| # taz.de -- Im Anwohnerpark | |
| MANJA PRÄKELS | |
| ## Teil 13: Peter has just left the building | |
| Für einen kurzen Augenblick, noch bevor der Morgen dämmerte und gerade lang | |
| genug, um Oma Heinrich aus dem Schlaf zu schrecken, schwieg die Stadt. | |
| Nebel hatte sich auf die Häuser gelegt. Ein feiner Film aus nasser Luft | |
| benetzte Äste, Fahrradsättel, Stromkästen, Werbeaufsteller. Der Fuchs | |
| tänzelte geschmeidig vom Friedhof her über den Asphalt, vorbei am letzten | |
| unsanierten Haus, dem noch immer geöffneten blaulicht, und bog in Richtung | |
| der Mülltonnen vor der Kaufhalle ab. In Ankündigung eines herbstmilden | |
| Tages schmetterte die Amsel ihren Weckruf vom Baumwipfel der Kastanie in | |
| die Hinterhöfe. Oma Heinrich blickte einäugig auf ihren Wecker und drehte | |
| sich noch mal um. | |
| „Letzte Runde!“ | |
| Mit letztem Schwung öffnete Hildegard die Kneipentür, um Luft in die Höhle | |
| zu lassen. So viel kühle Luft, dass ihre Gäste endlich den Heimweg antreten | |
| müssten. Der arthritische Nachbar schlurfte an ihr vorüber, hob kurz seine | |
| Hand zum Gruß und ging weiter. „Jott sei Dank.“ Musste ja wirklich nicht | |
| jeder Verirrte bei ihr landen. | |
| Sprottenpeter, der nun friedlich auf dem Sofa am Ende des Gastraums | |
| schlummerte, hatte in seinen Geburtstag hineingefeiert. Ein schönes Fest | |
| war das gewesen. Peter, der alte Seebär, hatte vom Meer geschwärmt, vom | |
| Fischfang auf seinem Kutter. Und die rare Frank-Zappa-Aufnahme aus Übersee, | |
| für die Lolle und Heiko zuvor Geld gesammelt hatten, war stundenlang in | |
| Schleife gelaufen, während Lale von Tisch zu Tisch eilend Sekt und Bier | |
| einschenkte. Schließlich war sogar noch der Komponist von gegenüber mit | |
| seinem Gefolge eingefallen. Die feierten ihrerseits überschwänglich | |
| irgendeine Premiere, und als sie um Mitternacht von Sprottenpeters | |
| Geburtstag erfuhren, gab es kein Halten mehr. Wodka und Russenfolklore. Im | |
| Suff sind alle gleich. | |
| Als Letzter war Django mit einem Blumenstrauß aufgetaucht. „Hildchen, der | |
| ist für dich!“ Und sie hatte sich erweichen lassen: „Wat soll’s. Wenn de | |
| friedlich bist, kannste heute bleiben.“ Nun saßen er und Lale knutschend am | |
| Tresen. „Kiek ’se dir an, die Kinder ...“ | |
| Fehlte eigentlich noch Fritze. Doch der besuchte gerade seinen Vater im | |
| Vogtland. | |
| „In Klingenthal is Saisoneröffnung.“ | |
| „Wat für’ne Saison denn?“ | |
| „Na, Skispringen!“ | |
| „Aha. Skispringen also.“ | |
| Er hatte sie so merkwürdig angesehen. Ob Fritze etwas ahnte? | |
| Der Amselmann beendete sein spätes Konzert mit einem Triller in D-Dur. Die | |
| Kaufhallentür öffnete sich. Hustend knipste eine blonde Verkäuferin die | |
| Diskobeleuchtung an, die installiert worden war, um den Kunden das Gefühl | |
| von Lebensfreude und Aktivität zu vermitteln. Nun waberten die Lichter in | |
| Rot, Gelb, Grün und Blau über die Gesichter der Angestellten, an Wänden und | |
| Decke entlang, durch die Schaufenster hinaus aufs neue Pflaster. | |
| Müde und zerknautscht fanden sich auch die ersten Bauarbeiter im | |
| Sanierungsgebiet ein. Einige von ihnen hatten bereits weite Wege hinter | |
| sich, waren in der Dunkelheit durch brandenburgische Wälder gerauscht, wo | |
| sie stets auf der Hut sein mussten vor Wildschweinen oder Rehwild, das | |
| unvermittelt auf die Straße trat, stehen blieb und in die Scheinwerfer | |
| starrte. Manchmal erzählten sie sich davon. Meist ließen sie es bleiben. | |
| Seit Wochenbeginn trieb die Arbeiter ihre Sorge um einen Kollegen um. Die | |
| marode Zwischendecke war ihm sprichwörtlich auf den Kopf gefallen. Beide | |
| Beine gebrochen. Ein Wunder, dass er noch lebte. | |
| Als die ersten Anwohner aus ihren Häusern traten, räumten die Männer | |
| murrend das Trottoir. Vielleicht waren es die Gerüche, die den schicken | |
| Bürouniformen der vorbeieilenden Geschäftsleute entströmten. Sie schlugen | |
| den Bauarbeitern auf die Mägen. Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. | |
| „Das hatte noch gefehlt!“ | |
| Anne war stinksauer auf ihre Nachbarin. Sie hasste es ohnehin, das Geschäft | |
| öffnen zu müssen, wenn nebenan im blaulichtnoch immer gefeiert wurde. Der | |
| ganze Morgen war ein Albtraum gewesen. Erst hatten sich die Jungs um das | |
| letzte Klopapier gekloppt, bis sie heulten. Dann saßen die Nasen beleidigt | |
| im Auto, verschwanden grußlos auf den Schulhof, und sie durfte im | |
| Schritttempo durch die Stadt stauen. Und zu guter Letzt war ihr vor der | |
| Ladentür auch noch dieser Heiner-Müller-Typ in die Arme getorkelt: „Ein | |
| Fluch!“ | |
| Anne knallte energisch die Tische vor die Schaufenster ihres Bioladens. Als | |
| sie schwer beladen mit einem Stapel Stühle durch die Tür trat, stand schon | |
| die erste Kundin da und lächelte: „Guten Morgen, einen Chai Latte bitte. | |
| Mit extra viel Milch.“ | |
| Die letzten Gäste hatten überall nach ihm gesucht. In jeder Klokabine, im | |
| Keller und am Boden: „Er is einfach nich mehr da!“ | |
| Sprottenpeter hatte sogar seinen Tabak liegen lassen. | |
| „Und die Zappa-Scheibe!“ | |
| „Die könn wa doch noch ma hörn!“ | |
| „Quatsch. Komm jetze.“ | |
| Lale zog Django ans Tageslicht. Er widerstrebte erst, gab dann aber nach | |
| und folgte ihr über die Straße, ins letzte unsanierte Haus. Hildegard | |
| schloss rasch die Tür zu und löschte das Licht. Puh. Auch an Anne hatte sie | |
| sich damit vorbeimogeln können. Ob die ebenfalls diesen Brief von der | |
| Hausverwaltung bekommen hatte? Hildegard wurde augenblicklich so müde, dass | |
| sie sich an Peters Stelle auf die alte Couch legte, die Decke über den Kopf | |
| zog und einschlief. | |
| Wie paralysiert lag Bienchen auf dem Rücken und verdrehte die Augen. Oma | |
| Heinrich kraulte der alten Pudelfreundin die Hinterläufe. Das war ihr | |
| Morgenritual. Dann schob Charlotte vorsichtig den Ohrensessel so nah wie | |
| möglich ans Fenster zur Straße heran. Sie ließ sich, das Bienchen im Arm, | |
| in die Polster fallen und blickte gespannt zum blaulichthinunter, wo eben | |
| erst die letzten Gäste davonwankten. Die Besitzerin des Bioladens war auch | |
| schon aufgetaucht. Der Stein, den Charlotte Heinrich ins Rollen gebracht | |
| hatte, ließ sich nicht mehr stoppen. Sie wusste das und fühlte sich | |
| lebendig. | |
| 3 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Manja Präkels | |
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