# taz.de -- Im Anwohnerpark | |
Manja Präkels und | |
## Teil 20: Stille Post kommt immer an | |
Mama, warum glaubst du nicht an Gott?“ | |
„Wie kommst du denn darauf?“ | |
„Papa sagt, das wird dir noch leidtun.“ | |
„Papperlapapp. Ich klär das selbst mit ihm.“ | |
„Mit Gott?“ | |
Nur vier Wochen. Ein Monat. In der Schweiz. Beim Vater. Sie fühlte sich | |
gegenüber den eigenen Söhnen wie eine Fremde. Atmen. Die Nerven nicht | |
verlieren. Widersprüche aushalten!Und vor allem nichts gegen IHN sagen. | |
Anne wusste, wohin das führte. Es würde nur noch komplizierter. War es | |
schon. | |
Das Dorf lag unweit Berlins. Bei gutem Wetter konnte man von einem mit Efeu | |
überwucherten Schuttberg aus den Fernsehturm erkennen. Doch nicht an diesem | |
Tag. Der Himmel, grau und weit und unnahbar, hatte sich seit dem Morgen | |
nicht verändert. Diffuses Licht fiel kraftlos ins Zimmer, wo es gerade noch | |
bis zur Couch reichte. Alles, was dahinter lag, blieb auch weiterhin im | |
Dunklen, so wie das kranke Mädchen und die Frage, was mit ihm geschehen | |
war. Seit sie hier angekommen waren, schlief sie fest oder tat einfach so. | |
Kein Hunger. Kein Wort. Keine Regung. Dessen ungeachtet meckerten die | |
Ziegen im Hof vor sich her. Ob sie Selbstgespräche führten? Mit den Wänden | |
redeten? Miteinander? Anne hatte Tee gekocht. Der Geruch von frischem | |
Salbei verbreitete sich im Raum. Ihr Blick fiel auf ein Foto, dass sie und | |
ihre Schwester beim Schlittschuhlaufen auf dem Dorfteich zeigte. Es hing | |
windschief neben dem Bücherregal. Gleich würde eine den Halt verlieren. | |
Eigentlich mochte Anne das Leben auf dem Land ganz gerne. Aber nicht auf | |
Dauer. Schon jetzt vermisste sie ihren Laden, die kleine Straße nördlich | |
des Alexanderplatzes, das Gewusel und Gewimmel vor der Kaufhalle gegenüber, | |
sogar die blöden Kläffer, die die Flaschensammler mit sich führten, um | |
nicht allein zu sein. Anne vernahm ein zaghaftes Klopfen, dann öffnete | |
Hildegard vorsichtig die Tür. Es war ein merkwürdiges Gefühl, einander so | |
zu sehen. In Hausschuhen. Privat. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten | |
sie sich höchstens aus der Ferne gegrüßt, so, wie man das eben macht, unter | |
Nachbarn. Ihre beiden so unterschiedlichen Läden schienen einfach gar | |
nichts gemein zu haben. Doch dann war alles ganz anders gekommen … | |
„Und?“ | |
„Kein Mucks.“ | |
Ratlos schauten beide aus dem Fenster, wo Zicklein und Dorfkinder, Annes | |
Rabaukenjungs und Riekes Zwillinge einträchtig miteinander durch die | |
Modderpampe sprangen. Auch die Hofkatzen beobachteten das Treiben aus | |
sicherer Entfernung, während ihre weichen Schwänze hin- und herpeitschten. | |
Aus dem Hinterhof des letzten unsanierten Hauses quollen dunkle | |
Rauchwolken. Zwei maskierte Feuerwehrmänner eilten routiniert zu der | |
brennenden Tonne, zogen sie in die Hofmitte unter den Kastanienbaum und | |
löschten den Schaden. Die meisten Hausbewohner heizten hier noch mit | |
Kohlen, doch vor ein paar Jahren waren die blechernen Aschetonnen gegen | |
Plastikcontainer ausgetauscht worden. Ein Funken Glut genügte seither, den | |
Hof zum Qualmen zu bringen. Wer auch immer die Verantwortung dafür trug, | |
sie konnten es nicht ändern. Gleichgültig packten die Männer ihre | |
Gerätschaften zusammen und fuhren wieder davon. | |
Gegenüber im Bioladen strahlte Rieke über beide Ohren. Wenn sie so allein | |
im Verkaufsraum stand, gefiel ihr der Rollentausch mit der Schwester ganz | |
prächtig. Immerhin kannte sie den Käse, den Anne liebevoll in der Auslage | |
drapiert hatte, quasi persönlich. Jedes Stück war durch ihre Hände Arbeit | |
entstanden. Die Käserei war eine Leidenschaft für sich. Sobald aber | |
Kundschaft vor ihr stand, bekam Rieke kaum ein Wort heraus. Die vielen | |
Leute und Befindlichkeiten zehrten an ihren Nerven. Ebenso wie der | |
Tresenklatsch. Dieselben Gespräche wie zu Hause, auf dem Dorf, wo sich die | |
gehässigen Untertöne während der letzten Monate in Obertöne verwandelt | |
hatten. Rieke war immer eine von denen gewesen, die sich aus der Politik | |
heraushielten. Aber das ging ja kaum noch. Die Türglocke bimmelte. Eine | |
ältere Frau betrat, einen Pudel hinter sich herziehend, den Laden. Sie trug | |
ein lindgrünes Dederon-Kostüm und musterte Rieke misstrauisch. | |
„Guten Tag. Sind sie die Inhaberin?“ | |
„Nein. Meine Schwester kommt aber bald wieder …“ | |
„Aha.“ | |
„Ich kann gern etwas ausrichten …“ | |
Die Alte hatte sich schon wieder zur Tür gewandt. Diesmal folgte ihr der | |
Pudel freiwillig. Puh, wie der stank! Rieke war verblüfft und auch ein | |
bisschen froh. Verkaufen gehörte einfach nicht zu ihren Stärken. | |
„Haste schon jehört?“ | |
„Wat?“ | |
„Na wat mit Lale passiert is!“ | |
„Mir scheint, dit würde Lale ooch jern wissen …“ | |
Seit drei Tagen stand Fritze hinter der Theke des blaulicht, wo er | |
Hildegard, die Inhaberin und beste Freundin vertrat. Drei Tage lang waren | |
ihm die unglaublichsten Geschichten zu Ohren gekommen. Der Buschfunk ließ | |
die Drähte heiß laufen, spätestens, seit Lolle neulich die Sicherung | |
rausgeflogen war. Den Tumult jener Nacht würde er bis ans Ende seiner Tage | |
nicht vergessen. Dabei war mehr als Glas zu Bruch gegangen. Lolle kloppte | |
auf Heiko ein, Sprottenpeter auf Lolle, der Psychopath auf Sprottenpeter. | |
Mittenmang hatte Lale gestanden, blau und selber hart verdroschen und | |
schwieg. Sie war Hildchens beste Tresenkraft. Eine, für die sich ein ewiger | |
Verlierer wie Heiko zum Ritter aufschwang. So war er es auch gewesen, der | |
den Verdacht auf die Geflüchteten in der Turnhalle gelenkt hatte. Seither | |
kursierten die Gerüchte. Wie hatte es sein Schachkumpan Heiner Müller so | |
schön ausgedrückt: „Glaube keinem ein Sterbenswort. Näher wirst du der | |
Wahrheit nicht kommen.“ Und wenn man die Tatsachen sprechen ließ, fiel | |
Fritz vor allem eins auf: Noch immer wusste keine Schwein, wer denn nun die | |
Gasexplosion verursacht hatte. Das ging vollkommen unter, in der ganzen der | |
Hysterie. | |
„Bedienste mir nu oder nich?“ | |
Fritze zapfte ein Bier und schwieg. Hoffentlich käme Hildegard bald zurück. | |
Lange würde er den Laden nicht mehr halten können. So. Im Gleichgewicht. | |
28 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Manja Präkels | |
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