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# taz.de -- Rasiermesser aus fünf Jahrtausenden
> Kulturgeschichte Hinsichtlich der Bartmode waren häufig Herrscher die
> Trendsetter. Das zeigt die Ausstellung „Bart – zwischen Natur und Rasur“
> im Neuen Museum. Die Schau bricht dabei mit gewohnten Bildern
Bild: Madame Delait in ihrem Salon, Postkarte von 1920
von Hilke Rusch
Haare sind ein Politikum. Bei wem und wo sie sprießen dürfen, darüber gibt
es recht genaue Vorstellungen, die sich im Laufe der Zeit gründlich
verändert haben. Vor Jahren war kaum vorstellbar, dass ein Vollbart
Ausdruck einer jungen, urbanen Lebensweise sein könnte. Glattrasiert hieß
die Devise, sogar die Augenbrauen durften sich Männer unter dem Label
Metrosexualität zupfen. Nun aber das komplette Gegenteil: Vollbärte.
Wie es zu diesem modischen Umschwung kam, wollte eine Gruppe junger
Wissenschaftler*innen aus den Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) wissen.
Entstanden ist die kleine, eher konventionelle Ausstellung „Bart – zwischen
Natur und Rasur“, die eine europäische Kulturgeschichte des Bartes
nachzeichnet. Aus allen Sammlungen der SMB (wie Ethnologie, Ägyptologie
oder Vor- und Frühgeschichte) sind Exponate vertreten, was laut
Ko-Kuratorin Alexa Küter ein Novum ist. Geschoren und getrimmt wurde quer
durch die Menschheitsgeschichte; das belegen die ausgestellten Rasiermesser
und Pinzetten aus fünf Jahrtausenden.
Konzeptionell nähert sich die Ausstellung dem Phänomen Bart über die
verschiedenen Bedeutungszuschreibungen. Dem voluminösen Vollbärten haftete
beispielsweise schon früh eine naturhafte Wildheit an: Den Akt der Rasur
beschreibt eine Keilschrift-Tontafel aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. als
notwendig zur Menschwerdung. Andererseits gilt der Vollbart als Zeichen der
Weisheit, denn schließlich kann man sich (wie beispielsweise Platon, in der
Ausstellung als Büste vertreten) neben dem Philosophieren nicht auch noch
um die Körperpflege kümmern.
Abgesehen von diesen allgemeinen Bedeutungen der Gesichtsbehaarung zeigt
die Ausstellung historisch wechselnde Bartmoden. So trug man im antiken
Griechenland einen Bart, der Macht, Kraft und Männlichkeit bedeutete. Mit
Alexander dem Großen änderte sich das, denn der trug seine Virilität über
jugendliche Haarlosigkeit zur Schau und hielt außerdem einen Bart im
Kampfgetümmel für ungünstig. Seinen Soldaten schrieb er deshalb eine Rasur
vor – ein nacktes Gesicht setzte sich anschließend auch modisch durch.
Hinsichtlich der Bartmode waren häufig Herrscher die Trendsetter. Der Bart
diente als Zeichen politischer Loyalität. Andere nutzten ihn zur
Distinktion: Den Vollbart von Marx interpretiert Alexa Küter als eine
Abgrenzung vom Mainstream.
Derart aufgeladen, lädt ein Merkmal wie der Bart natürlich dazu ein,
Menschen zu degradieren. Die erzwungene Rasur von Juden während des NS ist
ein Beispiel – aber auch eine Karikatur des Österreichers Jean Veenenbos,
die den US-amerikanischen Kriegseinsatz in Afghanistan nach dem 11.
September 2001 als Beschneidung des muslimischen Bartes darstellt und
kritisiert.
Unhinterfragt gilt meist, dass Bärte eine Männerangelegenheit sind. In der
Geschichte war das durchaus nicht immer so: Frühe Darstellungen der
Aphrodite zeigen sie mit Bart. Und die ägyptische Pharaonin Hatschepsut
band sich, genau wie ihre männlichen Kollegen, zu zeremoniellen Anlässen
einen künstlichen Bart ums Kinn.
Prinzipiell aber sind bärtige Frauen eher mit Ausgrenzung konfrontiert. Die
meisten trauen sich deshalb nicht, das Wegzupfen sein zu lassen. Es
entsteht ein seltsamer Kreislauf: Weil kaum Frauen ihren Bart wachsen
lassen, gilt er als den Männern vorbehalten, weshalb Frauen nicht zu ihrem
Bart stehen. Ganz anders Mariam, die ihren Bart irgendwann einfach wachsen
ließ. In der Ausstellung ist sie mit einer selbst gebauten Hütte vertreten,
die mit zahlreichen Fotografien sehr bärtiger Frauen ausgekleidet ist. Per
Video berichtet Mariam von den irritierten Reaktionen, die sie auf der
Straße erfährt. Mit so einer Hütte tourt sie sonst über Festivals und
spricht dort mit Besucher*innen über Gesichtsbehaarung.
So gelingt es der Ausstellung, mit gewohnten Bildern zu brechen. Der Ritt
durch die Jahrtausende gelingt aber nur halb. Büsten von Herrschern, die
den Bart als Machtsymbol oder Zeichen von Weisheit illustrieren sollen,
erzählen beispielsweise kaum etwas darüber hinaus. Schön wäre auch gewesen,
mehr über das Verhältnis zwischen den widersprüchlichen
Bedeutungszuschreibungen zu erfahren: Wie verhält sich die unzivilisierte
Wildheit des Vollbartes gegenüber der Zuschreibung von Weisheit? Und spielt
das heute eine Rolle, wenn sich Hipster ihren Vollbart trimmen?
Apropos: Die Vollbartmode diffundierte übrigens laut Ausstellung aus der
schwulen Subkultur zu den urbanen Hipstern. Man orientiert sich modisch
eben nicht immer an den Herrschenden.
Neues Museum, Fr.–Mi. 10–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr, bis 28. Februar
5 Jan 2016
## AUTOREN
Hilke Rusch
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