# taz.de -- Derby Im ersten Aufeinandertreffen von Darmstadt 98 und der Frankfu… | |
Bild: Die Darmstädter Balance (hier Marcel Heller, rechts) in dieser Saison is… | |
von Timo Reuter | |
Wie das eben so ist vor einem Derby: Für die Fans ist es das Spiel des | |
Jahres, vor den Ticketschaltern bilden sich viele Hundert Meter lange | |
Schlangen. Die Region steht Kopf. Die Spieler, die sich eigentlich auf das | |
Sportliche konzentrieren sollen, können sich dem Trubel nicht entziehen. | |
Doch das Bemerkenswerte am Aufeinandertreffen der Lokalrivalen aus | |
Frankfurt und Darmstadt am frühen Sonntagabend ist etwas anderes – nämlich | |
dass dieses Derby überhaupt wieder stattfindet, und zwar in der Beletage | |
des deutschen Fußballs. | |
Denn kurz nach dem letzten Aufeinandertreffen in der Bundesliga im April | |
1982 stieg der SV Darmstadt 98 ab und verschwand später fast völlig in der | |
Versenkung. Noch vor zweieinhalb Jahren war der Verein sportlich aus der | |
dritten Liga abgestiegen, ausgerechnet der Lizenzentzug eines anderen | |
Lokalrivalen, der Offenbacher Kickers, rettete den Klub. Was danach folgte, | |
darf als mittelgroßes Fußballwunder bezeichnet werden: Der Underdog aus | |
Südhessen feierte den sensationellen Durchmarsch bis in das | |
Fußballoberhaus. Dabei sind die „Lilien“ stets Außenseiter geblieben: ein | |
kleiner Verein mit noch kleinerem Etat und einem altehrwürdigen Stadion aus | |
den 1920er-Jahren, in dem der Beton vor sich hin bröckelt. | |
Daran hat sich bisher nicht viel geändert, trotz des Abenteuers Bundesliga. | |
Und so dürfen die großen etablierten Klubs, die am Böllenfalltor zu Gast | |
sind, in den Genuss des ganz besonderen Charmes kommen, den im | |
hochprofessionellen Fußballgeschäft sonst nur noch Amateurvereine | |
versprühen. | |
Doch die Darmstädter begnügen sich nicht mit der Rolle des dankbaren | |
Gastgebers. Zwar sind die spielerischen Mittel begrenzt, aber mit | |
Leidenschaft, Einsatz und Disziplin sammelte das Team von Trainer Dirk | |
Schuster bisher stolze 15 Punkte. Mitverantwortlich dafür sind mit Marcel | |
Heller, Jan Rosenthal und Dominik Stroh-Engel gleich drei ausgemusterte | |
Frankfurter Spieler, die in Darmstadt zu Leistungsträger herangewachsen | |
sind. „Für mich sind Derbys die schönsten Spiele“, bekannte der fünffache | |
Bundesliga-Torschütze Heller Mitte dieser Woche. Die Stimmung in Darmstadt | |
ist also bestens. | |
Anders die Situation in Frankfurt. In der erfolgshungrigen Bankenmetropole | |
hätten wohl nur echte Pessimisten vor der Saison geglaubt, dass die | |
Eintracht nach 14 Spielen einen Punkt hinter dem Aufsteiger liegt. Nachdem | |
Thomas Schaaf als Trainer Ende der vergangenen Spielzeit nach einer | |
Medienkampagne geschasst wurde, hofften die Fans auf den einst gefeierten | |
Armin Veh, der die Frankfurter vor gut zweieinhalb Jahren in den | |
Europapokal führte, sich dann aber gegen die Eintracht entschied. | |
Als im Juni die Rückkehr des 54-Jährigen verkündet wurde, glaubten viele an | |
einen Aufbruch zurück in eine bessere Zukunft. Doch der mutmaßliche | |
Heilsbringer hatte den Erfolg nicht im Gepäck. Seiner Mannschaft fehlt der | |
unbedingte Wille zum Sieg, sie spielt berechenbar und gerade in den letzten | |
Wochen eher lethargisch – ganz anders als die kämpferischen „Lilien“. Und | |
so ist die Eintracht, noch dazu von Verletzungspech geplagt, aus dem Traum | |
Europapokal in der harten Realität des Abstiegskampfes erwacht. „Es wird | |
eng bis zum Schluss“, sagte denn auch Armin Veh nach dem 1:2 am letzten | |
Samstag beim Rhein-Main-Derby in Mainz. Diese Niederlage ärgerte viele | |
mitgereiste Anhänger so sehr, dass sie demonstrativ ihre Unterstützung | |
einstellten. | |
Sollte Veh das zweite Derby innerhalb von neun Tagen verlieren, könnte ihn | |
das viel Kredit kosten. Dass einige Eintracht-Fans den Fußball zu ernst | |
nehmen, haben sie vergangene Woche mit einer eher unschönen Aktion | |
bewiesen. Auf Plakaten und Aufklebern war dort ein bulliger Mann im | |
Eintracht-Trikot zu sehen, der eine Frau im Lilientrikot würgt. Die | |
Staatsanwaltschaft leitete deshalb ein Ermittlungsverfahren ein, die Partie | |
am Sonntag gilt als Risikospiel. Die Vereinsführung von Eintracht Frankfurt | |
distanzierte sich ebenso wie Teile der Fanszene umgehend von diesem | |
Versuch, das Derby zu einem Hassduell zu stilisieren. | |
Die Darmstädter Fans haben bisher betont gelassen auf die Provokation | |
reagiert, nämlich gar nicht. Vielleicht interpretieren sie die Aktion ja | |
auch ganz anders: Entgegen allen Erwartungen gibt es im erstes Derby beider | |
Vereine seit 33 Jahren keinen Favoriten. Darmstadt 98 wird wieder ernst | |
genommen. Blamieren kann sich am Nikolausabend trotzdem nur die Eintracht. | |
5 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Timo Reuter | |
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