# taz.de -- EINSATZ Ursula von der Leyen will als Verteidigungsministerin der B… | |
> LiterBier und Wein ließen sich 2007 die 3.500 Soldaten nach Afghanistan | |
> liefern | |
Bild: Auf dem Truppenübungsplatz in Munster/Bergen, mitten in der Lüneburger … | |
Aus Hannover, Köln und Munster Julia Maria Amberger | |
An einem Samstagnachmittag im Juni dieses Jahres hat es | |
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für einen kurzen Moment | |
geschafft: Die Deutschen klatschen für ihre Armee. Es ist Tag der offenen | |
Tür bei der Bundeswehr, in der Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover | |
applaudieren 300 Menschen – all den Soldatinnen und Soldaten in | |
Afghanistan, Somalia und den anderen Ländern, in denen die Bundeswehr | |
vertreten ist. Von der Leyens Rede wird von der Bühne in ihre Feldlager | |
übertragen. Der Brigadegeneral, heute der Gastgeber hier, beugt sich zu der | |
Ministerin hinunter, streckt den Arm aus und sagt: „Hier geht es lang, Frau | |
Ministerin.“ Und schon marschiert die Ministerin los. | |
Vor einem blauen Lastwagen, dem sogenannten Karrieretruck, halten sie. An | |
einer Tür, die in die Ladefläche hineinführt, flimmert ein Video. Soldaten, | |
die mit dem Fallschirm in einer Wüste landen oder mit Skiern einen Berghang | |
hinabgleiten. Ursula von der Leyen läuft die Stufen zum Eingang hoch und | |
schüttelt einem Mann die Hand, der, seit sie Ministerin ist, nicht mehr | |
Wehrdienstberater, sondern Karriereberater heißt. Dann verschwindet sie im | |
Inneren des Lastwagens. Auf einem Pfeil steht „militärische Karriere“, | |
rechts daneben „zivile Karriere“. Ursula von der Leyen läuft nach rechts. | |
Es ist das erste Mal, dass die Bundeswehr so aufwendig ihr Innenleben | |
präsentiert. An 15 Standorten in Deutschland wurden Panzer vorgefahren, | |
Fallschirmjäger stürzen sich auf die Erde, Kinder dürfen sich in Tarnfarben | |
schminken lassen oder auf Panzer klettern. Der „Tag der Bundeswehr” ist | |
Teil der Attraktivitätsoffensive, mit der die Ministerin die Bundeswehr | |
modernisieren will. Denn seit 2011 die Wehrpflicht beendet wurde, fehlt es | |
der Armee an jungen Menschen. Weil sie aber in den nächsten Jahren trotzdem | |
Nachwuchs braucht, muss sich die Bundeswehr jetzt anstrengen. Sie | |
konkurriert mit Firmen wie Siemens und McKinsey um angehende Ingenieure und | |
Computerspezialisten. Sie will sich von ihrem alten Image befreien – von | |
Stubendurchgang, Gehorsamspflicht und Abendbrot um 17 Uhr. Und deshalb | |
vergleicht von der Leyen die Bundeswehr gern mit einem international | |
tätigen Konzern. | |
Kurz vor ihrem Rundgang hatte die Ministerin noch knapp 30 Soldatinnen und | |
Soldaten auf die Bühne geholt: junge Leute im Karatedress, im | |
Adidas-Trainingsanzug, im Flecktarn, die Moderatorin des Bundeswehrradios, | |
Sanitäter. Ganz vorne strahlt von der Leyen im cremefarbenen Anzug. Sie | |
tritt einen Schritt aus der Menge heraus. „Hier wird die Logistik | |
organisiert, rund um den Erdball“, sie zeichnet dabei einen Kreis in die | |
Luft. „Wir haben einen Logistikkonzern, ein Luftfahrtunternehmen, eine | |
Reederei.“ Besucher halten ihre Handykameras hoch. Väter mit ihren Kindern, | |
Rentner, ein paar Jugendliche. Doch insgesamt viel weniger, als die | |
Bundeswehr erwartet hatte. | |
Wer es im politischen Geschäft zu etwas bringen will, muss sich an eine | |
Regel halten: Verfolge eine Vision – und unterfüttere sie mit den passenden | |
Bildern. Thomas de Maizière, Sohn des einstigen Generalinspekteurs Ulrich | |
de Maizière, stellte das Dienen in den Vordergrund. Er zeichnete von sich | |
das Bild eines korrekten Aktenverwalters, ganz im Dienst seines Amtes. | |
Unter ihm warb die Bundeswehr mit dem Slogan „Wir.Dienen.Deutschland“. | |
## Die Ministerin sagt: Ich will eine Armee der Berater | |
Von der Leyen hat einen neuen Slogan hinzugefügt: „Aktiv.Attraktiv.Anders“. | |
Kaum im Amt, feuerte sie zwei Staatssekretäre und zwei Abteilungsleiter und | |
holte dafür Berater der Firma McKinsey ins Ministerium. Sie ließ sich | |
erklären, wie die Rüstungsabteilung geführt werden müsste, und baute sie | |
daraufhin um. Von der Leyen.Will.Viel. In den Kasernen ersetzt sie derzeit | |
die militärtypischen Spinde durch Einbauschränke, verspricht freies | |
Internet und mehr Kitas für die Kinderbetreuung. Jetzt, da die Ämter mit | |
der Zahl der Flüchtlinge überfordert sind, schickt sie Soldaten ins | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und stellt 4.000 | |
Bundeswehrmitarbeiter als „helfende Hände“ frei. | |
Anfang November hat sich die Bundeswehr auch einen neuen Werbeslogan | |
zugelegt: „Mach, was wirklich zählt“. Für 10,6 Millionen Euro hat das | |
Verteidigungsministerium die Düsseldorfer Firma „Castenow“ engagiert, die | |
auch für McDonald’s und für Rewe wirbt. Sie hat 5,5 Millionen Postkarten | |
bedruckt, 30.000 Plakate in zwölf Städten aufgehängt und präsentiert ihre | |
Sprüche auch auf einer neuen Website und in sozialen Netzwerken. „Den Weg | |
zu dir selbst findest du nicht in einer Running-App“, heißt es da, oder | |
„Bei uns geht es ums Weiterkommen, nicht ums Stillstehen“. Sie wecken | |
Interesse mit dem Kennenlernen der eigenen körperlichen und physischen | |
Grenzen und mit Kameradschaft – doch in keinem der Videos auf der neuen | |
Website wird auch nur ein Schuss abgefeuert. In dieser Woche hat deshalb | |
auch ein Netzwerk von Aktionskünstlern, das „Peng-Kollektiv“, die Kampagne | |
im Netz persifliert: „Mach, was zählt“, gleiche Aufmachung, fast gleiche | |
Domain. „Wenn du deinen Mitmenschen helfen und die Gesellschaft wirklich | |
voranbringen möchtest, ergreife einen sinnvollen Beruf“, heißt es da. Es | |
folgt eine Auflistung, von Arzt/Ärztin, Krankenpfleger/in bis zur Arbeit | |
mit Flüchtlingen. | |
Was genau ist das für eine Armee, die die Ministerin sich vorstellt? Was | |
ist das für eine Bundeswehr, die man vorfindet, wenn man sich mit Soldaten | |
trifft? Und wie passen diese beide Armeen mit dem Bild zusammen, das eine | |
mehrheitlich kriegskritische Gesellschaft sich von ihr macht? | |
Auch wenn die Ministerin eine neue, moderne Bundeswehr will, wirbt sie beim | |
Tag der offenen Tür mit alten Werten. Das, was die Soldaten tun, sei | |
sinnvoll und ehrenhaft, obwohl das in der Bevölkerung vielleicht anders | |
gesehen wird. Sie hebt den Finger und schiebt ihr Kinn nach vorne – wie so | |
oft, wenn sie dem Gesagten Nachdruck verleihen will. „Unsere Soldaten sind | |
auch am Horn von Afrika, um die Seewege vor Piraterie zu schützen“, sagt | |
sie, und zieht dabei das Wort „unsere“ in die Länge. „Das heißt, dass | |
unsere Bundeswehr und andere Nationen sicherstellen, dass die Schiffe der | |
Welthungerhilfe auch ihren Weg nehmen können dorthin, wo Menschen hungern, | |
damit diese Hilfe bekommen.“ Die rund 30 Soldatinnen und Soldaten blicken | |
ins Publikum, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, während von der | |
Leyen sie für den Kampf gegen das Hochwasser und die Seuche Ebola lobt. | |
Vielleicht fragen sich die Soldatinnen und Soldaten, wozu sie bei der | |
Bundeswehr das Schießen lernen, wenn alles so freundlich sein soll in der | |
Armee. Sie alle müssen Waffen bedienen können, auch die sogenannten zivilen | |
Mitarbeiter, die an einem Auslandseinsatz teilnehmen. Denn wenn von der | |
Leyen von einer Tätigkeit „rund um den Globus“ spricht, dann meint sie | |
nicht Los Angeles oder Tokio, sondern Erbil oder Mogadischu. | |
Oder Rakka, Mossul, Kobani? Die Situation einer Armee kann sich schnell | |
ändern. Nach den Anschlägen von Paris am 13. November, als Hollande von | |
einem „Kriegsakt“ der Terroristen sprach und die Luftangriffe gegen den | |
„Islamischen Staat“ in Syrien ausweitete, stand eine Frage plötzlich im | |
Raum: Was, wenn Frankreich die Nato um Hilfe bittet? Was, wenn es den | |
Bündnisfall ausruft? Müssen dann auch deutsche Soldaten ran? Artikel 5 des | |
Nato-Vertrags besagt: Ein Angriff auf einen Mitgliedsstaat ist ein Angriff | |
auf alle. | |
Doch so weit geht Frankreich derzeit nicht. Es beruft sich, zum ersten Mal | |
in der Geschichte der Europäischen Union, auf den EU-Vertrag, der die | |
anderen Staaten dazu verpflichtet, „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und | |
Unterstützung“ zu leisten, die aber auch finanzieller Natur sein können. | |
Ursula von der Leyen hat nun erklärt, das militärische Engagement der | |
Deutschen in Mali ausbauen zu wollen und so Frankreich zu entlasten. Am | |
Donnerstag wurde bekannt, dass die Bundesregierung auch Tornados und | |
mindestens ein Kriegsschiff nach Syrien schicken will. | |
## Der Soldat sagt: In meinem Beruf geht es ums Kämpfen | |
Major Marcel Bohnert, 36 Jahre, ist ein sportlicher Mann mit Jungengesicht. | |
Er weiß, warum Soldaten das Schießen lernen. 1997 ging er zu den | |
Panzergrenadieren, der Truppengattung, die mit Fahrzeugen wie „Leopard“ | |
oder „Marder“ ins Gefecht zieht. Er sah sich lange als einen Diplomat in | |
Uniform. Dann war er in Afghanistan. „Ich verfalle der Illusion nicht mehr, | |
die Bundeswehr sei ausschließlich eine Armee, die in humanitären Einsätzen | |
ein Land stabilisiert“, sagt er. | |
Es ist ein Nachmittag im Juli, an einem der runden Plastiktische auf der | |
Terrasse stoßen Männer im Offiziershemd mit Weißbier an. Bohnert setzt sich | |
auf eine Bierbank am Rand. Hier, am Bundessprachenamt der Bundeswehr in | |
Köln, studiert Bohnert Militär-Englisch. Der Sprachkurs ist Teil der | |
sogenannten Generalstabsausbildung, in der eine neue Führungselite | |
herangezogen wird. Er sieht jünger aus, als er eigentlich ist. „Mein Bild | |
von einem Soldaten wandelte sich vor fünf Jahren, an einem Tag Mitte | |
Oktober 2010“, sagt er. Da kam er zum ersten Mal nach Char Darah in der | |
afghanischen Provinz Kundus. | |
Er wollte sich einen Außenposten ansehen, auf dem er bald 200 Soldatinnen | |
und Soldaten führen sollte – sprich: entscheiden, in welche Gebiete die | |
Soldatinnen und Soldaten als Nächstes vordringen, um dort Aufständische zu | |
vertreiben. Das Lager war ein Schlammfeld, 200 mal 200 Meter, drum herum | |
Sandsäcke. Draußen wartete der Tod, Straßenbomben, Selbstmordattentäter. So | |
hat Bohnert es in Erinnerung. „Das war für mich ein absoluter Schock“, sagt | |
er. „Ich hatte das Gefühl, die Soldaten leben im Gefecht. Für die war es | |
Krieg.“ | |
An diesem Oktobertag kam nachmittags ein Soldat auf der Bahre zurück ins | |
Lager, ein Heckenschütze hatte ihm durch die Schulter geschossen. Ein | |
anderer Soldat erzählte, wie er mit einer Handgranate nach dem Feind | |
geworfen hatte. Die geweiteten Augen der Soldaten sagten Marcel Bohnert: | |
Hier ist Krieg. „Ein Scheißkrieg, für den wir uns opfern, und niemand weiß, | |
was hier eigentlich los ist. Gleichzeitig hatten die Soldaten aber das | |
Gefühl, etwas sehr Wichtiges zu tun. Dieser Stolz“, erzählt Bohnert, | |
„gemischt mit Zweifeln und der Hoffnung, dass das alles bald vorbei ist, | |
dass sie endlich zurückkommen zur Frau.“ Zu diesem Zeitpunkt habe sein | |
Vorgänger bereits etwa 25 verwundete Soldaten und ungefähr genauso viele | |
wegen psychischer Probleme nach Hause schicken müssen. | |
## Die Frage ist: Ändert sich die Bundeswehr gerade? | |
Manche Deutsche scheinenwieder gezeichnet vom Krieg. Sie erzählen von | |
Sprengfallen und Heckenschützen. Vom Töten und vom Sterben. Und immer | |
wieder sprechen sie von „PTBS“, von posttraumatischer Belastungsstörung: | |
Stress nach der Erfahrung von größter Angst. | |
Soldaten, die etwa einen Anschlag erlebt haben, behalten die Bilder vor | |
Augen, der Einsatz geht für sie in Deutschland weiter. Die Betroffenen | |
können nicht mehr schlafen, sie werden aggressiv und schreckhaft. Das | |
passiert vor allem dann, wenn sie nicht auf Extremsituationen im Einsatz | |
vorbereitet wurden. Die Beamten im Ministerium haben lange gebraucht, bis | |
sie erkannten, dass nicht alle Soldatinnen und Soldaten so aus ihrem | |
Einsatz zurückkamen, wie sie loszogen. | |
Bohnert macht das wütend. Er will die Schönwetterpropheten in der | |
Bundeswehr warnen. Das ist seine private Mission. Letztes Jahr hat er ein | |
Buch herausgebracht: „Armee im Aufbruch: Zur Gedankenwelt junger Offiziere | |
in den Kampftruppen der Bundeswehr“. Sechzehn Studenten der | |
Politikwissenschaft, Geschichte und Pädagogik schreiben darin über ihr | |
Soldatenbild in einer postheroischen Gesellschaft. Bohnert nennt das Buch | |
ein Gesprächsangebot. | |
Für Bohnert ist klar, worum es in der Bundeswehr geht: ums Kämpfen. Und die | |
Bundesregierung dürfe das nicht mehr verheimlichen. „Niemand wollte anfangs | |
von Krieg sprechen. Man hat die Anschläge als Versehen gedeutet“, sagt er, | |
„aber so eine Denke kann im schlimmsten Fall Tote verursachen.“ | |
Auch Ursula von der Leyen will ein Buch herausbringen, in dem es um das | |
Selbstbild der Bundeswehr geht. Als plötzlich der Krieg in der Ukraine | |
ausbrach und IS-Kämpfer Mossul und Rakka eroberten, musste sie ihr Ziel, | |
die Bundeswehr zu einem familienfreundlichen Arbeitgeber auszubauen, um ein | |
weiteres ergänzen: Sie erklärte, dass Deutschland mehr Verantwortung in der | |
Welt übernehmen sollte. Im neuen Weißbuch, einer Art Kompass dafür, wie man | |
auf die Krisen der Zeit reagieren soll, will sie diese Ankündigung nun | |
konkret werden lassen. Ende 2016 soll es fertig sein. Dass von der Leyen | |
darin fürs Kämpfen wirbt, ist unwahrscheinlich. | |
Denn von der Leyen führt ihr Buchprojekt wie ein öffentliches Bauvorhaben – | |
in einer „inklusiven Debatte“, an der sich nicht nur Wissenschaftler, | |
Politiker, Militärs und einfache Bürger beteiligen. Von Anfang an sind auch | |
das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium dabei und fordern, an | |
einer gesamtheitlichen Strategie mitzuarbeiten, bevor der Bundestag über | |
einen Militäreinsatz entscheidet. | |
Doch allein der Ort – ein schicker Saal im Hotel Steigenberger in Berlin – | |
lässt erahnen, dass dieser Prozess relativ wenig mit der Welt von Major | |
Marcel Bohnert zu tun hat. Sozialwissenschaftler der Humboldt-Universität | |
und der Bundeswehr-Universität diskutieren dort über das Verhältnis | |
zwischen Soldat und Gesellschaft. Sie denken über das Paradox nach, dass | |
sich Menschen zunehmend unsicher fühlen, wenn mehr über Sicherheit | |
gesprochen wird. Und statt der Gulaschsuppe, die bei fast allen | |
Presseterminen der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums serviert | |
wird, gibt es Garnelenspieße und Himbeertörtchen. | |
Von der Leyen will eine neue, moderne Bundeswehr, sagt sie. Eine, die | |
straff organisiert ist wie ein Konzern. Soldatinnen und Soldaten sollen | |
ihre Zeit nicht in den Kasernen in Deutschland verbummeln, sondern die | |
Flüchtlingskrise managen oder im Ausland eingesetzt werden. Aber in erster | |
Linie eben nicht in der Schlammzone, sondern als Profis, die die Spitzen | |
der afghanische Armee schulen oder Peschmerga-Kämpfer an der Waffe | |
ausbilden. Eine Armee, die sich dadurch stärker in die Vereinten Nationen | |
einbringt, dass sie mehr Führungspersonal stellt. Man könnte auch sagen: | |
eine Armee der Berater. | |
Und sie will eine Armee der humanitären Helfer. Eine, die mit 3.000 | |
Soldaten im Ausland mit NGOs und Mitarbeitern des Auswärtigen Amts und des | |
Entwicklungsministeriums zusammenarbeitet. Eine, die mit 6.000 Soldaten im | |
Inland andere Behörden und Ehrenamtliche beim Registrieren und Unterbringen | |
von Flüchtlingen entlastet. Vielleicht trägt die Ministerin auch deshalb so | |
dick auf, weil sie nach Verbündeten sucht. Auf die Medien kann sie nicht | |
mehr zählen: Als eine erneute Studie über das Sturmgewehr G36 ergab, dass | |
sich sein Lauf bei Dauerfeuer verzieht und das Gewehr dann nicht mehr | |
trifft, zweifelten die Journalisten sogar die Einsatzfähigkeit der Truppe | |
an. | |
Die Frage, die sich stellt: Ist das Kämpfen wirklich der Kern des | |
Soldatenberufs? | |
Munster ist ein 16.000-Einwohner-Städtchen in Niedersachsen. Hotels heißen | |
hier „Grenadier“ oder „Deutsches Haus“, an der Rezeption sind Panzer in | |
Miniaturgröße ausgestellt. Mehr als 7.000 Menschen arbeiten in Munster für | |
die Bundeswehr. Am Kreisverkehr steht ein Schild mit einem Eisernen Kreuz, | |
dem Symbol der Panzergrenadiere. Es führt zu ein paar flachen Häusern, von | |
einem Zaun abgesperrt: dem größten Standort des Heeres der Bundeswehr. Hier | |
war Bohnert vor seinem Afghanistaneinsatz stationiert. Hier werden die | |
Soldatinnen und Soldaten ausgebildet, die später mit Panzern durch | |
Kriegsgebiete fahren. | |
In einer halben Stunde Fahrt durch die Lüneburger Heide erreicht man den | |
Truppenübungsplatz Munster/Bergen, einen der größten Europas, fast ein | |
Drittel so groß wie das Land Berlin. Sümpfe und Kiefernwälder breiten sich | |
hier aus. Unter manchen Bäumen ducken sich durchlöcherte Panzerwracks. Die | |
Ketten der Fahrzeuge haben tiefe Furchen in den Boden gerissen. Seit mehr | |
als 120 Jahren trainieren Soldaten hier ihren Einsatz. | |
An einer Lichtung haben sie ein Feldlager nachgebaut. Es ist umringt von | |
einer Mauer aus Steinsäcken. Am Rand eine Tribüne, von der aus ein paar | |
Soldaten den Kameraden zusehen, wie sie Panzer betanken, beladen und eine | |
Patrouille zusammenstellen. In wenigen Tagen sollen sie das einer Klasse | |
von Offiziersschülern vorführen. | |
Der größte Kampfeinsatz in der Geschichte der Bundeswehr hat auf dem | |
Münsteraner Übungsplatz Spuren hinterlassen: Auf die Idee mit der | |
Steinsackmauer kamen die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Der | |
vierrädrige „Dingo“ mit der Schusswaffe auf dem Dach ist für den | |
Afghanistaneinsatz entwickelt worden, auch der etwas kleinere „Eagle“ wurde | |
dafür in neuerer Version ausgeliefert. Und der Panzer dort hinten an der | |
Wasserstation ist sandfarben-grün-braun lackiert, in den Farben des | |
Hindukusch, der Berge im Norden Afghanistans. | |
Aber bei nur einer der sieben Vorführungen, die sich die Offiziersschüler | |
ansehen werden, geht es tatsächlich ums Kämpfen. | |
Major Marcel Bohnert bezeichnet den Afghanistaneinsatz in seinem Buch als | |
„Feuertaufe“, die die Bundeswehr zu ihren militärischen Wurzeln | |
zurückgeführt habe. Deutsche Soldatinnen blickten stolz und selbstbewusst | |
auf den Afghanistaneinsatz zurück. „Afghanistan hat die Bundeswehr an ihre | |
längst vergessene Mündigkeit erinnert“, sagt er. | |
Ist heute möglich, woran noch vor zwanzig Jahren keiner dachte – darf sich | |
die Bundeswehr, die selten Armee genannt wird, wieder als Kampftruppe | |
präsentieren? Wie kein anderer zuvor prägte der Einsatz am Hindukusch die | |
Bundeswehr als Gesamtorganisation. Mehr als 135.000 deutsche Soldatinnen | |
und Soldaten waren seit 2001 in Afghanistan, mehr als 5.000 von ihnen sind | |
in Gefechte geraten. Lange waren Veteranen aus der deutschen Gesellschaft | |
verschwunden, nun sind sie wieder da. Von der Leyen muss mit diesen | |
Kämpfern leben, sie kann nicht umhin, Afghanistanveteranen auch ins | |
Ministerium zu holen. Ihr Adjutant Heico Hübner zum Beispiel war zuvor | |
Kommandeur eines Ausbildungs- und Schutzbataillons in Afghanistan. Markus | |
Kneip, heute Leiter der Abteilung Strategie und Einsatz, hatte zuvor das | |
Kommando im Norden Afghanistans inne. | |
Wie viel Macht haben sie über die Ministerin? Von der Leyen spricht nicht | |
so konsequent von Frieden wie ihre Vorgänger. Gerhard Schröder verweigerte | |
eine Beteiligung der Deutschen am Irakkrieg. Die schwarz-gelbe Regierung | |
enthielt sich in einer UNO-Abstimmung über eine Flugverbotszone und | |
Luftangriffe über Libyen. Und sie? „Die Kriegsministerin“, titelte das | |
Magazin Stern 2014, nachdem sie gemeinsam mit Außenminister Frank-Walter | |
Steinmeier und Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner | |
Sicherheitskonferenz eine stärkere – auch militärische – Rolle Deutschlan… | |
in der Welt angemahnt hatte. Doch bislang hat sie noch keinen Einsatz | |
befürwortet, in dem es ums Kämpfen geht. | |
Dennoch stellt sich aktuell die Frage, welche Rolle die Bundeswehr | |
beispielsweise bei der Terrorbekämpfung spielen soll. Was, wenn Terroristen | |
in Deutschland schießen? Wolfgang Schäuble schlug nach Paris vor, bei einem | |
Anschlag die Bundeswehr auch im Innern einzusetzen. Die polizeilichen | |
Fähigkeiten würden da nicht ausreichen. Es scheint, als würde sich eine | |
Gesellschaft in Zeiten von Terror mit militärischer Präsenz sicherer | |
fühlen. | |
Die deutsche Gesellschaft ist immer wieder Thema des Buchs „Armee im | |
Aufbruch“. Marcel Bohnert rechnet darin mit ihr ab. „Viele Menschen hier | |
wollen einfach Spaß haben am Leben, auch wenn ihr Konsum auf anderen Teilen | |
der Erde Konflikte auslöst. Wenn es aber um die Lösung dieser Konflikte | |
geht, wollen sie nichts davon wissen und machen einen auf Pazifismus“, sagt | |
er. „Wenn die Gesellschaft nicht nachvollziehen kann, dass sie hier in | |
Frieden lebt, weil wir auf einem anderen Kontinent diesen Frieden | |
verteidigen – warum müssen wir dann ständig darum kämpfen, in der | |
sogenannten Mitte der Gesellschaft zu stehen?“, fragt er. „Können wir nicht | |
einfach auch am Rand sein?“ | |
Es ist ein Sprengsatz, den er zündet mit diesen Worten, und mitten | |
hineinwirft in die „Aktiv.Attraktiv.Anders“-Bundeswehr der | |
Verteidigungsministerin von der Leyen. Bohnert stellt die Innere Führung | |
infrage. Die definiert die Soldatin oder den Soldaten als Staatsbürger in | |
Uniform mit der Pflicht, am politischen Leben teilzunehmen, sich eine | |
Meinung zu bilden und nicht nur blind Befehle zu befolgen. Die Innere | |
Führung wurde in den fünfziger Jahren aufgebaut, damit die Armee niemals | |
wieder von Politikern instrumentalisiert wird oder ein Eigenleben | |
entwickelt. In Afghanistan oder Somalia schätzen viele die deutschen | |
Soldaten für ihre Zurückhaltung im Vergleich zu anderen Nationen und für | |
ihr respektvolles Auftreten. | |
Bohnert will die Innere Führung nicht abschaffen, er glaubt aber, dass sie | |
der Bundeswehr schade. „Die zivile Prägung in der Führung hat auch dazu | |
geführt, dass Soldaten die Lage vor Ort beschönigt an ihre Vorgesetzten | |
weitergegeben haben, weil sie Karriere machen wollten. Und die Soldaten an | |
der Basis mussten das ausbaden“, sagt er. | |
In Afghanistan mussten die Soldaten gegen Regierungsgegner kämpfen, | |
gleichzeitig die Herzen der Bevölkerung gewinnen und nebenbei noch eine | |
Schule bauen. Ein Soldat müsse sich auf das konzentrieren können, wofür er | |
ausgebildet sei, sagt Bohnert. Und das sei nun mal das Kämpfen. Um den Rest | |
sollten sich das Auswärtige Amt und Entwicklungsorganisationen kümmern. | |
„Die Bundeswehr braucht auch Leute, die nicht jeden Befehl diskutieren, | |
sondern stattdessen fragen, ob sie noch mehr schleppen können.“ Es gebe, | |
sagt Bohnert, eine Lücke zwischen der gelebten Kultur der Soldaten und dem | |
Bild, das die Bundeswehr in ihren Hochglanzbroschüren vorgibt, | |
beziehungsweise dem, das die Gesellschaft von ihr hat. | |
Auf dem Militärübungsplatz in Munster knallt es dumpf. Ein mit | |
Tannenzweigen getarnter Panzer, gleich neben der Zuschauertribüne, hat | |
gerade geschossen. Als die Kanonenkugel knapp drei Kilometer weiter vorne | |
aufprallt, spritzt die Erde wie eine Fontäne. „Panzergrenadierbataillon auf | |
Stellung“, dröhnt es aus dem Lautsprecher, der die Funkkommunikation der | |
Soldaten überträgt. „Zugriff auf Seedorf!“ Seedorf ist eines der Dörfer, | |
die auf der Hügellandschaft etwa 500 Meter vor der Tribüne aufgebaut sind. | |
Plötzlich schieben sich dort vorne vier Panzer aus dem Wald, sie halten vor | |
einem der Häuser. Vier Soldaten springen heraus und stürmen das Gebäude. Es | |
knallt, während die Panzer in den Ortskern vordringen. | |
Nach etwa einer Stunde ruft ein Soldat: „Operation beendet!“ | |
Sind die Ministerin und ihr Major wirklich so weit auseinander? Beide haben | |
noch ein höheres Ziel vor Augen. Die eine will Kanzlerin werden, der andere | |
General. Deshalb müssen beide auf sich aufmerksam machen: die Ministerin | |
mit ihrer klinisch sauberen Konzern-Armee, die für jeden etwas bietet; der | |
Major mit seiner Profikämpfer-Armee für die, die vor allem Soldat sein | |
wollen. Von der Leyen hat ihn nie zurückgepfiffen. Im Grunde kommt er ihr | |
gelegen. Zu einer modernen Bundeswehr gehört eben auch, dass sich | |
Soldatinnen und Soldaten selbst zu Wort melden. Wenn noch dazu einer mit | |
dem Kämpfen wirbt, dann muss das von der Leyen nicht selbst machen. | |
Es ist Mittwochvormittag dieser Woche, als sich Ursula von der Leyen vor | |
die Fernsehkameras stellt. 650 Soldaten will die Ministerin nach Mali | |
schicken, um Frankreich zu entlasten. Damit wäre Mali nach Afghanistan und | |
dem Kosovo der drittgrößte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Ein Land, in dem | |
vergangenen Freitag in einem Hotel Geiseln genommen wurden. 21 Menschen | |
starben. Dieses Mandat, sagt von der Leyen, soll „sehr viel substanzieller | |
in die Logistik und in die Aufklärung eintreten“. Logistik. Aufklärung. So | |
sprechen auch Chefs von weltweiten Konzernen. | |
Julia Maria Amberger, 29, ist freie Journalistin. Sie hat erlebt, wie | |
Freunde von ihr nach Afghanistan gingen – und am Ende mit Geschichten vom | |
Krieg zurückkamen | |
28 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Julia Maria Amberger | |
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