# taz.de -- „Ich sehe keine Zukunft“ | |
> KRIEG Die Journalistin Zaina Erhaim über ihre Arbeit in Syrien und den | |
> miesen Umgang mancher Medien mit KollegInnen vor Ort | |
Bild: Zaina Erhaim vor der Verleihung des Mackler-Preises im Oktober in Washing… | |
Interview Jan-Niklas Kniewel | |
taz: Frau Erhaim, Sie haben fast 100 Bürgerjournalisten in Syrien | |
ausgebildet. Wie geht es denen heute? | |
Zaina Erhaim: Einige wurden getötet, andere vom „Islamischen Staat“ | |
entführt. Auch nach Europa haben es einige illegal geschafft. Manche harren | |
noch immer in Syrien aus und versuchen weiter zu berichten. | |
Sie gaben eine sichere Stelle bei der BBC auf, um in Ihre Heimat | |
zurückzukehren. Warum? | |
Es ist mein Zuhause. Schon als ich Damaskus verließ, um in London zu | |
studieren, sagte ich am Flughafen allen, dass ich zurückkehren würde. Ich | |
bin keine, die einfach abhaut. Schon vor der Revolution hatte ich also ein | |
Ziel: Damaskus. Nun schaffe ich es nicht mehr dorthin zurück, aber | |
zumindest in Syrien kann ich sein. | |
Seit gut zwei Jahren wagt sich kaum noch ein westlicher Journalist nach | |
Syrien. Was bedeutet das für jene Syrer, die diese Lücke nun füllen müssen? | |
Sie tun das ja schon eine ganze Weile. Schon 2012, als es für | |
internationale Reporter noch relativ leicht war, nach Syrien zu kommen, lag | |
die Hauptlast bei den Bürgerjournalisten. Sie sind schon so lange die | |
Hauptquelle für Informationen aus diesem Krieg. Und heute ist ihre Arbeit | |
noch schwieriger geworden, doch noch immer behandeln westliche Medien | |
syrische Journalisten als unsichere Quellen und als nicht vertrauenswürdig | |
genug, um wirklich ernst genommen zu werden. Das ist traurig, denn diese | |
Leute sind die, von denen ihr euch schon seit über vier Jahren die | |
Informationen holt. | |
Ein Einwand wäre, dass westliche Journalisten das Land einfach nach einigen | |
Tagen wieder verlassen können, sie müssen sich nicht allzu sehr darum | |
scheren, was sie schreiben. Ein Syrer lebt womöglich Tür an Tür mit denen, | |
über die er kritisch berichten muss. | |
Selbst westliche Journalisten wollen ja meist wieder zurückkehren. Auch sie | |
denken also darüber nach, wie sie keine verbrannten Brücken hinterlassen. | |
Aber natürlich ist es für Syrer weitaus schwieriger. Es fängt schon damit | |
an, dass die Leute einen kennen. Selbst wenn man also einen falschen Namen | |
verwendet, wissen die Menschen, wer man ist. Und natürlich gab es Fälle, in | |
denen Bürgerjournalisten nach ihren Veröffentlichungen von bestimmten | |
Gruppen angegriffen wurden. Aber alles in allem gibt es eine Akzeptanz | |
gegenüber ihrer Arbeit, weil die Leute wissen, dass ohne diese | |
Berichterstatter keine Informationen mehr nach draußen dringen würden. Aber | |
ja, generell rate ich, es sich stets zweimal zu überlegen, bevor man etwas | |
schreibt, das einem ernsthafte, womöglich tödliche Probleme bereiten | |
könnte. Aber es ist natürlich auch eine Möglichkeit für die Syrer, ihre | |
eigenen Geschichten zu erzählen. Dem gegenüber steht allerdings ein sehr | |
bedenklicher Trend: Diese Reporter sind oft nur noch an der Front. Wie | |
viele Tote, wie viele Bomben und so weiter. Aber sie behandeln nicht mehr | |
die kritischen Themen, denen etwa die Zivilisten sonst gegenüberstehen. | |
Ein anderer Kritikpunkt ist die Betroffenheit. Auch Ihre Arbeit ist sehr | |
persönlich. Wie gehen Sie mit dem Thema der journalistischen Objektivität | |
und Neutralität um? | |
Ich habe mich mittlerweile von journalistischen Stücken mehr auf | |
Augenzeugenberichte verlegt. Ich habe einige Glaubwürdigkeit gewonnen, und | |
daher wollte ich insbesondere denen, die Englisch sprechen, dabei helfen, | |
das zu sehen, was ich sehe, zu hören, was ich höre. Einer der Gründe ist, | |
dass man nicht neutral bleiben kann, wenn jene, die getötet werden, die | |
sind, die du liebst. Für internationale Journalisten ist es schwer, in so | |
einem Horror zu arbeiten, aber wenn du selbst von dort kommst, die | |
Menschen, um die es geht, deine Leute sind, dann ist es noch schwieriger. | |
Vor gut vier Jahren sah ich, wie meine Freunde auf diesen Demonstrationen | |
behandelt wurden. Einige von ihnen starben unter Folter. Man kann nicht | |
neutral sein, wenn es um einen Kriegsverbrecher geht. Ich denke auch nicht, | |
dass es irgendeinen westlichen Journalisten gibt, der neutral bleibt, wenn | |
es um den IS geht. Objektivität bedeutet, zwischen zwei Parteien zu stehen, | |
aber es bedeutet definitiv nicht, am Rande zu stehen und einem Tyrannen | |
beim Morden zuzusehen. Das ist keine politische Position, es ist eine | |
menschliche Position. Ich bin Journalistin, aber ich ergreife Partei: für | |
Menschlichkeit. | |
Der Tod des 17-Jährigen Molhem Barakat, der als Freiberufler Fotos für die | |
Agentur Reuters schoss, warf 2013 ein trauriges Licht auf die Bedingungen, | |
unter denen gearbeitet wird. Der Druck ist groß, spektakuläre Bilder zu | |
produzieren. Hat sich das gebessert? | |
Das hängt stark von den jeweiligen Medien und den Journalisten ab. Einige | |
Agenturen, AFP etwa, trainieren ihre Reporter und behandeln sie wie feste | |
Mitarbeiter, helfen ihnen, wenn sie verletzt werden. Andere aber, einige | |
Fernsehsender und Zeitungen etwa, die mich gebeten hatten, sie mit | |
Bürgerjournalisten in Kontakt zu bringen, nutzten diese aus. Ich habe | |
mittlerweile klargemacht, dass ich keinem internationalen Journalisten mehr | |
helfe, das Material eines Bürgerjournalisten zu bekommen, wenn diese die | |
geleistete Arbeit nicht respektieren. Nur weil sie keine Zeugnisse oder | |
Abschlüsse haben oder kein Englisch sprechen, hat man nicht das Recht, ihre | |
Arbeit und die Gefahr, in die sie sich dafür begeben, gering zu schätzen. | |
Wie sehen Sie die gegenwärtige Berichterstattung über Syrien? | |
Ich halte sie für sehr verzerrt. Es gibt viele doppelte Standards. Man hat | |
sich völlig auf den IS fokussiert und ignoriert gänzlich das Hauptproblem | |
und den Hauptgrund für das Leid der Zivilisten: Assad und nun auch | |
Russland. Das Regime ist für die große Mehrheit der zivilen Toten | |
verantwortlich. Das Syrian Network for Human Rights geht von 96 Prozent | |
aus. Und dieser Assad wird nun im Westen als das kleinere Übel, als die | |
bessere Lösung gesehen. Das ist unglaublich für mich. Viele haben über den | |
IS die Menschen und die Zusammenhänge aus den Augen verloren. Und sie | |
präsentieren die syrischen Stimmen nicht. Vor der Parlamentsabstimmung über | |
die Luftschläge gegen den IS haben einige britische Medien, wie der | |
Guardian, versucht, jenen syrischen Stimmen Gehör zu verschaffen, die | |
Einspruch gegen diese Entscheidung einlegten. Nun, sie wurden | |
offensichtlich nicht gehört, aber einige haben diesen Dreh jetzt gekriegt | |
und geben diesen Stimmen Raum, wenngleich das der allgemeinen | |
Geisteshaltung entgegensteht, dass Syrer nicht einmal mehr Zahlen sind. | |
Sie reisen gerade durch den Westen für Preisverleihungen und Konferenzen. | |
Wollen Sie zurück nach Syrien? | |
Ja. Bis heute kann ich mich nicht raushalten. Ich versuche mehr Zeit | |
außerhalb Syriens zu verbringen, aber ich kann mich nicht dazu | |
entschließen, nicht zurückzugehen. Ich werde definitiv kein Asyl in einem | |
der Länder beantragen, für die ich momentan Visa habe. Ich werde nächstes | |
Jahr staatenlos werden, weil ich keinen syrischen Pass bekommen konnte. Ich | |
habe sogar einige tausend Dollar bezahlt, doch das Regime hat ihn mir | |
verwehrt. Ich werde also zwischen Syrien und der Türkei festsitzen und | |
ehrlich gesagt kümmert mich das auch nicht. Ich freue mich, nicht mehr in | |
den Westen zurückzukehren. Dort ist es hart für mich, diese Stimmen zu | |
hören, diese Ungleichbehandlung, als potenzieller Terrorist gesehen und | |
behandelt zu werden, weil ich Syrerin bin. In keinem der Länder, die nun in | |
Syrien bombardieren, sind wir noch willkommen. Und dann diese dummen | |
Fragen, wer nun schlimmer sei: Assad oder der IS? Eine Frage wie die, ob | |
man lieber langsam unter Folter oder schnell getötet werden will. Wir sind | |
die, die den IS bekämpfen, ihn am Boden bekämpfen und seine überwiegenden | |
Opfer sind. Und hier behandelt man uns wie Verdächtige. | |
Wie sehen Sie Syriens Zukunft? | |
Ich sehe keine. | |
Und die Konferenzen, in die man so viel Hoffnung setzt? | |
Ich drücke die Daumen, aber wir haben aufgehört, auf irgendetwas Positives | |
zu hoffen. Die Situation wird nur schlimmer, insbesondere dank der Russen. | |
Ausland SEITE 10 | |
29 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Jan-Niklas Kniewel | |
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