| # taz.de -- Niedlicher Kapitalismus-Pop | |
| > Musik Der britische Musikproduzent Sophie hat bereits für Madonna | |
| > gearbeitet. Nun löst er das menschliche Subjekt in Brause auf. Das zischt | |
| Aus der großen Madonna wieder ein kleines Mädchen machen? Samuel Long | |
| schien große Lust dazu zu haben. Zu hören ist das auf der Single „Bitch I�… | |
| Madonna“ aus ihrem jüngsten Album. Long hat das Stück koproduziert. Während | |
| die 57-Jährige metaphorisch davon singt, das Haus in die Luft zu jagen, | |
| legt ihr der Mittzwanziger einen den selbigen Partyknall antizipierenden | |
| Beat darunter – und verfremdet ihre Stimme derweil ins Zittrige, | |
| Hochtönige. Kaum noch erkennt man Madonna. Doch so weit wie bei den süßen, | |
| künstlichen Stimmchen, die sonst seine Musik dominieren, hat sich Long dann | |
| aber nicht getraut. Oder nicht gedurft. Besagter Quietschgesang findet sich | |
| dafür auf der ersten Langspielveröffentlichung, die Long unter seinem Alias | |
| Sophie herausgebracht hat. „Product“ heißt sie und der Londoner hat damit | |
| ungleich Größeres vor: Sophie steht nicht für einen niedlichen Pop. Sophie | |
| steht für einen niedlichen Kapitalismus. | |
| Seit zwei Jahren nimmt die Musikwelt nun Notiz von dem eher | |
| öffentlichkeitsscheuen Produzenten. Fünf Singles hat er in dieser Zeit | |
| veröffentlicht, vier davon auf dem britischen Label Numbers. Dazwischen | |
| arbeitet er nicht nur für Madonna, sondern auch für Namie Amuro. Amuro kann | |
| in Japan eine ähnlich Karriere vorweisen wie Madonna. Nicht von ungefähr | |
| gilt sie als „Queen of J-Pop“, als Königin jener kunterbunten, überdrehte… | |
| japanischen Eigenform von Pop-Musik. Die dieser zugrunde liegende | |
| Kulturtechnik Kawaii will die Verniedlichung noch im kleinsten Detail | |
| herauskitzeln und hat so globale Ikonen wie die weiße Kinderkatze Hello | |
| Kitty hervorgebracht. Samuel Long wiederum verschneidet das ostasiatische | |
| Konzept nun mit Bass- und Clubmusik „made in Britannia“. | |
| „Lemonade“ heißt eine seiner Singles, welche sich auch auf „Product“ | |
| findet. Akute Zahnschmerzgefahr inklusive. Eigentlich ist das Lied viel zu | |
| fragmentiert und mit zwei Minuten Spiellänge obendrein zu kurz, um ein Hit | |
| zu sein. Doch wie das knistert, wie das blubbert und brutzelt! Long hat ein | |
| unglaublich gutes Händchen für ultraklare, synthetische Klänge. Man mag | |
| sich in ihnen versenken. Eine dieser dekonstruierten Zuckerstimmen bröckelt | |
| dazu: „Le-mo-nade, le-le-le-le-mo-nade“. Bevor sie in fast schon | |
| schmerzhaft hoher Tonlage erklärt, dass sie keine Gefühle verletzen wolle. | |
| Sie sei eben nur eine Brause. | |
| Bei Sophie löst sich der Mensch immer wieder in kapitalistischen | |
| Produktwelten auf. Als Subjekte sind Produkt und Mensch einander | |
| gleichgestellt. Gemeinsam mit seinem Kollegen A. G. Cook, der mit seinem | |
| Label PC Music ähnliche Ideen verfolgt, unterhält Long auch noch das | |
| Projekt QT. Hierbei handelt es sich gleichzeitig um einen Energydrink aus | |
| der Dose wie auch um einen musikalischen Avatar, der seine eigene | |
| Liquidität besingt. Wie in der real existierenden Werbewelt wird dabei | |
| stets auf emotionaler Ebene kommuniziert. „Whatever you feel inside, I can | |
| make you feel better“, heißt es erbaulich im Sophie-Song „Bipp“. Das | |
| Einfühlvermögen ist bitter nötig, schließlich spiegelt die hektische Musik | |
| die sensorische Überfrachtung wider, die jede Konsumentin tagtäglich | |
| zwischen Shopping-Center und Amazon-Startseite erfährt. | |
| Bei all den konzeptionellen Ansätzen ist es daher umso überraschender, dass | |
| „Product“ als Produkt selbst enttäuscht. Schließlich stellt es kein | |
| originäres Album dar, sondern versammelt als Zusammenstellung schlicht und | |
| einfach die letzten vier Sophie-Singles plus B-Seiten. Pflichtbewusste, den | |
| Regeln des Marktes folgende Zweitverwertung also. Zu seiner Aufwertung | |
| erschien „Product“ deshalb nicht nur als Download, Vinyl etc., sondern auch | |
| im Doppelpack mit anderen Objekten. Die Variante „Jacket“ kombiniert die CD | |
| mit einer durchsichtige Plastepuffjacke. Beim „Silicon“ wird die Musik | |
| wiederum zur Beilage eines Doppelpenetrationsdildos aus geschmacklosem | |
| Platinumsilikon. Das ist dann einfach nur noch platt, statt süß. Sophies | |
| kapitalistische Überaffirmation nutzt sich relativ schnell ab. Auch sein | |
| genial fizzeliger Sound kommt in der Geballtheit der acht Lieder von | |
| „Product“ nie ganz über den anfänglichen Novelty Effect hinaus. Eine | |
| langfristige Weltkarriere lässt sich so noch nicht starten. Und wer braucht | |
| schon einen niedlichen Kapitalismus? Thomas Vorreyer | |
| Sophie: „Product“ (Numbers/Rough Trade) | |
| 15 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Vorreyer | |
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