# taz.de -- Hoffen auf Solidarität mit Kobani | |
> Engagement „Eine Feuerwehr für Rojava“ heißt nur eine von vielen | |
> Initiativen, die seit dem IS-Angriff auf die nordsyrische Stadt Kobani | |
> entstanden sind. Sie eint die Begeisterung für das fortschrittliche | |
> Gesellschaftsmodell in der umkämpften Region Rojava | |
Bild: Im Fußballclub Rojava des Jugendzentrums „Navenda Ciwanên Rojava“ t… | |
von Hilke Rusch | |
Als die nordsyrische Stadt Kobani an der türkischen Grenze über Monate vom | |
sogenannten Islamischen Staat (IS) belagert wurde, konnte man das live | |
mitverfolgen: Medien berichteten, wie kurdische Einheiten die Stadt im | |
kurdischem Siedlungsgebiet verteidigten. Anfang 2015 konnten sie den IS | |
dann mithilfe US-amerikanischer Luftschläge endgültig aus Kobani drängen. | |
Zurück blieb eine völlig zerstörte Stadt. | |
„Mir sind die Bilder vom Kampf nicht mehr aus dem Kopf gegangen“, sagt | |
Matthias Hofmann, Pädagoge und Langzeit-Engagierter im Protestcamp auf dem | |
Oranienplatz. Dass die Menschen in Kobani so entschlossen waren, sich nicht | |
vertreiben zu lassen, habe ihn tief berührt: „Da gab es eine Lehrerin, die | |
während der Belagerung im Bunker unterrichtet hat.“ | |
Hofmann suchte das Gespräch mit einem befreundeten kurdischen Arzt und | |
erfuhr: In der Region Rojava im Norden Syriens, in der die Stadt Kobani | |
liegt, versuchen KurdInnen mitten im Bürgerkrieg und gemeinsam mit | |
AraberInnen und assyrischen ChristInnen, eine basisdemokratische | |
Gesellschaft aufzubauen. Lokale Räte wurden gebildet, in denen Menschen | |
erstmals bei politischen Entscheidungen mitbestimmen können, die | |
Todesstrafe wurde verboten und in den Verwaltungsstrukturen gibt es | |
Doppelspitzen, die jeweils von einem Mann und einer Frau besetzt sind. | |
Festgehalten ist das alles im Gesellschaftsvertrag von Rojava. | |
Das Projekt ist spätestens seit der Belagerung von Kobani weit über die | |
Region hinaus bekannt – und trifft auf große Sympathien in der linken | |
Szene. Zur Unterstützung dieses Gesellschaftsentwurfs wurden in Berlin eine | |
Reihe von Initiativen gegründet. | |
Auch Matthias Hofmann wollte beim Wiederaufbau helfen. Anfang 2015 startete | |
er einen Spendenaufruf für seine Initiative „Eine Schule für Kobani“. Von | |
der Resonanz ist er bis heute überrascht. Bis November gingen 10.000 Euro | |
auf dem Spendenkonto ein. Finanziert wurden damit Schulmöbel, Computer und | |
Schulmaterialien. Unterschrieben haben den Spendenaufruf neben | |
Privatpersonen auch eine Reihe von Bundes- und Landtagsabgeordneten. | |
„Natürlich ist Rojava nicht die befreite Gesellschaft“, sagt Hofmann. Auch | |
dort gebe es Gewalt gegen Frauen. Aber die Ziele des Gesellschaftsvertrags | |
finde er großartig. „Rojava hat das Potential für eine menschliche | |
Gesellschaft“, sagt er. | |
Ähnlich begeistert ist Jan, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen | |
möchte: „In Konflikten ordnen sich Menschen schnell Kollektiven wie einer | |
Ethnie zu. Sie versprechen sich davon Schutz“, sagt er, „aber in Rojava | |
versuchen sie das Gegenteil, binden abseits ethnischer Einteilungen alle in | |
die autonome Selbstverwaltung ein.“ Die Menschen in der Region würden | |
Verantwortung übernehmen, sich gemeinsam organisieren, ihr Leben gestalten. | |
Jan hofft, dass davon auch in Berlin etwas ankommt. In Rojava gebe es | |
inzwischen viel Erfahrung mit basisdemokratischen Prozessen, von der | |
Kollektive oder Initiativen wie die zum Tempelhofer-Feld-Gesetz profitieren | |
und neue Wege ausprobieren könnten | |
Als Kobani belagert wurde, rief Jan die Kampagne „Nachtleben für Rojava“ | |
mit ins Leben. Damals beteiligten sich über 40 Berliner Clubs und Kneipen | |
und einige Geschäfte und Restaurants, erhöhten Eintrittspreise oder | |
stellten Sammelbüchsen auf. Zwei Monate dauerte die Kampagne, mehr als | |
20.000 Euro kamen zusammen. Das Geld ging an die kurdischen | |
Volksverteidigungseinheiten YPG und deren Fraueneinheiten YPJ. Inzwischen | |
arbeitet Jan für die Initiative „Eine Feuerwehr für Rojava“. Die Idee: Die | |
Initiative bringt ein ausrangiertes Löschfahrzeug nach Nordsyrien, das dort | |
angesichts der zerstörten Infrastruktur auch zur Wasserversorgung dienen | |
könnte. | |
Allerdings lässt sich das derzeit kaum umsetzen. An Geld scheitert es | |
nicht, die Initiative hat bislang knapp 38.500 Euro gesammelt. Aber die | |
Situation in der Südtürkei macht Hilfslieferungen in die Region so gut wie | |
unmöglich. Die AktivistInnen fordern deshalb auch nachdrücklich, dass ein | |
humanitärer Korridor eingerichtet wird – und sie wollen ein Ende des | |
PKK-Verbots. Denn aus Jans Engagement für „Eine Feuerwehr für Rojava“ | |
spricht auch Vorsicht: „Die YPG direkt zu unterstützen ist ein Risiko“, | |
sagt er. Die Einheiten stehen der kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe, man | |
könne deshalb verdächtigt werden, eine ausländische terroristische | |
Vereinigung – gemeint wäre die PKK –, zu unterstützen. Das erschwere die | |
solidarische Arbeit für Nordsyrien, sagt Jan. | |
PKK-Verbot hin oder her, der Kampf in Rojava ist kompliziert: Human Rights | |
Watch (HRW) wirft der YPG Menschenrechtsverstöße vor, kritisiert | |
Vertreibungen und den Einsatz von KindersoldatInnen. Für Jan ist das jedoch | |
kein Grund, sich nicht zu engagieren. „Vor Ort wurde die HRW-Untersuchung | |
begrüßt und darauf hingewiesen, wie schwierig es ist, allein dem IS | |
gegenüberzustehen“, sagt Jan. Er ist überzeugt, dass | |
Menschenrechtsverletzungen nicht systematisch stattfinden. Tatsächlich | |
konnte HRW ungehindert arbeiten. Und die Organisation weist darauf hin, | |
dass die Verstöße weit weniger gravierend sind als die der anderen | |
Bürgerkriegsparteien. | |
Viele Menschen fliehen vor dem Krieg in Syrien. Ein Teil von ihnen hat es | |
bis nach Berlin verschlagen, und einige tragen die Utopie Rojavas mit sich. | |
Shavan Mahmoud ist aus Rojava geflohen und hat hier das Jugendzentrum | |
„Navenda Ciwanên Rojava“ mitgegründet. Jugendliche aus Nordsyrien können | |
darin Deutsch und Kurdisch lernen, bekommen Unterstützung bei | |
Aufenthaltsfragen oder eine Berufsberatung – und spielen Fußball im zum | |
Verein gehörenden Club „Rojava Berlin“. | |
„Wir müssen die Jugendlichen auffangen, das Leben muss für sie hier | |
irgendwie weitergehen“, meint Mahmoud. Dazu gehört für ihn aber auch, dass | |
die Idee von einem fortschrittlichen Rojavas im Verein gelebt wird. Und | |
deshalb, erzählt er, trainierten im Fußballclub nicht nur kurdische Syrer, | |
sondern auch arabische Syrer oder irakische Jesiden. „Jugendliche können | |
unabhängig von Herkunft, Sprache oder Religion am Vereinsleben teilnehmen“, | |
sagt Mahmoud. „Sie alle verbindet derselbe Schmerz“, glaubt er, denn alle | |
hätten ihre Heimat verlassen müssen. | |
Sebastian Jünemann hat die Lage vor Ort selbst erlebt. Er ist Pädagoge, | |
Lehrrettungsassistent und Teil von Cadus, einer kleinen Berliner | |
Hilfsorganisation. Wie andere aus der Gruppe hat Jünemann für den Verein | |
seinen Job aufgegeben, arbeitet nebenher als Club-Türsteher. | |
Cadus hat den Schwerpunkt der Arbeit nach Rojava gelegt, denn durch eine | |
Reise 2014 wurde klar, dass kaum Hilfsorganisationen vor Ort sind. Die | |
Gruppe bildet jetzt medizinisches Personal aus und versucht, hydraulische | |
Rettungssets in die Region zu schaffen. | |
„Bürokratisch ist Rojava ein Albtraum“, sagt Jünemann. Das liege an der | |
Kriegssituation, aber auch am Gesellschaftsmodell: Entscheidungsprozesse | |
seien durch die Rätestruktur umständlicher, außerdem wechselten | |
Verantwortlichkeiten immer wieder, damit keine Machtstrukturen entstünden. | |
Das ändert aber nichts an den großen Sympathien, die Jünemann für das | |
Modell hat. Und er sieht vor allem die positiven Aspekte an dem größeren | |
Arbeitsaufwand: „Wir müssen die Menschen vor Ort von unseren Projekten | |
überzeugen, denn die entscheiden selber. Das zwingt dazu, sich genau zu | |
überlegen, wie man etwas angeht“, sagt er. | |
Demnächst wird Cadus in Kooperation mit der Initiative „Eine Feuerwehr für | |
Rojava“ kleinere Gerätschaften in die Region schaffen. Und der Verein | |
konzipiert ein mobiles Krankenhaus, das der Kriegssituation mit den sich | |
ständig verlagernden Brennpunkten gerecht werden soll. Vollständig | |
finanziert ist das noch nicht. Aber Sebastian Jünemann hofft auf | |
Solidarität mit Rojava. | |
4 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Hilke Rusch | |
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