# taz.de -- Im Kodderschnauzenjargon | |
> Klassiker Die Bühnengeschichte des Erfolgsmusicals „My Fair Lady“ in | |
> Deutschland lässt sich nicht ohne die Geschichte der Übersetzung von | |
> Robert Gilbert erzählen – das Stück war in West wie Ost ein großer Erfolg | |
Bild: „My Fair Lady“-Premiere im Theater des Westens, Oktober 1961 | |
von Christian Walther | |
Wenn an Silvester wieder „My Fair Lady“ an der Komischen Oper gespielt | |
wird, dann ist auch Robert Gilbert im Spiel. „Buch und Liedtexte von Alan | |
Jay Lerner“, heißt es zwar in der Ankündigung des Opernhauses, aber ist | |
nicht die ganze Wahrheit. Denn gesungen wird auf Deutsch: „Es grünt so | |
grün, wenn Spaniens Blüten blühen ...“ Und dieser Text stammt von Robert | |
Gilbert. Wer ist dieser Gilbert? Nur ein Übersetzer? | |
„Ein Triumph“ sei es gewesen, schrieb Hellmut Kotschenreuter in der | |
Münchner Abendzeitung 1961 und meinte die erste Berliner Aufführung des | |
Muscials an der Kantstraße in Westberlin. Am 25. Oktober 1961 fand sie | |
statt, zweieinhalb Monate nach dem Mauerbau. Lucius D. Clay, persönlicher | |
Berlin-Beauftragter von Präsident Kennedy, war da, Willy Brandt sowieso. | |
Bild zählte 61 Nerze und 3 Nutriamäntel. Und Heinz Ritter berichtete im | |
Abend: „Die ersten Hände regten sich vor dem Portal des Theaters des | |
Westens um 19 Uhr 55, als Ingrid Bergman wie eine Fürstin vorfuhr. Der | |
letzte Beifall verklang um 23 Uhr 45. Was dazwischenlag, hatte wohl die | |
Länge einer Wagner-Oper, war aber der moussierende Einzug des schon | |
sagenhaften Musicals ‚My Fair Lady‚.„ | |
Die Begeisterung galt nicht allein der Inszenierung oder der bereits in New | |
York getesteten Musik von Frederick Loewe, sondern sie war auch ein Erfolg | |
der Übersetzung: „Nur een Zimmerchen irjendwo, mit‚nem Sofa drin sowieso.�… | |
Um jede Zeile hatte er gerungen, bis es geschafft war. Robert Gilbert, ein | |
Freund Loewes aus jenen Berliner Kindertagen, als Frederick Loewe noch | |
Friedrich Löwe hieß und Gilbert noch Robert Winterfeld. Aus dem | |
Cockney-Englisch der Original-Eliza hatte Gilbert den Text übertragen in | |
den Kodderschnauzenjargon Berliner Hinterhöfe. | |
Gilbert, inzwischen in der Schweiz lebend, blieb der Premiere fern. Er | |
kränkelte, und Flugangst hatte er auch. Einem Freund verriet er noch andere | |
Bedenken: „Die Sache dort sieht so brenzlig aus, dass man eventuell einen | |
Ulbricht’schen Handstreich auf Westberlin für möglich hält. Warum soll ich | |
mich in Gefahr begeben, der ich – in ähnlicher Weise – früher mal gerade | |
knapp entronnen bin?“ | |
Früher – das war 1933, als Gilbert ins Exil ging, erst nach Wien, dann nach | |
Paris, schließlich nach New York. Robert Gilbert war ein Kind jüdischer | |
Eltern. Und Kommunist war er auch. Mit seinem Vater, dem Komponisten Jean | |
Gilbert, hatte er an Operetten gearbeitet. Friedrich „Fritz“ Löwe schrieb | |
dann die Melodie für Gilberts ersten Schlager. Andere folgten: „Am Sonntag | |
will mein Süßer mit mir segeln gehen“ und berühmte Filmhits: „Ein Freund, | |
ein guter Freund“, „Liebling, mein Herz lässt Dich grüßen“ oder „Das… | |
nur einmal, das kommt nicht wieder“. Gleichzeitig aber schrieb er auch ganz | |
andere Texte. Unter Pseudonym. Und zwar für Hanns Eisler, den berühmten | |
Komponisten im Umfeld der KPD. Eines der bekanntesten Werke ist das | |
„Stempellied“: „Keenen Sechser in der Tasche/ bloß’n Stempelschein/ Du… | |
die Löcher der Kledaasche/ kiekt die Sonne rein“ [Kledasche = Kleidung, d. | |
Red.] | |
Gilbert hatte Marx gelesen, stand selbst der KPD nahe, war aber ein | |
„Versöhnler“: Er befürwortete die antifaschistische Front mit der SPD geg… | |
die Nazis. Doch die KPD-Führung sprach von Sozialfaschismus und sah in der | |
SPD den Hauptfeind. Nach der Hinrichtung zahlreicher Genossen in Moskau und | |
dem KPD-Ausschluss seines Freundes Heinrich Blücher – später Ehemann von | |
Hannah Arendt – wandte sich Gilbert von der KPD ab und vollzog einen Wandel | |
zum Antikommunisten, der seine neue Überzeugung in den 1950er Jahren im | |
Münchner Kabarett Die kleine Freiheit auch auf die Bühne brachte. Deshalb | |
1961 die Angst vor einer Reise nach Berlin, in die Frontstadt. | |
Die Kritiken erreichten ihn trotzdem. Die FAZ lobte Gilbert, „der den Text | |
gegen den Strich gebürstet hat und der an der Heiterkeit des Abends nicht | |
unbeteiligt war.“Seit der Premiere sprudelten die Tantiemen, und das bald | |
auch durch Aufführungen im Osten. „My Fair Lady“ setzte ihren Siegeszug in | |
der DDR fort. 1965 hatte der Produzent Lars Schmidt die Rechte nach Dresden | |
vergeben und sichergestellt, dass die Tantiemen in Dollars gezahlt werden – | |
auf ein Konto in der Schweiz. | |
## Dauerbrenner in Dresden | |
Während sich der Intendant des Ostberliner Metropol-Theaters, Hans Pitra, | |
in der Berliner Zeitung noch darüber beklagte, dass man „My Fair Lady“ | |
längst spielen würde, wenn einem nicht vonseiten der westlichen Länder „so | |
große Schwierigkeiten mit den Aufführungsrechten gemacht würden“, bereitete | |
Dresden schon die Premiere vor: Die Aufführung im Operettentheater fand | |
dann am 30. Oktober 1965 statt – bis 1978 stand der Dauerbrenner immer | |
wieder auf dem Spielplan. | |
Das Neue Deutschland schrieb: „Die Wogen der Begeisterung erreichten | |
Rekordhöhen.“ Das Ostberliner Metropol-Theater beeilte sich, eine | |
Aufführung noch in derselben Spielzeit zu wuppen, konnte dann aber doch | |
erst ein Jahr später zur Premiere laden – auch sie umjubelt. Fast | |
gleichzeitig kam eine Inszenierung in Dessau heraus – mit Eva Maria Hagen | |
als Eliza. Da Hagen damals mit dem Dissidenten Wolf Biermann liiert war, | |
stand die Produktion unter besonderer Beobachtung der Stasi. Sie war aber | |
sehr erfolgreich, und Besucher kamen aus der gesamten DDR. Zehn Jahre | |
spielte Hagen dort – bis sie 1976 wegen ihres Protestes gegen Biermanns | |
Ausbürgerung erst aus der Arbeit und dann aus der Staatsbürgerschaft der | |
DDR entlassen wird. | |
Gilbert, der noch eine ganze Reihe weiterer Musicals übersetzte, so „Hello | |
Dolly“ und „Cabaret“, starb 1978 in seinem Domizil am Lago Maggiore und | |
wurde auf dem kommunalen Friedhof von Minusio im Kanton Tessin beigesetzt. | |
My Fair Lady: Komische Oper, 31. 12. 15 Uhr, 19 Uhr, 15. 1.2016, 18. und | |
20. 2.16 | |
28 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Walther | |
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