| # taz.de -- Ansichten Michel Abdollahi geht als Reporter und Muslim dahin, wo e… | |
| Bild: Abdollahi wollte wissen, wie der Nazi so tickt und ging nach Jamel in Mec… | |
| Gespräch Anne FrommFotos Olaf Ballnus | |
| Fans seiner Reportagen und Poetry-Slams kennen Michel Abdollahi in Anzug | |
| und Krawatte, hanseatisch elegant. Zum Gespräch ins Café im Hamburger | |
| Thalia Theater kommt er etwas abgehetzt in Jeans und Pulli. Als er für | |
| eine Fernsehreportage im NDR auf einer Neonazi-Demo nach dem Nipster | |
| suchte, wurde der gebürtige Iraner Abdollahi für seine modische Mischung | |
| aus Hipster und Nazi bekannt: Sonnenbrille, Jutebeutel – aber rechte | |
| Parolen. Nach den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ und Paris im November | |
| stellte er sich mit einem Schild „Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?“ | |
| in die Hamburger Innenstadt. Ganz der Hanseat, bestellt er sich nun ein | |
| Kännchen Darjeeling. | |
| taz.am wochenende: Herr Abdollahi, ich bin Protestantin. Was wollen Sie | |
| wissen? | |
| Michel Abdollahi: Gar nichts. Ich bin bombig informiert über das | |
| Christentum. Ich hatte Religionsunterricht in der Schule, habe | |
| protestantische Freunde und die Bibel gelesen. Außerdem: Ihr Glaube ist | |
| absolut ihre Sache. Mir ist er egal. | |
| Wenn Glaube Privatsache ist, wieso stellen Sie sich mit einem Schild in die | |
| Hamburger Innenstadt, auf dem steht: „Ich bin Muslim, was wollen Sie | |
| wissen“? | |
| Weil es beim Islam etwas anderes ist. Wir haben diese Aktion für das „NDR | |
| Kulturjournal“ zum ersten Mal vor einem Jahr gemacht, als es aus | |
| rechtspopulistischen und Pegida-Kreisen hieß: Über den Islam wissen wir | |
| nichts. Wir haben Angst vor ihm. Das wollte ich ändern. | |
| Wie haben die Leute auf Sie reagiert? | |
| Ganz unterschiedlich. Ein paar Irre beschimpfen mich. Ein paar Freundliche | |
| kann ich in ihren Vorurteilen bekehren. Einigen ist es egal, dass ich da | |
| stehe. Ein paar sagen, sie wüssten schon alles über den Islam. Im Großen | |
| und Ganzen waren die Reaktionen jetzt im November, als ich nach den | |
| erneuten Anschlägen in Paris wieder mit meinem Schild in Hamburg stand aber | |
| netter als noch im Januar. | |
| Warum? | |
| Mich hat das auch überrascht. Ich glaube, dass im Januar zahlreichen Leuten | |
| noch nicht klar war, wie gefährlich Pegida ist. Damals dachten wohl viele, | |
| Pegida artikuliere legitime Ängste, in denen sie sich selbst auch | |
| wiederfinden und die sie auch offen auf der Straße erzählen können. Jetzt, | |
| nachdem Lutz Bachmann sich mit einem Hitlerbärtchen fotografiert hat und | |
| Akif Piriniçcis auf dem Jahrestag von Pegida über die Wiedereröffnung von | |
| KZs gesprochen hat, haben die meisten Leute erkannt, wie gefährlich Pegida | |
| ist. Erstaunlicherweise hatte ich beim letzten Dreh im November eher das | |
| Gefühl, viele Leute haben nun ein Knuddelbedürfnis. Die haben mich einfach | |
| umarmt. | |
| Ein älterer Herr hat Ihnen aber auch ins Gesicht gesagt, dass er beim Islam | |
| an feige Mörderbanden denke. Was ging Ihnen in dem Moment durch den Kopf? | |
| Dass es sehr schade ist, dass er so denkt. Aber auch, dass wohl viele im | |
| Moment so denken. Ich übrigens auch. | |
| Sie? | |
| Ja, klar. Wenn ich an das Wort Islam denke, denke ich doch nicht nur an das | |
| friedliche Freitagsgebet und die schöne Moschee von Isfahan. Natürlich | |
| denke ich momentan auch an den IS und abgeschnittene Köpfe. | |
| Aber Sie sind Muslim. Sie wissen doch, dass sich sogar Imame ganz deutlich | |
| vom IS distanzieren, oder? | |
| Ja, aber auch mir fällt es schwer, die Bilder, die wir zurzeit in den | |
| Medien sehen, von der Religion zu trennen. Natürlich bringe ich das | |
| Islamverständnis des IS überhaupt nicht mit meinem Glauben zusammen. | |
| Natürlich kann man nicht wahllos den Koran auslegen und behaupten, dort | |
| seien Enthauptungen vorgeschrieben. Aber wenn diese Leute vom IS sagen: Wir | |
| sind Muslime, was soll ich dagegen sagen? | |
| Zum Beispiel, diesem älteren Herrn erklären, dass der Islam seine Anhänger | |
| nicht zum Terror aufruft. | |
| Das reicht bei so jemandem nicht. Da muss man viel weiter vorn anfangen. | |
| Das ist mühsam, aber machbar. | |
| Bei jedem? | |
| Nee. Nichts ist bei jedem machbar. Ich glaube, wir haben es versäumt, die | |
| Bevölkerung über den Islam aufzuklären. | |
| Wir, die Muslime? | |
| Die meisten Muslime die in Europa leben, haben mit ihrer Religion doch | |
| genauso wenig am Hut, wie die meisten Christen. Wozu sollen die sich von | |
| irgendwas distanzieren, womit sie nichts zu tun haben? Nein, wir, die | |
| Medienmacher. Wir, die überhaupt keine Angst haben, dass Deutschland morgen | |
| islamisiert wird. | |
| Ich finde es erstaunlich, dass Sie vor der Kamera ruhig bleiben. Während | |
| Sie eine Reportage drehten, schnauzte Sie ein Mann zum Beispiel an, er | |
| würde gern einmal wissen, wann der Hamburger Michel oder der Kölner Dom zur | |
| Moschee werden würden. | |
| Das ist mir echt zu blöd. Die Hamburger Moschee liegt an der Schönen | |
| Aussicht, mit Blick auf die Alster, das Grundstück ist Millionen wert. Die | |
| Michaeliskirche steht in der langweiligen Ost-West-Straße, ziemlich | |
| schlecht gelegen. Die Moschee ist in jeder Hinsicht geiler, wir wollen die | |
| Michaeliskirche überhaupt nicht. Das hab ich ihm so gesagt. | |
| Im süffisanten, humoristischen Ton ... | |
| Genau. Aber wieso sollte ich auch laut und wütend werden? Da sind wir | |
| wieder bei den Bildern den feigen Mörderbanden. Wenn ich mich aufrege heißt | |
| es: Typisch Muslim, der ist laut und schreit. Und wenn es hier kippt, dann | |
| schneidet der uns auch den Kopf ab. | |
| Sie zwingen sich also, ruhig zu bleiben? | |
| Nein. Ich bin mittlerweile abgestumpft gegen solche Sätze. Dieser Mann hat | |
| ja nicht nur die Moschee angesprochen, sondern auch gesagt, dass Arabisch | |
| bald Staatssprache werde. Da hört es bei mir auf. Dieser Mensch weiß | |
| wahrscheinlich nicht einmal, dass die muslimische Welt aus 1,5 Milliarden | |
| Menschen besteht, die nicht alle Arabisch sprechen. Was soll ich dazu mehr | |
| sagen als: Arabisch als Staatssprache wäre doof für mich, dann würde ich | |
| mit meinem Persisch gar nichts verstehen. | |
| Welche Vorurteile regen Sie noch auf? | |
| Keins mehr. Je älter ich werde, umso weniger rege ich mich auf. Früher habe | |
| ich mich über alles aufgeregt. Aber es ist mühsam, die Leute bekehren zu | |
| wollen. Ich stehe lieber auf der Bühne und „predige“ von oben herunter. Da | |
| hören alle zu, und keiner kann, zumindest für den Moment, widersprechen. | |
| Super. | |
| Aber Sie predigen ja nicht nur. Während viele noch darüber diskutiert | |
| haben, ob man mit Pegida und Nazis reden soll oder nicht, sind Sie zu ihnen | |
| hingezogen – für vier Wochen nach Jamel. In dem Dorf in | |
| Mecklenburg-Vorpommern wohnen besonders viele organisierte Rechtsextreme. | |
| Warum wollten Sie dort hin? | |
| Meine Redaktion sagte mir, das sei eine national befreite Zone. Den Begriff | |
| kannte ich nicht. Aber ich dachte: Wenn ich mit meiner iranisch-deutschen | |
| Staatsbürgerschaft da hinziehe, dann ist es nicht mehr national befreit. | |
| Dann bringe ich deren ganzes Staatskonzept durcheinander. Spitze. Und dann | |
| wollte ich wissen, wie der Nazi so tickt. Die leben ja da auch in einer | |
| Parallelgesellschaft. | |
| Und, wie tickt er? | |
| Erst mal musste ich erfahren, dass sie sich nie offiziell zur national | |
| befreiten Zone erklärt haben. Dann wurde es aber erstaunlicherweise meist | |
| ganz nett – krude Thesen natürlich, aber eigentlich ganz sympathische | |
| Gespräche. Ich hoffe, die haben durch mich verstanden, dass nicht alle | |
| Ausländer böse sind. Sie würden kein Flüchtlingsheim in ihrer Nähe dulden, | |
| aber vielleicht auch nicht mehr alle über einen Kamm scheren. | |
| Kaum ein Bewohner von Jamel will am Anfang der halbstündigen NDR-Reportage | |
| mit Michel Abdollahi sprechen. Er streift durch das Dorf, Leute drehen sich | |
| weg, wenn er sich mit dem Mikro nähert. Eines Abends sieht Abdollahi einen | |
| Mann mit Zottelbart auf seinem Rasenmäher sitzen: Sven Krüger ist Neonazi, | |
| mehrfach verurteilt wegen Gewaltdelikten und Waffenbesitz, saß im | |
| Gefängnis. Abdollahi geht auf ihn zu und fragt, was es mit dem hölzernen | |
| Wegweiser auf sich habe, der im Dorf steht und die Entfernung bis Braunau | |
| aufweist, Hitlers Geburtsort. „Wir haben das mal als Spaß gemacht“, sagt | |
| Krüger. Sie kommen ins Gespräch. Ob er sich als Neonazi sehe, fragt | |
| Abdollahi Krüger. „Für mich ist der Leitsatz Gewalt ja oder Gewalt nein. | |
| Früher hab ich nichts ausgelassen. Aber heute, ich bin vierzig Jahre alt, | |
| hab drei Kinder, was soll ich mich noch rumprügeln?“, sagt Krüger und | |
| bietet Abdollahi das Du an. Handschlag, der Iraner und der Neonazi duzen | |
| sich. Zurück in seiner Hütte sinniert Abdollahi darüber, dass ihm der | |
| „Obernazi“ ein bisschen sympathisch ist. | |
| Aber wenn von Neonazis Gewalt und Terror ausgeht, dann ist doch egal, ob | |
| diese Leute nett sein können. | |
| Nein, ist es nicht. Weil viele Leute immer noch denken, Nazis laufen in | |
| Springerstiefeln und mit Klappmesser herum. NPD und DVU sind früher offen | |
| aggressiv aufgetreten. Einer von der NPD wäre nie zu Jauch eingeladen | |
| worden. Einer wie Höcke kommt dann aber im Anzug daher, verbreitet Hetze | |
| und Unsinn und rollt in der Talkshow die deutsche Flagge aus. Mit der | |
| Reportage aus Jamel wollten wir zeigen: Auch dein netter Nachbar kann ein | |
| Nazi sein. | |
| Sie sind in Teheran geboren und 1986 als Fünfjähriger nach Deutschland | |
| gekommen. Warum? | |
| Meine Eltern haben in den siebziger Jahren in Hamburg studiert und sind | |
| nach ihrem Abschluss zurück in den Iran. Dann rückte der Golfkrieg immer | |
| näher an Teheran heran. Weil ich noch so klein war, schickten meine Eltern | |
| meine Oma mit mir nach Deutschland. | |
| Erinnern Sie sich an Ihre erstes Bild von Deutschland? | |
| Ja, Frankfurt am Main aus der Luft. Wir kamen nicht als Flüchtlinge, | |
| sondern sind ganz normal mit Iran Air von Teheran nach Frankfurt geflogen. | |
| Und kurz vor der Landung sagte meine Oma: „Guck, das ist Frankfurt.“ | |
| Haben Sie verstanden, was das bedeutet, mit fünf? | |
| Meine Oma hat immer erzählt, wie ich nach der ersten Nacht in Deutschland | |
| morgens aufwachte, ein bisschen geschluchzt, aber nicht geweint habe. Und | |
| dann ging es los: Sprache lernen, Kindergarten, Schule. | |
| Wie wurden Sie dort aufgenommen? | |
| Sehr gut. Ich war einer der wenigen Ausländer auf der Schule. Gute Freunde | |
| aus der Zeit sagen heute noch, dass sie erst in der neunten Klasse | |
| verstanden hätten, dass ich aus einem anderen Land kam. Wenn du klein bist, | |
| macht das ja keinen Unterschied: Der eine kommt aus Bönningstedt, der | |
| andere aus Teheran – das waren irgendwelche Orte, irgendwo. Nur einmal, in | |
| der elften Klasse, sagte ein Lehrer zu mir, er hätte gute Kontakte zu | |
| Amnesty International, falls ich mal Hilfe bräuchte. Meine Mitschüler waren | |
| entsetzt. Ich hab mich bedankt. | |
| Haben Sie Rassismus zu spüren bekommen? | |
| Wenn man unter Ausländern in Deutschland aufwächst, hört man oft, die | |
| Deutschen seien hochgradig rassistisch, ihnen sei nicht zu trauen, wenn | |
| hier etwas passieren würde, dann würden die alle wieder den Arm hoch | |
| reißen. Als ich klein war, habe ich das nicht verstanden. Später habe ich | |
| gesehen, dass es da oft nicht um Rassismus, sondern um einfache | |
| Missverständnisse geht: Der eine denkt, er kann über die Straße gehen, wie | |
| er das in Istanbul immer gemacht hat, der Deutsche bremst, hupt, | |
| gestikuliert wild, und der Türke denkt: typisch Deutsch, Rassist. Ich hatte | |
| das Gefühl, dass diese voreilige Rassismusvermutung in den letzten Jahren | |
| abgenommen hatte – und dann kam Pegida, und unter Migranten hieß es wieder: | |
| „Siehst du, da sind sie wieder, die Nazis.“ | |
| Andersherum: Haben Sie das Gefühl, dass sich die Vorurteile gegenüber | |
| Migranten seit den achtziger Jahren verändert haben? | |
| Nicht wesentlich, obwohl sich die konkreten Vorurteile ändern. Wir haben | |
| früher im Iran stilles Wasser getrunken. In Deutschland trank man | |
| Sprudelwasser, das mag ich nicht. Wenn wir in einem deutschen Restaurant | |
| stilles Wasser wollten, haben wir nach Leitungswasser gefragt. | |
| Leitungswasser war kostenlos, aber dann hieß es sofort: Aha, die Ausländer | |
| sind arm. Oder geizig, diese Kamelzüchter. Also haben wir angefangen, beim | |
| Bestellen zu sagen, dass wir Tabletten nehmen müssten. Heute trinken alle | |
| Leitungswasser. Dafür schreiben Kommunen und Bundesländer in | |
| „Willkommensbroschüren“ für Flüchtlinge, man dürfe in Deutschland nicht… | |
| laut reden und solle sich an der Kasse nicht vordrängeln. | |
| Der NDR nennt Sie „Reporter für kulturelle Kuriositäten“. Die meiste | |
| Aufmerksamkeit bekommen Sie aber für Ihre Beiträge, in denen es um Islam, | |
| Fremdenhass und Flüchtlinge geht. Nervt Sie die Migranten-Muslim-Rolle? | |
| Nein, ich weiß wenigstens, wovon ich rede. Ich kenne die deutsche Seite und | |
| die migrantische, das macht mich glaubwürdig. Und klar hab ich auch bei der | |
| AfD gedreht oder unter den Gegnern der Asylunterkunft in | |
| Hamburg-Harvestehude, aber als NDR-Reporter, nicht als Migrant. | |
| Aber wenn jemand etwas gegen Flüchtlinge sagt, dann ist Ihre Antwort oft: | |
| „Und hätten Sie mit mir auch ein Problem?“ | |
| Das entlarvt die Leute am besten. Die meisten merken scheinbar gar nicht, | |
| dass ich Ausländer bin. Erst wenn ich das thematisiere, fällt es Ihnen wohl | |
| wirklich auf. | |
| Und dann? | |
| Machen sie mir Komplimente: Sie sprechen aber gut Deutsch, herzlich | |
| Willkommen. Darauf sage ich einfach danke, und wenn ich dann sehe, wie sie | |
| sich im Gehen über sich selbst wundern – huch, hab ich jetzt wirklich | |
| „willkommen“ gesagt? –, dann reicht mir das. | |
| Anne Fromm, taz-Medienredakteurin, stammt aus Erfurt und ist nur noch auf | |
| dem Papier Protestantin | |
| Olaf Ballnus stammt aus Bochum-Wattenscheid und lebt als Fotograf in | |
| Hamburg | |
| 16 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Anne Fromm | |
| Olaf Ballnus | |
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