# taz.de -- ANTISEMITISMUS Nach der Publikation von Heideggers „Schwarzen Hef… | |
Bild: Martin Heidegger zu Hause in Todtnauberg, 1966. Seine „Schwarzen Hefte … | |
von Christoph David Piorkowski | |
Lange Zeit hielt sich in der Forschung die nicht zuletzt von Hannah Arendt | |
vertretene These, es habe sich bei Heideggers Engagement für den | |
Nationalsozialismus um das naive Abdriften eines politisch unbedarften | |
Philosophen gehandelt. Das Klischee vom Elfenbeinturm diente als gemütliche | |
Schutzbehauptung. Auch viele, die wussten, dass der Denker vom Todtnauberg | |
als Person nicht ganz koscher war, versuchten zur Ehrenrettung seines ja | |
auch auf Seiten linker Theoriebildung wirkmächtigen Denkens, wenigstens den | |
frühen Heidegger, den Fundamentalontologen aus der Zeit vor der Kehre, | |
von braunen Flecken rein zu halten. | |
Seit der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte nun wird Heideggers | |
Antisemitismus intensiv diskutiert. Und doch mangelte es zunächst an einem | |
systematischen Ansatz, der Heideggers Werk im Ganzen auf sein | |
judenfeindliches Gepräge hin geprüft und diesem genealogisch durch die | |
Philosophiegeschichte nachgespürt hätte. | |
Die italienische Philosophin Donatella Di Cesare, letzte Schülerin des | |
Heidegger-Zöglings Gadamer, die vor Kurzem ihren stellvertretenden Vorsitz | |
der Martin-Heidegger-Gesellschaft niederlegte, arbeitet mit „Heidegger, die | |
Juden, die Shoah“ nun in die angedachte Richtung. | |
Im Verlauf einer eingehenden Untersuchung der Schwarzen Hefte im Kontext | |
des Gesamtwerks kommt Di Cesare zu einem klaren Befund: Der Antisemitismus | |
macht einen zentralen Zug in Heideggers Denken aus; sein Begriffsapparat | |
ist von der Pike auf antisemitisch durchseucht. Ferner steht Heidegger, so | |
Di Cesare, nicht isoliert da im Schwarzwald der antisemitischen | |
Geistesgeschichte. Er adaptiert vielmehr tradierte Topoi, die den Juden als | |
radikal Anderen und als ewigen Feind imaginieren. | |
Schon Luther und Kant hatten das Motiv der Oberfläche in Abgrenzung zur | |
Tiefe profiliert. Dieser Gegensatz fügt sich in eine Kette von | |
Begriffspaaren, in denen die Juden stets das konstitutive Außen bilden. | |
Diese gelten Kant als heteronome Anhänger toter „statutarischer Gebote“, | |
die in ihrer Buchstabenhörigkeit das der Ethik eignende Autonomiemoment | |
verfehlen. Bei Hegel dann werden die Juden aus der Dialektik der | |
Weltgeschichte ausgeschlossen. Ihre bloße Existenz, ihre Weigerung, sich im | |
Christentum „aufheben“ zu lassen – im doppelten Sinn von Negation und | |
Bewahrung –, ist fürs Hegel’sche System ein Skandal. | |
Geist/Buchstabe, Innen/Außen, Sein/Schein, eigentlich/uneigentlich, | |
Boden/Entwurzelung: diese antijüdisch imprägnierten Dichotomien haben, so | |
Di Cesare, im okzidentalen Denken eine lange Tradition. Heidegger treibe | |
den Antagonismus zwischen im Sein verwurzelten Deutschen und ans Seiende | |
verfallenen weltlosen Juden schließlich auf die Spitze. Letztere würden ihm | |
als ontologische Feinde gelten, als Agenten einer seinsvergessenen Moderne, | |
die mit ihrer technischen „Machenschaft“ den Übergang zum „anderen Anfan… | |
verstellten. Die Philosophin attestiert Heidegger einen „metaphysischen | |
Antisemitismus“. Indem er, der die Metaphysik überwinden wollte, der das | |
Dasein als reinen Vollzug begriff, den Juden auf ein bestimmtes Wesen | |
verpflichte, verrate er die Seinsfrage und falle ins metaphysische Denken | |
zurück. | |
Das Ungeheuerlichste aber ist, dass Heidegger die Shoah in den Schwarzen | |
Heften als „Selbstvernichtung“ der Juden konzipiert. Als Betreiber der | |
Machenschaft würden sie auf dem Zenit des technischen Zeitalters von ihrer | |
eigenen Schöpfung „verzehrt“. Man muss sich das klarmachen: Während | |
Heidegger auf seinen Schwarzwälder Holzwegen den Unkenrufen des Seins und | |
dem hölderlinschen Flüstern lauschte, fuhren mit Menschen beladene | |
Viehwaggons den Öfen entgegen. Und der einzige Gedanke, der dem großen | |
Philosophen kam, war, die Juden als Demiurgen des „Gestells“ zu | |
beschuldigen, die von ihrer eigenen Todesindustrie vernichtet würden. | |
Di Cesare macht Heidegger nicht bloß politisch den Prozess. Sie stellt ihn | |
philosophisch und leuchtet tief in die Abgründe des abendländischen | |
Denkens. Ihr Buch sollte Pflichtlektüre sein, für jeden, der sich mit | |
Philosophie beschäftigt. Tom Rockmores Satz hat sich bestätigt: | |
„Heidegger, der Philosoph des Seins, ist nicht zufällig Heidegger der | |
Nazi geworden.“ | |
Donatella Di Cesare: „Heidegger, die Juden, die Shoah“. Klostermann | |
Verlag, Frankfurt a. M. 2015, 406 S., 29,80 Euro | |
16 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Christoph David Piorkowski | |
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