| # taz.de -- zwischen den rillen: Optimist in schlechten Zeiten | |
| > Wo Überschwang und Motown war, ist Operette geworden in Stevie Wonders | |
| > lang erwartetem Comeback als Vocal Hero | |
| Für das Cover seiner neuen CD hat sich Stevie Wonder einen Gimmick | |
| einfallen lassen. Der Titel, „A Time To Love“, ist dort leicht erhoben in | |
| Symbolen aufgeprägt, die Wonder hübsch krakelig gezeichnet hat: Ein | |
| Ziffernblatt steht für Zeit, ein Herz für die Liebe. Das ist schon ein | |
| wenig rührend, sicher auch gut gemeint, zwingend aber ist es nicht. Wenn er | |
| sich schon für Minderheiten einsetzen will, warum hat der blinde Sänger | |
| dann nicht gleich seine Texte für das Booklet in Braille-Schrift drucken | |
| lassen? | |
| Es ist das alte Problem von Stevie Wonder. Das soziale und politische | |
| Engagement, sein unermüdlicher Einsatz als Benefizsänger – ob für Live Aid | |
| oder gegen Aids – haben ihn zum guten Gewissen der US-Musik gemacht. Dabei | |
| besteht kein Zweifel: Wonder ist ein Kind der Bürgerrechtsbewegung und kein | |
| bonofizierter Entertainment-Engel. Doch vor lauter Correctness hat sein | |
| eigentliches Talent merklich gelitten. Seit „Songs In The Key Of Life“ gab | |
| es von ihm keine Jubelstürme auslösende Platte mehr, das ist immerhin 29 | |
| Jahre her. Bei Wonder wiegt dieser Umstand besonders schwer, schließlich | |
| waren seine gut zwei Dutzend zwischen 1962 und 1976 veröffentlichten Alben | |
| mit das Großartigste, was der Soul überhaupt zu bieten hatte. | |
| Mit dieser ewig lang andauernden Hängepartie dürfte er selbst auch nicht | |
| allzu glücklich gewesen sein. Tatsächlich ist „A Time To Love“ seine erste | |
| CD nach zehnjähriger Pause. In der Zwischenzeit konnte Wonder miterleben, | |
| wie haufenweise R-&-B-Sänger zu Supersellern wurden, indem sie seinen Stil | |
| kopierten. Doch dem eigens erarbeiteten Reichtum hat er mit seinem Comeback | |
| als Vocal Hero keine neuen Kostbarkeiten hinzuzufügen. Alle Songs sind aus | |
| irgendwie ähnlich solide groovendem Stoff, für eine immer noch sehr | |
| passable Platzierung in den Charts gemacht. Sein Label Motown würde aber | |
| auch ein Flop nicht stören, dann konzentriert man sich eben auf das | |
| Kerngeschäft mit Wonders Backup-Katalog, denn „Signed, Sealed, Delivered“, | |
| „Higher Ground“ oder „Tuesday Heartbreak“ braucht ohnehin ein jeder. | |
| Wer aber braucht fünf Minuten „Positivity“, in denen Wonder darüber singt, | |
| dass er auch in schlechten Zeiten ein Optimist geblieben ist? Wer will ein | |
| Blue-Note-Geklimper wie „Shelter In The Rain“ hören, das dermaßen seifig | |
| klingt, als wäre Soul eine akustische Business-Lounge-Tapete? Bei Wonder | |
| sind solche Ausrutscher nicht bloß Füllsel, das merkt man schon an den | |
| Gastmusikern. Wer sich einen Flötisten wie Hubert Laws für zwei, drei | |
| impressionistische Farbtupfer leisten kann oder Bonnie Raitt einlädt, damit | |
| sie im Hintergrund kurz der Gitarre ein bisschen Country gibt, der hat es | |
| auf ein glanzvolles Spätwerk angelegt. | |
| Manchmal funktioniert der Zauber ja auch, dann ufert der Titelsong in eine | |
| Percussions-Euphorie aus, bei der sich afrikanische Handtrommeln, Tablas | |
| und Talking Drums wie auf einem globalen Marktplatz vereinen. Und „Blue | |
| Moon“ ist in seiner herbstlich mit dem Jazzbesen zusammengefegten Tristesse | |
| und einer aus dem Schatzkästlein der Melancholie aufsteigenden Gesangslinie | |
| das Stück Wonder, das noch fehlte. | |
| Erwartet hat man trotzdem mehr als zweimal großer Wonder der Gefühle. Wo | |
| Überschwang und Motown war, ist Operette geworden: „A Time To Love“ gibt | |
| sich als ausgereiftes Songwriting, mit üppiger Post-Production am Computer | |
| und wallenden Streichern bis in die Refrainspitzen. Die flächendeckend | |
| gemalten Arrangements und penibelst markierten Beats signalisieren zwar | |
| unentwegt echte, Showbiz-gestählte Professionalität, doch sie zeigen auch, | |
| das Wonders Musik heutzutage etwas fehlt: Spontaneität und Begeisterung. | |
| Denn es war das stets Unfertige, das Skizzenhafte von Songs wie „Too High“ | |
| und „Superwoman“, das man so sehr liebte. Eine tolle Melodie, ein heftig | |
| losstürmendes Clavinet am Anfang von „Superstition“, die Magie lag im | |
| Augenblick. Wenn er wollte, konnte Wonder in seinem Übermut zwischen den | |
| Tonarten sogar Haken schlagen, das hört man auf Stücken wie „Sir Duke“. | |
| Jetzt ist er ein alter Hase, auf einem weiten, sorgsam abgegrasten Feld. | |
| HARALD FRICKE | |
| Stevie Wonder: „A Time To Love“ (Motown/Universal) | |
| 28 Oct 2005 | |
| ## AUTOREN | |
| HARALD FRICKE | |
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