# taz.de -- haue Menschen genießen es, anderen wehzutun, sagt der Psychologe T… | |
> v. Chr. ahndet der Codex Hammurabi Gewalt mit drakonischen Strafen wie | |
> Abschlagen der Hand oder Blenden | |
Bild: Muktiar Dettmann (l.) und Karolin Hoffmann wollen Kinder gewaltfrei erzie… | |
Aus Hamburg, Berlin und ZürichMaria Rossbauer (Text) undOlaf Ballnus | |
(Fotos) | |
Vielleicht beginnt eine Welt, in der sich Menschen nicht prügeln, quälen | |
und töten tatsächlich auf einer Couch, die aussieht wie ein Delphin. Mit | |
einem roten Teppich und dem sanften Geruch von Johanniskraut in der Luft. | |
Und mit zwei Frauen, die zu Kindern Dinge sagen wie: „Bist du traurig, dass | |
du nicht mitmachen darfst? Ja, das ist auch echt schlimm.“ | |
Diese Frauen wollen im Kleinen etwas erreichen, an dem Menschen seit | |
Jahrtausenden scheitern. Sie wollen die Gewalt abschaffen. Den Anfang | |
macht, davon sind sie überzeugt, die Art und Weise, wie wir miteinander | |
kommunizieren. | |
Gewalt ist geächtet, Geistliche predigen das, Popstars fordern vor | |
Konzerten noch ein bisschen Frieden, Aufkleber mit dem Slogan „Halt! Keine | |
Gewalt!“ kleben an Wänden im ganzen Land. Trotzdem verprügeln Jugendliche | |
auf U-Bahnhöfen Passanten, schießen Soldaten im Osten der Ukraine | |
aufeinander, schneiden vermummte IS-Kämpfer aus Großbritannien Menschen den | |
Kopf ab. | |
Es scheint, als könne man die Gewalt nicht loswerden. | |
Einige versuchen das trotzdem. Sie wollen gewalttätiges Verhalten | |
disziplinieren oder gleich ganz verbannen. | |
Ein Freitag im November im Hamburger Stadtteil Altona. Drei Kinder sitzen | |
im Yoga-Kindergarten von Muktiar Dettmann und Karolin Hoffmann auf dem | |
Teppich. Sie fädeln Perlen auf eine Schnur. Emmi ist fünf Jahre alt, Sari | |
vier und Janno drei. Janno liegt auf dem Bauch, Emmi sitzt hinter ihm, | |
seine Füße berühren ihren Rücken. Er tippelt herum, tritt Emmi leicht. Emmi | |
ruft: „Janno, hör auf. Janno tritt mich!“ | |
„Habt ihr nicht genug Platz?“, fragt Dettmann. Sie grummeln leise. | |
„Vielleicht könnte Janno etwas nach vorne rücken und Emmi zurück, dann hat | |
jeder genug Platz und ihr könnt in Ruhe auffädeln.“ Die beiden rutschen und | |
Sari ruft: „Ich hab Platz.“ | |
„Wenn man nichts sagt, setzt sich immer das Kind durch, das die meisten | |
Mittel hat“, sagt Hoffmann, 33 Jahre alt, blonde Locken, runde Brille. Also | |
die Jungen und Mädchen, die am lautesten schreien. Hoffmann und Dettmann | |
wollen Kindern schon früh zeigen, dass es anders geht. | |
Um ihre Idee zu verstehen, hilft es, mit jemandem zu reden, der mit Mördern | |
arbeitet. | |
„Wenn Kinder in einem gewalttätigen Umfeld aufwachsen, ändert sich ihre | |
Genexpression“, sagt Thomas Elbert. Hinter ihm klacken Menschen in schicken | |
Anzügen durch eine hohe Betonhalle, lassen sich Werbeflyer von einem | |
lächelnden Pharmavertreter in die Hand drücken. | |
Elbert, 65, sitzt an einem langen Tisch. Er trägt ein lockeres Hemd und ein | |
dunkles Jackett, die wenigen Haare sind weiß, der Dreitagebart auch. Beim | |
Sprechen kneift er seine dunklen Augen zusammen. | |
Heute wird Elbert hier im Technopark in Zürich einen Vortrag halten, auf | |
dem Internationalen Symposium für forensische Psychologie und Psychiatrie. | |
Er spricht über seine Interviews mit Mördern und Kindersoldaten in Ruanda, | |
Kolumbien und im Kongo. Elbert ist Neuropsychologe. Er und seine Kollegen | |
an der Universität Konstanz wollen verstehen, warum Menschen grausam | |
handeln. | |
Wenn Elbert über Genexpression spricht, dann meint er damit, welche Gene im | |
Körper tatsächlich aktiv werden. | |
Die Gene werden von einer Art molekularem Lesegerät abgelesen. Das fährt | |
wie ein Zug auf Schienen über die DNA und gibt die darin codierten | |
Anweisungen weiter. Auf der DNA stecken noch zusätzliche Bausteine, kleine | |
Methylgruppen zum Beispiel. Die bestimmen, welche Gene vom Gerät gelesen | |
werden und welche nicht. | |
Diese Bausteine können sich anheften oder lösen. Wie das funktioniert, ist | |
noch nicht genau klar. Umwelteinflüsse spielen eine Rolle: Ernährung, | |
Stress und eben Gewalt. | |
Elbert erzählt von einem Gen namens POMC, das für den Bau von | |
Stresshormonen und Endorphinen verantwortlich ist. Er hat es für eine | |
Studie untersucht, die er vor ein paar Wochen veröffentlicht hat. Dieses | |
Gen wird bei misshandelten Kindern anders abgelesen. Diese Kinder bekommen, | |
könnte man sagen, weniger hormonelle Hilfe, adäquat mit Stress umzugehen. | |
Forscher wie Elbert können nachweisen, ob Menschen regelmäßig Gewalt | |
ausgesetzt waren. Schläge, Drohungen, Mobbing. Eine Speichelprobe reicht. | |
„Kinder werden, wenn man so will, durch Gewalteinflüsse zu anderen Wesen“, | |
sagt Elbert. „In ihrem Gehirn, ihrem Immunsystem, in der hormonellen | |
Regulation.“ | |
Misshandelte Kinder haben zwar unter Umständen in echten | |
Gefahrensituationen bessere Strategien: Sie fliehen schneller, schlagen | |
zurück. Aber sie sind oft suchtanfälliger, schneller krank, weniger | |
neugierig. Sie leiden an Zwangserkrankungen, sind empfänglicher für | |
Depressionen. Und sie sind später gewaltbereiter. | |
„Ihr gesamter Organismus – körperlich und seelisch – ist auf Verletzung | |
gebaut“, erklärt Elbert. „Er wird umgestellt auf: Pass auf, die Umwelt ist | |
gefährlich, Kampf und Stress sind deine Form zu überleben, darauf musst du | |
stets reagieren können.“ | |
Am Wichtigsten für die eigene Gewaltentwicklung ist das Umfeld, in dem man | |
groß wird. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen ermittelte | |
2010: Schon die Hälfte aller Zehnjährigen, die mehr als zwei schlagende | |
Freunde hat, schlägt selbst andere Kinder. Im friedlichen Freundeskreis | |
macht das nur jedes dreizehnte Kind. Und: Kinder, die oft zu Hause | |
geschlagen wurden, prügeln oder drohen mehr als doppelt so häufig selbst. | |
Das hieße im Umkehrschluss: Keine Gewalt in der Kindheit, keine Gewalt | |
später. | |
Aber schon im Sandkasten streiten Jungen und Mädchen, schubsen, reißen sich | |
Spielzeug aus der Hand. Geht das überhaupt anders? | |
„Meistens schon“, sagt Muktiar Dettmann. Deshalb hat sie zusammen mit | |
Karolin Hoffmann den Yoga-Kindergarten in Hamburg gegründet. Es sind wenige | |
Räume im Souterrain einer Backsteinseitenstraße, kleiner Garten nach hinten | |
raus. Daran grenzt der Schulhof einer Grundschule, den sie auch benutzen, | |
ruhig, umringt von roten Häusern, in der Mitte Schaukeln, Platz und Licht. | |
## Eine friedliche Sprache ist umständlich | |
Hier erziehen die beiden Frauen Kinder nach dem Konzept der Gewaltfreien | |
Kommunikation, entwickelt vom US-Psychologen Marshall B. Rosenberg. | |
Die Idee ist, schon beim Sprechen Gewalt zu vermeiden. Bedürfnisse und | |
Gefühle sollen formuliert werden, Verlangen wird als Bitte geäußert. Aus | |
„Nie hörst du mir zu!“ wird „Du hast gerade auf etwas anderes gesehen, | |
darum hab ich das Gefühl, du hast mich nicht richtig verstanden. Es wäre | |
mir aber wichtig, dass du mich hörst. Kann ich es dir deshalb noch mal in | |
Ruhe erzählen?“ Sprache ohne Urteile wird umständlicher. | |
„Wir mischen uns so wenig wie möglich ein“, sagt Dettmann, 51 Jahre alt, | |
lange rotbraune Haare, „außer es gibt Konflikte.“ | |
Gleich beginnen sie ihre tägliche Yogaübung auf dem roten Teppich. Von den | |
sieben Kindern der Gruppe sind heute einige krank oder mit den Eltern | |
unterwegs. An den Wänden hängen weiße und türkisfarbene Stoffe, an einer | |
Tür Zettel, auf denen die Übungen gezeichnet sind. Die Couch, die wie ein | |
Delphin aussieht, füllt ein kleines Zimmer, in das sich die Kinder | |
zurückziehen können, wenn sie Zeit für sich haben wollen. Oder spielen | |
möchten, wenn die anderen noch essen. Zum heuartigen Geruch vom | |
Johanniskraut-Tee, den die beiden Frauen trinken, mischt sich Kerzenduft. | |
Gerade ist es friedlich, aber jeden Tag müssen Karin Hoffmann und Muktiar | |
Dettmann auf die Grausamkeiten reagieren, zu denen Kinder fähig sind. Wenn | |
zwei Kinder ein anderes nicht mitspielen lassen, zum Beispiel. Dann fragen | |
die Erzieherinnen, ob das Kind traurig ist. Sie sagen, dass sich der Moment | |
vielleicht schlimm anfühlt, es beim nächsten Mal aber auch anders herum | |
sein könnte. | |
So sollen Kinder lernen, mit unangenehmen Situationen umzugehen, sie sollen | |
die zehn Minuten aushalten, ohne ihre Wut an demjenigen auszulassen, der | |
sie abgelehnt hat. „Für die Kinder ist das Wichtigste, dass ihr Problem | |
gesehen wird, dass sie es benennen können“, sagt Hoffmann. | |
Manchmal reicht das aber nicht. | |
Einmal hatten sie einen Jungen, der trat, spuckte, schubste. Er war sehr | |
gewalttätig, sagt Dettmann. „Das beschäftigt die Kinder heute noch.“ | |
Die beiden sprachen mit den Eltern. „Auch sie hätten sich in einigen Dingen | |
umstellen müssen“, sagt Dettmann. Dem Kind zu Hause klarmachen, wo seine | |
Grenzen sind. „Da waren wir uns aber nicht einig.“ Wenn es regnete, konnten | |
Mutter und Vater ihren Jungen nicht dazu bringen, wasserfeste Schuhe | |
anzuziehen. Das Kind wurde nicht vernachlässigt, nicht geschlagen, aber die | |
Eltern brachten es nicht übers Herz, sich bei ihrem Sohn unbeliebt zu | |
machen. | |
Als die Familie in ein anderes Bundesland zog, waren die beiden Frauen | |
erleichtert. „Wir hätten den schon hingekriegt“, sagt Dettmann. Aber nur | |
mit sehr viel Aufwand. Eine von ihnen hätte sich nur um den Jungen kümmern | |
müssen. Auf Dauer für sie beide nicht machbar. | |
Gewaltfreie Kommunikation stößt an Grenzen. Wenn die Eltern nicht | |
mitmachen. Wenn das Kind daran gewöhnt ist, sich aggressiv durchzusetzen. | |
Und auch, weil sich Menschen daran erfreuen, anderen wehzutun. | |
„Wir sind biologisch darauf vorbereitet, dass Gewaltausübung Spaß macht“, | |
sagt Thomas Elbert. Unsere Vorfahren seien auf der Jagd lange unter großen | |
Strapazen unterwegs gewesen. Das hielten nur die durch, die Lust am Töten | |
entwickelten. Diese Lust sei uns vererbt worden. | |
„Wir vermuten, dass bei appetitiver Gewalt körpereigene Substanzen | |
ausgeschüttet werden, Endorphine, die ähnlich wie Opium wirken“, erklärt | |
Elbert. Ein ähnlicher Zustand, wie das so genannte Runner’s High, das | |
Marathonläufer empfinden. | |
Im Labor lässt er Menschen blutige Computerspiele spielen oder erzählt | |
ihnen brutale Geschichten. Er misst ihre Gehirnströme und stellt fest: Sie | |
empfinden Spaß. Elbert sagt, die Lust an der Gewalt sei völlig normal. | |
Er erzählt von Menschen aus dem Kongo, mit denen er für seine Studien | |
gesprochen hat. Sie sagten: Wir hatten halt nichts zu tun, also sind wir | |
losgezogen und haben ein Dorf niedergebrannt. Dabei sei es nicht darum | |
gegangen, die Ziegen zu klauen oder die Frauen zu vergewaltigen, glaubt | |
Elbert. „Es ging einfach darum, das Dorf niederzubrennen.“ Andere Faktoren | |
seien zweitrangig. | |
Elberts Theorie vom inneren Aggressionsdrang ist eine von vielen. Der | |
US-Psychologe Steven Pinker, der vor einigen Jahren in seinem Buch „Gewalt: | |
Eine neue Geschichte der Menschheit“ eine kontinuierliche Abnahme von | |
Gewalt erkannt haben will, hält nichts von der Theorie eines einzelnen | |
Gewalttriebs. Er glaubt zwar an eine grundsätzliche Veranlagung zur Gewalt, | |
unterteilt die Gründe für ihre Entstehung aber in Kategorien: Raublust, | |
Herrschaftsstreben, Rache, Sadismus und Ideologie. | |
Der US-Anthropologe Douglas P. Fry zweifelt sogar daran, dass die | |
menschliche Natur seit jeher kriegerisch ist. Er analysierte Völker, die | |
heute noch als Jäger und Sammler leben, und schloss daraus, dass unsere | |
Vorfahren friedlicher waren, als wir annehmen. | |
Doch ob man nun die Geschichte vom Urzeitparadies oder von der blutigen | |
Steinzeit für wahrscheinlicher hält, eines ist für Elbert klar: „Der Mensch | |
ist auch dafür gebaut, nach Wertesystemen zu suchen. Er dürstet geradezu | |
nach Regeln.“ | |
Wichtigste Phase hierfür sei das Alter zwischen 12 und 16 Jahren. Eine | |
besonders sensitive Periode, in der man Jungs leicht zu Jägern auf Menschen | |
programmieren könnte. Gerade dann müssten die Jugendlichen lernen, die | |
Schwelle zu trainieren, sagt Elbert. Die Grenze, ab der Gewalt nicht mehr | |
okay ist. | |
Es geht um Kontrolle. | |
Prfüüüüüüt. Schrill tönt die Trillerpfeife durch die Halle. „Reden ist | |
verboten“, schreit Izzet Mafratoglu. Ein paar Jungs ducken die Köpfe | |
herunter und stellen sich schweigend um einen dicken, von der Decke | |
hängenden Sack, es riecht nach Schweiß. | |
Mustafa sieht wehmütig zu den Boxern hinüber. Er muss heute auf der Bank | |
sitzen, seine Schulter ist verletzt. Mustafa ist 13 Jahre alt, dunkle kurze | |
Haare, dunkle Augen, ruhige, höfliche Stimme. Seit zehn Monaten boxt er im | |
Club Isigym Boxsport. Sein Vater war hier, sein Bruder schlägt gerade auf | |
den Sandsack ein. Ein paar Wochen später, wenn der Fotograf im Club | |
erscheint, wird Mustafa wieder fit sein. | |
„Es macht mir Spaß“, erzählt er, besonders weil der Isi sie so drille wie | |
bei der Armee. | |
## Der Trainer schlägt zu. Bambambam! | |
Mustafa sieht Izzet Mafratoglu zu, der ein paar Schritte auf einen Sack | |
zugeht und ruft: „Hände immer auf eigene Augenhöhe, Fersen hoch, die | |
Beinstellung muss hundert Prozent sitzen.“ | |
Mafratoglu ist 53 Jahre alt, kurze Haare, manche grau, etwas kleiner und | |
schmächtiger als viele seiner Boxer. Seine Stimme ist laut, zackig und | |
klar. Sie lässt keinen Raum für Zweifel oder Widerspruch. Er steht | |
breitbeinig, schlägt mit den Fäusten durch die Luft. So geht das! | |
Bambambam! | |
34 Jugendliche und ein paar Kinder trainieren hier gerade, die meisten | |
nicht älter als 17 Jahre alt, drei sind Mädchen. Viele tragen über die | |
Knöchel reichende Schuhe, glitzernde Shirts. Sie laufen im Kreis um den | |
Boxring, springen hoch, schlagen mit ihren Fäusten in die Luft. | |
Er hat sich schon öfter geprügelt, erzählt Mustafa, in der Schule. Wenn ihn | |
jemand Hurensohn nennt oder etwas gegen Ausländer sagt. Dabei mache ihm das | |
Zuhauen gar keinen Spaß. „Ich will das nicht“, sagt er. Es wirkt ehrlich. | |
Aber auch, als sehe er keine Alternative. | |
Im Club soll er heute bleiben und auf seinen Bruder warten, sagte seine | |
Mutter. Zuhause mache er nur Unsinn. | |
„In Berlin sind uns sicher viele dankbar für das, was wir hier machen“, | |
sagt Mafratoglu und lächelt. Er bringe den Jungen und Mädchen bei, | |
pünktlich und fair zu sein. Er ist sicher, dass Boxen sie vom Prügeln auf | |
der Straße und in der Schule abhält. Er rede mit seinen Schülern, bringe | |
sie zum Nachdenken. Sie würden lernen, welche Folgen Gewalt hat: | |
Verletzungen, Schmerzen. | |
Mafratoglu bläst in seine Trillerpfeife. Hat wieder einer geschwätzt. Zehn | |
Liegestütze! | |
In Hamburg-Altona ist Yoga-Zeit. Emmi, Sari und Janno setzen sich auf den | |
roten Teppich, die Erzieherinnen im Schneidersitz dazu. Alle falten ihre | |
Hände und singen „Ong namo guru dev namo“, ein Mantra. | |
Dann geht Sari zu den Bildchen an der Tür und deutet auf eines. „Raupe“, | |
sagt sie. Sie robben durch den Raum. Es folgt ein Storch und eine Schwalbe, | |
bei der Emmi nicht mitmachen mag. | |
Als Nächstes schlägt Sari mit Holzklöppeln auf messingfarbene Klangschalen, | |
die anderen sagen mit geschlossenen Augen: „Ich bin glücklich, ich bin | |
gut.“ | |
## Kämpfe mit Schwertern sind erlaubt | |
„Yoga hat auch viel mit Selbstbeherrschung zu tun“, sagt Muktiar Dettmann. | |
Es passe gut in ihr Konzept. Außerdem machen sie es gerne. | |
Ein bisschen Gewalt ist allerdings auch hier erlaubt. „Spaßkämpfe sind | |
okay“, sagt Karolin Hoffmann. Starten zwei Kinder einen Kampf mit | |
Holzschwertern, sagen die Erzieherinnen: Du musst wissen, ob du das | |
aushältst. Sie würden beobachten und hin und wieder anmerken: Jetzt wäre es | |
gut aufzuhören. Solange sie das Gefühl haben, dass es ungefährlich ist, | |
greifen die Frauen aber nicht ein. „Die Kinder sollen selber den Punkt | |
kennenlernen, ab dem es zu viel wird“, sagt Dettmann. | |
Aber wann ist es zu viel? Gibt es so etwas wie gute Gewalt? Bei allen | |
Unterschieden sind sich der Box-Trainer und die Yoga-Erzieherinnen in einem | |
Punkt einig: Wenn zwei Menschen miteinander abmachen, dass sie kämpfen, | |
ohne sich ernsthaft zu verletzen, ist das in Ordnung. Man muss das nicht | |
gute Gewalt nennen, aber vielleicht: einvernehmliche Gewalt. | |
So ließe sich im Idealfall beidem gerecht werden – die gegenseitige | |
Abmachung setzt Verständigung voraus, der Kampf befriedigt die Lust an der | |
Aggression. | |
Wenn das nicht ausreicht, haben sie in Hamburg noch den roten Klotz. | |
Darauf können die Kinder mit Bambusstöcken hauen, wenn sie sehr wütend | |
sind. „Den nutzen wir aber nicht oft“, sagt Hoffmann. | |
Die beiden Erzieherinnen arbeiteten früher in einem Hort. Zuerst waren es | |
dort 30 Kinder auf drei Erzieher, dann 35 Kinder auf zwei. „Man konnte sich | |
nicht mehr unterhalten, über Probleme oder irgendwas“, sagt Hoffmann. Sie | |
eröffneten ihre eigene Kita. | |
Mafratoglu betreibt seit rund 10 Jahren den Boxclub in Berlin-Schöneberg. | |
Hier ist er aufgewachsen. Als er noch aktiv boxte, war er zweimal deutscher | |
Meister. Gerade hämmern die Boxer wieder auf die Säcke ein, die Schläge | |
klingen wie zischende Schlangen, pschh, pschh, pschh. | |
Mustafa wibbelt auf der Holzbank hin und her und sagt, er träume davon, | |
auch deutscher Meister zu werden. Sein Bruder ist fertig, Mustafa springt | |
auf. Bevor sie nach Hause gehen, laufen alle zu ihrem Trainer und geben ihm | |
die Hand. | |
Manche würden ihn öfter sehen als ihre Eltern, sagt Mafratoglu. Diese | |
Jugendlichen kommen jeden Abend. Er liebt die Atmosphäre in seinem Club. | |
Menschen von überall seien hier, Deutsche, Türken, Araber, Ghanaer, Puerto | |
Ricaner. Und er liebt das Gefühl beim Boxen: „Dann vergesse ich alles, alle | |
Sorgen. Es geht nur ums Kämpfen, ich will gewinnen.“ Für ihn sei dann alles | |
möglich. | |
Izzet Mafratoglu bekam einige Auszeichnungen für die Arbeit mit den | |
Jugendlichen. „Boxen gegen Gewalt“ ist schon fast ein geflügelter Begriff. | |
Der Sport soll Kinder und Jugendliche von der Straße holen, ihnen Regeln | |
beibringen. Wie die, dass man aufhört, wenn der Gegner nicht mehr kann. | |
„Boxen ist wie Medizin“, sagt Mafratoglu. „Wenn die ihre Aggression am | |
Sandsack rauslassen, ist danach nichts mehr übrig.“ | |
Mit Sport, sagt Thomas Elbert in Zürich, könnte man Gewalttäter friedlicher | |
machen. Sie hätten bei ehemaligen Kindersoldaten gesehen, dass Fußball eine | |
sehr positive Wirkung hat. An sportlichen Kämpfen sei viel Gutes: | |
körperliche Beherrschung, Selbstregulation, Disziplin. | |
Es gibt allerdings auch Geschichten wie die von dem 19-jährigen Berliner | |
Amateurboxer, der mit seinen Freunden einen Jungen vor einem Club zu Tode | |
prügelte. Einfach so. | |
Wissenschaftliche Analysen, ob boxende Teenager weniger oft Gewalttäter | |
werden als andere Jugendliche, fehlen, ebenso wie vergleichende | |
Untersuchungen, ob Sport Gewalt reduziert. Was es gibt, sind | |
Erfahrungswerte. Von Lehrern, Trainern, Sozialarbeitern, von Forschern. Und | |
die lassen sich so zusammenfassen: Sport kann ein Weg sein. | |
Im Garten des Yoga-Kindergarten schleicht Janno gerade an das Bobbycar | |
heran, Emmi hatte zuvor damit gespielt. Sie ruft: „Ich hab gesagt, du | |
sollst nicht mein Bobbycar nehmen!“ | |
Hoffmann sitzt auf der Bank vor dem Haus und schaut zu. Sie erzählt, dass | |
in der Gewaltfreien Kommunikation Gefühle eigentlich nicht mit Begriffen | |
wie „blöd“ ausgedrückt werden. Ihre Jungen und Mädchen sagen das aber so. | |
Ein Zugeständnis an die Sprachgewohnheiten. Trotzdem sei das Konzept mit | |
Kindern einfacher zu machen als mit Erwachsenen. „Die haben schon fertige | |
Rollen, so viele Vorurteile“, sagt sie. Kinder seien offener. | |
„Manche Menschen finden das hier zu esoterisch“, sagt Karin Hoffmann. | |
Allein der Begriff „Gewaltfreie Kommunikation“ löse bei ihnen ein „Alles | |
puschelrosa“-Gefühl aus. | |
Den Einfluss von gewaltfreier Kommunikation merke man aber selbst zu Hause, | |
erzählen Mütter und Väter beim Abholen ihrer Kinder. Manche Kinder fragen | |
jetzt, ob sie bei ihren Geschwistern mitspielen dürfen. Andere beschreiben, | |
was sie fühlen: Ich bin traurig, ich bin wütend. Und erklären, warum. | |
Die Kita in Hamburg existiert seit vier Jahren, wie Janno, Emmi und Sari | |
sich entwickeln, wird man erst in Jahren sehen. Es gibt bisher keine | |
umfassenden Untersuchungen dazu, wie sich das Konzept langfristig auf | |
Gewaltbereitschaft auswirkt. | |
Janno ist vom Bobbycar heruntergeschlichen und guckt zu, wie Emmi wieder | |
auf das Gefährt klettert. „Ja, Emmi hat gesagt, dass du es nicht nehmen | |
sollst“, sagt Hoffmann. „Hast du das vergessen?“ Janno schüttelt den Kop… | |
„Wolltest es einfach trotzdem haben?“ Janno nickt. „Ja“, sagt Hoffmann … | |
lächelt, „so ist das manchmal.“ | |
Emmi rammt die Füße in den Boden, schiebt an und rollt davon. | |
Maria Rossbauer, 34, leidet unter Gewaltentzug. Seitdem sie schwanger ist, | |
geht sie nicht mehr kickboxen | |
Olaf Ballnus, 53, würde gern bei Izzet Mafratoglu Boxen lernen, wenn er | |
nicht in Hamburg wohnen würde | |
13 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Maria Rossbauer | |
Olaf Ballnus | |
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