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# taz.de -- Taten Am 7. Januar wäre Elena Ceauşescu 100 geworden. War sie an …
Bild: Der Tisch, an dem die Ceauşescus in Gefangenschaft aßen
von Aura Cumita
Um jünger zu sein als ihr Mann, hat Elena Ceauşescu ihr Geburtsjahr
geändert. Von 1916 auf 1919. Auch ihrem Vornamen gab sie Gewicht. Sie
wollte nicht länger Lenuta heißen, Lenchen, sondern Elena. Auf dem
Grabstein aus rotem Marmor auf dem Friedhof Ghencea in Bukarest wurde der
Schwindel nicht korrigiert: Er 1918–1989, sie angeblich ein Jahr jünger.
Dabei wäre sie am 7. Januar 2016 doch hundert geworden.
Es ist der zweite Weihnachtstag – die Luft frühlingswarm. Auf dem Hauptweg
des Friedhofs tragen Menschen Kränze, Kerzen, Blumen. Sie besuchen ihre
Toten. Auch das Grab der Ceauşescus. An Weihnachten 1989 wurden sie
hingerichtet.
Ein frischer Trauerkranz mit roten Nelken liegt auf dem Grab. Auch eine
Collage, auf der Nicolae Ceauşescu, die rumänische Landkarte, das Emblem
der Kommunistischen Partei Rumäniens sowie das Wappen der Sozialistischen
Republik Rumänien verschmolzen sind. „Eine neue Einstellung. Ein neues
Denken. Ein neuer Anfang“, steht darüber. 1989 soll keine Revolution
gewesen sein, sondern ein Staatsstreich, wird weiter erklärt.
Drei ältere Männer stehen am Grab. „Es war gut damals: Man hatte Arbeit,
man hatte eine Wohnung. Was hat die Jugend heute? Nichts.“ Er meint noch,
dass sie „die Böse war, er ein Patriot“. Der Zweite nickt: „Sie hat sich
immer eingemischt, und er hörte auf sie.“ Zum ersten Mal besuchen sie das
Grab. Auch der Dritte sieht in Elena die Schuldige, „aber trotzdem trauern
viele den Ceauşescus nach. Und wissen Sie warum? Weil alles, was danach
kam, schlimmer war. Die Neuen haben das Land ausgeplündert.“
Ein weiterer Greis nähert sich dem Grab. „Beide haben aus uns Menschen
gemacht, beide waren sehr gut; sie haben uns qualifiziert und haben uns
Häuser gegeben.“ Er wischt sich eine Träne vom Gesicht. „Sie haben aus uns
Menschen gemacht“, wiederholt er.
## Ich und du
Ein paar Stunden später und 80 Kilometer nördlich von Bukarest: Im Garten
der Militäreinheit 01417 neben dem Ostbahnhof von Târgovişte, wo das
Ehepaar am 25. Dezember 1989 standrechtlich erschossen wurde, riecht der
Boden nach Frühling. Vor zwei Jahren wurde die Militäreinheit zu einem
Museum. Die Türen zu den Zimmern werden von der Frau, die die
Eintrittkarten verkauft, aufgeschlossen: „Wir sind sehr müde. Wir arbeiten
hier jeden Tag. Es kommen Menschen von überall“, sagt sie.
Damals, vor 26 Jahren, war sie zehn Jahre alt und verstand nicht, was los
war. Heute kann sie zu den einzelnen Räumen etwas erzählen. Zum Beispiel,
dass in dem Zimmer auf der rechten Seite, es war das ehemalige Büro
Kemenicis, des Oberst der Einheit, mittlerweile ist er 79, das Ehepaar
ärztlich untersucht wurde. Vier Telefonapparate stehen auf einem Tisch,
eines ist rot. „Der rote Faden, verstehen Sie?“, sagt Kemenici, der,
unterrichtet von der Anwesenheit der Presse, zur Führung kommt. Ein dicker
Vorhang hängt am Fenster. Das Zimmer hatte er abdunkeln müssen, erklärt er.
Er hätte die schwere Aufgabe gehabt, das Ehepaar zu schützen – unter
Einsatz seines Lebens.
In einem weiteren Zimmer wird gezeigt, wer beim Militärprozess wo saß. „Das
Urteil war bereits in Bukarest unterzeichnet worden. Die beide waren schon
tot, bevor sie starben“, sagt Kemenici. Er weigerte sich damals, am Prozess
teilzunehmen.
In einem dritten Zimmer, jenem des Generalstabs, schlief das Ehepaar. Drin
stehen drei Betten, zwei für die Ceauşescus, eins für den Soldaten, der sie
bewachte. Dazu ein Schreibtisch mit Stuhl und hinter einem Vorhang noch ein
Tisch mit zwei Stühlen. Darauf stehen Geschirr und Besteck aus Metall.
„Hier haben sie gegessen“, sagt die Frau.
Kemenici will wissen, ob dieses Jahr Kerzen im Hinterhof, wo die Spuren der
Hinrichtung noch zu sehen sind, niedergelegt wurden. Die
Eintrittskartenverkäuferin verneint. „Der Mensch ist komisch“, sagt
Kemenici. „Als das hier noch leer stand, haben wir um diese Jahreszeit
viele Kerzen gefunden. Die Leute brachen ins Gebäude ein, um Kerzen für die
Ceauşescus anzuzünden. Heute, wo sie es dürfen, bringen sie keine.“
Kemenici wollte eigentlich nicht mehr über die Ceauşescus reden. Er kam in
Begleitung seiner Tochter ins Museum. Sie möchte der Presse klarmachen,
dass ihr Vater die beiden vor dem Volk verteidigt hat und sie an das
militärische Tribunal aushändigen musste. Er hätte keine Entscheidungsmacht
gehabt, betont die Tochter. Vier Nächte und drei Tage, hätte er kein Auge
zugemacht.
Auf Elena angesprochen, wird Kemenici munterer. Sie hätte viel Böses getan.
„Sie war der zweite Mensch im Staat; im Grunde genommen der erste.“
Nicolae Ceauşescu verkörperte das Land, und sie regierte es, meint er.
„Er hatte nicht verstanden, dass das Volk ihn nicht mehr wollte. Aber die
Menschen hassten sie, nicht ihn.“
Eine Stunde bevor das Museum schließt, kommt noch ein Offizier, Ion Mareş,
mit seiner Familie. Er will seiner Tochter und dem Schwiegersohn das Museum
zeigen. Mareş hat das Ehepaar damals auch bewacht. Er musste aufpassen,
dass sie nicht vergiftet werden. „Sie trug eine Tasche. Ich weiß bis heute
nicht, was drin war.“ Die Zuckertabletten von Nicolae vermutet er. „Ein
Spiegel und ein Taschentuch“, meint dagegen Kemenici. „Am Anfang schien
Elena Herrin der Lage zu sein. Sie geriet ein bisschen in Panik, als wir
das Auto vor der Kaserne anhielten. Ihr Mann sagte: ‚Komm, alles in
Ordnung‘“, erzählt Mareş. „Ich glaube, dass er das große Bild betracht…
während sie die Hintergründe beschäftigten. Sie dominierte ihn. Sie fragte
mich: ‚Wer führt jetzt das Land?‘ Als ich den Namen Ion Iliescu erwähnte,
wurde er böse auf sie: ‚Siehst du? Habe ich dir nicht gesagt, wir sollen
ihn erledigen?‘“
Ion Mareş sagt noch, dass sie ihn geliebt hat. „Er lag auf dem Bett, und
sie streichelte seinen Bauch, um ihn zu beruhigen.“ Und als er ihnen einmal
gesüßten Tee brachte, Nicolae einen Schluck nahm und sogleich wieder
ausspuckte, brüllte sie ihn – auch das ein Liebesbeweis – an: „‚Willst…
dein Staatsoberhaupt töten? Hast du seinen Tee mit Zucker gesüßt?‘ – Ich
wusste doch nicht, dass er zuckerkrank war.“ Kemenici meint, ihn
beeindruckte am meisten, dass die beiden mit Würde starben. „Er hat die
Internationale gesungen“, erinnert sich der Offizier.
## Wir und ihr
Der dritte Weihnachtstag, auf dem Weg nach Bukarest zum Amtssitz der
Ceauşescus. Es ist noch wärmer, 18 Grad. Ein Stopp in Petrești, einer
Gemeinde im Kreis Dâmboviţa, dem Geburtsort von Elena Ceauşescu. Wie am
Abend zuvor, in Târgovişte, verdunkeln auch hier Krähenschwärme den
Feiertagshimmel. Sie sind laut.
Ein grüner Zaun trennt das Haus, in dem Elena aufwuchs, von der Straße.
Nach 1989 war es erst eine Kita, jetzt ist es wieder im Besitz der
Petrescus – Elenas Angehörigen. Auf einem Torbogen links vom Haus ist noch
die verblasste Aufschrift „CAP“ – Kooperative für landwirtschaftliche
Produktion – zu lesen.
Toma Viorel, der Sohn eines Cousins von Elena, lebt mit seiner Familie in
Petrești. Er möchte nichts sagen; die Presse verbreite nur Lügen. Seine
Frau dagegen erzählt, dass Viorel mit Elenas Mutter oft Schach spielte:
„Mit 96 spielte sie noch Schach.“ Über Elena sagt sie: „Sie war eine
komplexe Frau. Und es stimmt nicht, dass sie paranoid war. Sie war eine
gute Mutter, liebte ihre Kinder.“ Dann erklärt sie, dass Elena nicht oft
ins Dorf kam. Petreşti wurde nicht so bevorzugt behandelt wie Scorniceşti,
der Geburtsort von ihm.
Andere im Dorf erinnern sich auch lieber an Elenas Mutter, Alexandrina
Petrescu. Ihr Hof sei einer der schönsten gewesen mit Kirschbäumen, mit
Tannen, mit Rehen. Sie beklagen, dass seit der Revolution nichts Neues
gebaut wurde. „Sehen Sie auf der anderer Seite der Straße, die
Plattenbauten? Soziale Wohnungen. Diese haben die beiden gebaut! Seitdem
nichts mehr. Und sehen Sie die Krähen? Sie haben sich unkontrolliert
vermehrt. Sie sind laut und lästig. So was gab es damals nicht.“
Weihnachten ist vorbei. Zurück in Bukarest: Vor dem Sitz der Regierung
findet eine Kundgebung statt. Menschen fordern den Rücktritt der Regierung.
Es ist das Militär, das gegen die Kürzung der Renten protestiert.
„An den Frühling“ heißt das Vierteil, wo das Haus liegt, in dem die
Ceaușescus wohnten. Vor 1989 war es der Stadtteil für die Staats- und
Parteiorgane. Jetzt leben die Reichen hier, darunter auch ehemalige
Vertreter der Nomenklatur. Im Haus Boulevard des Frühlings 50 wohnten die
beiden. Zwei Frauen wässern gerade den Garten. Nach dem Sturz des Regimes
1989 hat das rumänische Fernsehen Bilder vom Haus gezeigt mit Swimmingpool,
Schönheitssalon, der Sauna und den mit Blattgold verzierten „goldenen
Hähnen“. Jetzt wird das Gebäude von der Regierung als Gästehaus genutzt.
Im gleichen Bukarester Sektor I, aber dem Viertel Timpuri Noi – Neue Zeiten
– wohnt Maria Câmpina zwischen Plattenbauten. Rote Teppiche und viel
falsches Gold zieren ihr Haus. An einer Wand hängt ein Bild, das sie mit
Queen Elisabeth II. zeigt. Câmpina ist Wahrsagerin und bereitet für alle
Probleme Heilmittel zu, außer für Krebs und Leberzirrhose. 20 Jahre lang
will sie Elena Ceauşescu Heilmittel beschafft haben, damit deren Liebe zu
ihrem Mann nicht versiege. Elena habe einen Fahrer nach ihr geschickt, der
sie heimlich zu einer der Villen der Ceauşescus brachte. Wie der Fahrer
hieß, weiß sie nicht mehr. Sie habe Elena den Tod zwei Monate vor der
Revolution vorausgesagt. „Es ist genau so passiert, wie ich gesagt habe: Es
wird Blut vergossen! Ich riet ihr, Rumänien zu verlassen, weil das Volk
gegen sie rebellieren wird. Sie wollte mir nicht glauben.“ Für ihre Dienste
habe Elena Ceauşescu sie gut mit Essen versorgt. Auch einen Nerzmantel habe
sie von ihr bekommen.
9 Jan 2016
## AUTOREN
Aura Cumita
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