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# taz.de -- Im Anwohnerpark
Manja Präkels
## Teil 18: Wir sind dann Helden
Selbst Berlin ist manchmal leise, schön und ohne Groll. Eine weiche, weiße
Flockendecke verbarg die Reste der Silvester-Böllerei, die Hundekacke und
Risse im Asphalt. Bei solcher Kälte friert einem das Meckern in der Kehle
ein. Die kleine Straße nördlich des Alexanderplatzes lag friedvoll da, wie
selten.
Mit dem einsetzenden Schneefall waren die Bauarbeiten im hinteren, dem
Friedhof zugewandten Teil der Straße erneut zum Erliegen gekommen. Fröhlich
stapften Vermummte in den Supermarkt, rotbäckige Kleinkinder ließen sich
von Vätern auf ihren Schlitten durch die Gegend ziehen. Nachbarn liefen
unerkannt aneinander vorbei, weil ihre Mützen die Frisuren, Schals die
Gesichter verdeckten.
„Das is Pulverschnee.“
„Na und?“
„Is doch schön, oder?“
„Jaja.“
Hildegard versuchte vergeblich, Fritze zum Spaziergang zu überreden.
Bewegung täte dem lädierten Freund gut. Hatte der Arzt gesagt. Und nun
hockte der Doofkopp schon wieder vorm Fernsehgerät. Scheiß Skispringen.
Gerade gab dieser alte Ostreporter auf Eurosport wieder eine seiner
Weisheiten zum Besten:
„Es reicht ja nicht, den Mund zu spitzen, wenn man pfeifen will.“
Warum auch immer, Fritze liebte das. Eher würde er den Wettkampf verpassen,
als die Übertragung auf einem anderen Kanal anzusehen. Die Sache sei
einfach zu ernst, um sie von Idioten kommentieren zu lassen. Hildegard
ahnte zwar, was er damit meinte, aber warum zum Teufel der Schnee im
Fernsehen spannender sein sollte als der vor ihrem Fenster, leuchtete der
Wirtin nicht ein.
Dass die bedrohliche Luxussanierung zwangspausierte, war zuerst den Vögeln
aufgefallen. Spatzen, Meisen, Amseln und Türkentäubchen trauten sich wieder
in die Nähe der gewohnten Futterstellen. Ungeduldig klopften die Piepmätze
mit ihren Schnäbeln an Fensterscheiben, stritten miteinander um Körner und
Nüsse. Ihr Gezeter versetzte Bienchen in Aufruhr. Die alte Hundedame
kläffte so lautstark die Gardinen an, dass Oma Heinrich ein Machtwort
sprechen musste. Seither hockte die Pudelin beleidigt unterm Sofa. Selbst
der stinkende Lieblingskäse lockte Biene nicht mehr hervor. „Selber
schuld!“, dachte Oma Heinrich und trat ans Fenster, um den Schnee beim
Fallen zuzusehen.
„Merkwürdig.“
„Was?“
„Ick dachte, die können bei dem Wetter nich arbeiten.“
„Stümmt.“
Lale und Django, der beste Gitarrist der Welt, waren pleite und in der
Schlange der Flaschensammler gelandet, die sich tagein, tagaus vor dem
Automaten an der Kaufhalle bildete. Irritiert hatten sie von dort aus
beobachtet, wie ein kleiner Bautrupp zielstrebig auf den Hinterhof von
blaulichtund Bioladen zusteuerte.
„Siehste. Das sind andere als sonst.“
Tatsächlich machten sich dort polnische Studenten in Blaumännern ans Werk,
die Schäden, die die vorweihnachtliche Gasexplosion verursacht hatte, zu
beheben. Binnen zweier Tage vollendeten sie ihre kleine Sanierung leise und
diskret, was die Nachbarschaft in Staunen versetzte. Noch immer wusste ja
niemand, wem das Haus nun, da die alte Besitzerin gestorben war, eigentlich
gehörte. Und noch immer lag das Motiv im Dunkeln, das den unbekannten Täter
in jener Schreckensnacht dazu veranlasst hatte, die Leitung anzusägen.
„Heiße Entmietung, is doch klar!“
„Quatsch, du willst doch nur Panik verbreiten.“
„Nee, ich wohne hier nur schon seit den Neunzigern.“
„Ah, kommt jetzt wieder das übliche Schwaben-Bashing?“
„Scheiße, darum geht’s doch gar nicht. Macht die Augen auf: Kriminelle
Hausbesitzer und Immobilienheinis, die sterben doch nicht aus!“
„Blödsinn. Da war nie und nimmer ein Profi am Werk. Das war was
Persönliches ...“
Zumindest der zugezogene Teil der Hinterhof-Bewohner war zu Beginn eines
neuen Jahres bereit, die Ankunft der Blaumänner als gutes Zeichen zu
deuten. Die für die beiden Mietshäuser zuständige Mitarbeiterin einer
privaten Hausverwaltung war noch bis Ende des Monats im Urlaub. Bis dahin
würden sie einfach weiter hoffen. Und Rätselraten.
„Wo warst du denn solange? Wir warten hier in der Kälte...“
„Mein Auto ist nicht angesprungen.“
„Hier, das ist die Adresse. Und das ist Familie Mansour.“
„Äh. Mah-sah-uh ... Äh. Ahl-kha-ir.“
Anne rang nach Worten wie nach Luft. Blöde Karre! Dann fiel ihr Blick auf
die beiden frierenden Mädchen. Ohgott! Sie wirkten wie Gespenster, fahl und
großäugig. Mit einladender Geste öffnete sie die Seitentür ihres
Transporters. Die Frau nahm sofort ihre Töchter bei den Händen. Doch der
Vater zögerte und musterte Anne von oben bis unten. Warum stieg er nicht
ein? Ernsten Blicks erneuerte sie ihre Geste. „Please!“
Die Mansours würden in einer Tanzschule übernachten. Dort wären sie allemal
besser aufgehoben als im Olympiastadion. Seit Jahresbeginn fuhr Anne
Flüchtlinge in Notunterkünfte. Ihre Jungs würden noch zwei volle Wochen
beim Papa in der Schweiz verbringen. In der Turnhalle am anderen Ende der
Straße gab es genügend Helfer. Und so allein zu Haus fiel ihr die Decke auf
den Kopf. Also Fahrdienst. Immer nach Feierabend, wenn ihr Bioladen dicht
war. Sie stieg ein und winkte ihrer Kollegin: „Bis morgen.“
Sprottenpeter saß, ein Schatten seiner selbst, mit ausdrucksloser Miene vor
einem gut eingeschenkten Glas Rum. Seit sein Held Lemmy Kilmister das
Zeitliche gesegnet hatte, war er Abend für Abend im blaulichtaufgetaucht,
um sich hemmungslos volllaufen zu lassen. Zwei Tage und Nächte war
ausschließlich Motörhead gelaufen. Dann war es dem Rest der Stammkundschaft
zu bunt geworden. Hildegard blickte mitfühlend über den Tresen. Sie wusste,
womit sie ihn aufheitern konnte, ohne die anderen zu quälen. Die Wirtin
legte die CD ein, riss die Anlage auf und nickte Peter herausfordernd zu.
Der hob sofort sein Glas und beide grölten, dass es eine Freude war:
„Niemand gibt uns eine Chance / doch können wir siegen / für immer und
immer / Wir sind dann Helden / für einen Tag.“
14 Jan 2016
## AUTOREN
Manja Präkels
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