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# taz.de -- Die zögerliche Prophetin
> SAUDADEDer wehmütige Fado ist der „Blues der Portugiesen“. Von männlich…
> Instrumentalisten begleitet, wird er oft von charismatischen Frauen
> vorgetragen. Die junge Sängerin Carminho gilt als neue Königin des Genres
Bild: It‘s a family affair: Schon die Mutter der 31-jährigen Carminho war ei…
von Katrin Wilke
Das Schicksal zieht schwergewichtig an dieser Musik. Und zwar buchstäblich
– geht doch ihr Name, Fado, zurück auf das lateinische Fatum. Und
Fatalismus, die vielleicht unprosaischere Lesart der so famosen wie
unübersetzbaren Saudade, schwingt durchaus auch mit im seelenvollen,
genauso wehmütigen wie trotzigen „Blues der Portugiesen“.
Von den dunklen Seiten der Liebe sowie von sozialen Widrigkeiten und der
vermissten, besseren Vergangenheit handelnd, siedelt er je nach Standort
mehr oder weniger fern von der Leichtigkeit des Seins. Neben Lissabon und
Porto mit seinen melancholischeren Spielarten ist auch die Studentenstadt
Coimbra mit ihrer flotteren Fado-Variante Epizentrum dieser originär
portugiesischen Gesangs- und Musiziertradition. 2011 zum inmateriellen
Unesco-Weltkulturerbe erklärt, wird der traditionell von männlichen
Instrumentalisten intonierte Fado bereits recht lange von auffallend
vielen, auffallend charismatischen Vokalistinnen dominiert, reformiert und
in die Welt getragen. Vorneweg Amália Rodrigues, die schon ab den 1950er
Jahren mit weltgewandtem Innovationsgeist der musikalischen Materia Prima
zu Leibe rückte und in eine Art Universalie verwandelte.
An der Fado-Übermutter führt auch für ihre allerjüngsten Kolleginnen heute
kein Weg vorbei. An vorderster Front der neuen Generation tummelt sich die
1984 in Lissabon geborene, aber in der Algarve aufgewachsene Carminho. Ihr
wahrer Name hat die Länge und poetische Anmut eines halben Fado-Verses:
Maria do Carmo Carvalho Rebelo de Andrade. In ihrer Musikerfamilie – Mutter
und Bruder sind ebenfalls Fadistas – war diese Musik in ihren eigenen
Worten etwas Angeborenes, von jeher Teil von ihr und ihr Schicksal somit
quasi von vornherein besiegelt.
Carminho stellte schon mit zwölf – mittlerweile mit der Familie zurück in
Lissabon – ihr Bühnenpotenzial recht effektvoll unter Beweis. Sammelte dann
aber noch mal weitere 13 Jahre lang mannigfaltigste Berufserfahrungen, auch
bei ihrem musikfernen Werbung- und Marketing-Studium, bis sie sich
schließlich, 2009, mit einem sehnsüchtig erwarteten Debütalbum zu Wort
meldete.
Nach nunmehr drei gefeierten Veröffentlichungen wird die 31-jährige
Charaktersängerin längst als „neue Prophetin des Fado“ gehandelt und daf�…
auch im eigenen Land wertgeschätzt. Gar als dessen neue Königin. Diesen
Titel, bis dato der großen Amália vorbehalten, übernimmt die nach wie vor
gut geerdete, verglichen mit einigen anderen Fadistas ausgesprochen
natürlich wirkende Sängerin womöglich nur zögerlich. Carminho, die bei
Deutschlands größtem Weltmusikfestival in Rudolstadt mit dem dortigen
Sinfonieorchester auftrat, geriert sich bei aller Eigenheit und
Stiloffenheit bislang noch nicht als die große Bilderstürmerin des Fado.
Kolleginnen wie Mísia oder Mariza gehen mit ihm teilweise deutlich
experimentierfreudiger um. Dass es aber selbst im wandlungsfähigen,
textlich wie musikalisch modernisierbaren Fado des 21. Jahrhunderts auch
nur bedingt darum gehen kann und muss, das Rad neu zu erfinden, offenbart
„Amália. As Vozes do Fado“.
Die 2015 erschienene Compilation wird von Carminho mit Rodrígues’
emblematischen Fado „Com a voz“ eröffnet, bei dem sie – wie viele andere
dort versammelte Interpreten auch – respektvoll nah am Original bleibt.
Ebenso in einem weiteren Beitrag zu diesem generations- und
nationalitätenübergreifenden Tributalbum, den sie gemeinsam mit Caetano
Veloso gestaltete. Der brasilianische Singer-Songwriter gehört zu den alten
musikalischen Lieben der jungen Fadista, schaffte es schon ein Jahr zuvor
mit einer Komposition auf ihre dritte, aktuelle CD-Veröffentlichung
„Canto“.
Es ist Carminhos Art, diese historisch angelegte transatlantische
Verbindung ihres Heimatlandes in andere, insbesondere lusophile Ecken der
Welt weiterzuentwickeln und an die brasilianische Verwurzelung des Fado zu
erinnern. Woraus sein konkretes musikalisches Fundament genau besteht – ob
nun aus maurischen oder brasilianischen Liedtraditionen – ist bis heute
allerdings weniger gewiss als die Tatsache, dass diese Musik in Lissabons
einfachen Kaschemmen seine nächtlich-verruchten Anfänge nahm, um dann im
19. Jahrhundert auch im gutbürgerlichen Milieu salonfähig zu werden.
## Volksnah und kunstfertig
Heute ist der Fado – ähnlich dem seelenverwandten Flamenco – Populärmusik
im besten, weitesten Sinne dieses Wortes: Volksnah und dank ihrer großen
Kunstfertigkeit und Ausdruckskraft ebenso gut aufgehoben in den hehren
Konzertsälen, schlägt bei ihr jeder Versuch, zwischen E- und U-Musik zu
unterscheiden, fehl. Eine Künstlerin wie Carminho repräsentiert mit ihrer
Arbeit diese Qualitäten weltweit mit großem Erfolg.
Ihr musikalischer Kosmos öffnet sich aber nicht nur der Ferne, sondern
schöpft genauso aus den Reichtümern vor der eigenen Haustür. Daher enthält
das Album „Canto“ auch Bezüge auf die heimischen, Fado-abseitigen
Liedtraditionen und Rhythmen der Algarve oder der Beiras. Und während die
Portugiesin für ihr Repertoire auch weiterhin auf ihr so verehrten,
tradierten Texte und Melodien des Fado setzt, auf die Arbeit großer Poeten
wie Fernando Pessoa, textet sie zunehmend selbst. Sie empfände es, schwärmt
sie, als interessant, ein Gedicht zu schreiben und es in ein ganz altes,
traditionelles Stück einzubauen, das frühere Fado-Sänger mit einem anderen
Text sangen. Das ist toll, denn so kann man der Vergangenheit, der
Tradition etwas von der eigenen Gegenwart hinzufügen.
18 Feb 2016
## AUTOREN
Katrin Wilke
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