrscht Stille. | |
Mesgine Estfanuse erhebt sich wieder, schaltet die Herdplatten aus. Das | |
Fenster der Küche ist beschlagen. Vor der Tür hört man Worte in fremder | |
Sprache und Schritte, die sich in dem langen Gang verlieren. Es ist Zeit | |
zum Essen. | |
Zurück in seinem Zimmer, holt Estfanuse aus seinem Sperrholzschrank eine | |
Aldi-Tüte mit Semmeln und verteilt sie. Das Brot ersetzt das Besteck. | |
Wäre Mesgine Estfanuse nicht geflohen, wäre er jetzt mit hoher | |
Wahrscheinlichkeit Soldat. In Eritrea müssen Männer wie Frauen nach der | |
Schule zum Militär. Der Dienst an der Waffe kann ein Leben lang dauern. | |
„Mein Vater ist 54 und noch beim Militär“, sagt Mesgine Estfanuse, „auch | |
Leute mit 70 sind noch dort.“ | |
Seine Zukunft ist ungewiss, das Asylverfahren läuft. Seine Chancen sind | |
nicht schlecht. Die Schutzquote liegt für Eritreer bei 97,7 Prozent. | |
Als alle satt sind, ist von dem Eintopf fast nichts mehr übrig. Mesgine | |
Estfanuse’ Mutter war offensichtlich eine gute Lehrmeisterin; es hat | |
vorzüglich geschmeckt. In Eritrea würde man jetzt noch einen Kaffee trinken | |
– mit frisch gerösteten Bohnen und viel Ingwer. Mesgine Estfanuse und | |
Filman Kahsay kichern verlegen und schauen zur Seite. Eine Girlande blinkt. | |
Die Mutter Gottes schaut immer noch demütig. Yafet Me-harie sagt | |
schließlich: „Den bereiten bei uns nur die Frauen zu.“ | |
Die Essecke: Autoren der taz kochen auf dieser Seite jeden Monat mit | |
Flüchtlingen. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch befragt Praktiker des | |
Kochens. Philipp Maußhardt schreibt über seinen offenen Sonntagstisch, und | |
Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte. | |
20 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Maria Gerhard | |
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