# taz.de -- Navigation mit offenen Karten | |
> Erinnerung Berliner Orte mit kolonialem Bezug sind im kollektiven | |
> Gedächtnis kaum verankert. Studierende haben darum einen Onlinestadtplan | |
> entwickelt | |
Bild: Königin Sophie Charlotte am Charlottenburger Tor – ihr Mann, Friedrich… | |
von Marco Wedig | |
Wo finde ich den nächsten Falafel-Imbiss? Fragen wie diese lassen sich | |
heute in Sekundenschnelle via Smartphone und Google Maps beantworten. Klar, | |
im Alltag ist das praktisch. Aber wäre es nicht gut, die Technik auch für | |
sinnvollere Zwecke zu nutzen? Beispielsweise, um verschwundene Orte im | |
Stadtbild offenzulegen? Studierende des Master-Studiengangs Historische | |
Urbanistik an der Technischen Universität haben das getan: Im Rahmen eines | |
Projektseminars kartierten sie koloniale Orte bzw. Orte mit kolonialen | |
Kontinuitäten in Berlin. Das Ergebnis steht jetzt im Netz. | |
## „Koloniale Amnesie“ | |
Im deutschen Alltagsdenken ist Kolonialismus gar nicht vorgesehen. In der | |
Schule wird das Thema, wenn überhaupt, in wenigen Stunden abgefrühstückt. | |
Dr. Noa Ha, die das Projekt wissenschaftlich betreut hat, bringt diesen | |
Umstand bei der Präsentation am Sonntag in zwei Wörtern auf den Punkt: | |
„koloniale Amnesie“. Der wollten die Studierenden etwas entgegensetzen. | |
Dazu bedienen sie sich ausgerechnet eines „kolonialen Instruments“, wie Dr. | |
Ha schreibt – einer Karte. Doch die sei eben auch Mittel zum Zweck, und der | |
sei heute, so Niklas Wysk, „Spuren des Kolonialismus sichtbar zu machen“. | |
Dazu kooperierte der Kurs mit der Initiative Schwarze Menschen in | |
Deutschland, Berlin Postkolonial e. V. und dem Forschungsprojekt | |
„erinnerungsorte“. | |
56 Orte wurden auf der Onlinekarte markiert und Kategorien zugeordnet: | |
Versklavung, Wissensproduktion, Politik und Krieg, Populärkultur, | |
Wirtschaft und Handel, Religion sowie Gedenken. Zu jedem farblich | |
markierten Standort wird ein kurzer Infotext mitgeliefert. | |
Das Spektrum reicht von Schlüters Reiterstandbild des Kurfürsten Friedrich | |
Wilhelm, der die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie beaufsichtigte, vor | |
dem Schloss Charlottenburg über das Naturkundemuseum, dessen Saurierknochen | |
in Deutsch-Ostafrika ausgegraben wurden, bis hin zur Mohrenstraße, für | |
deren Umbenennung Initiativen bis heute kämpfen. Auch ein Ort, der sich | |
momentan noch in der Entstehungsphase befindet, wurde bereits kartiert: das | |
Humboldt-Forum. Dort werde „ein eurozentrischer Blick reproduziert anstatt | |
eines gewünschten weltoffenen Blicks“, heißt es im dazugehörigen Kurztext. | |
Leider sind die Texte nicht mit Quellenangaben untermauert. Zudem wird eine | |
einseitige Sicht auf das Themenfeld präsentiert: Die Studierenden schreiben | |
lediglich eine Tätergeschichte, Orte des Widerstands finden auf der Karte | |
keinen Platz. Diese Leerstelle ist wohl auch dem zeitlichen Rahmen eines | |
Seminars geschuldet. | |
Insgesamt ist das Ergebnis von „Berlin als postkoloniale Stadt kartieren“ | |
eine Leistung, die zu Diskussionen anregen dürfte. Das wünscht sich | |
zumindest Christian Kopp von Berlin Postkolonial e. V. Er hofft, dass die | |
Karte Anregungen zu einem kolonialen Erinnerungskonzept für die Stadt geben | |
könne. Bei der Präsentation stieß sie jedenfalls auf viel Interesse. | |
Aufgrund der großen Nachfrage wurde die Veranstaltung vom | |
August-Bebel-Institut in die Baptistenkirche Wedding verlegt. | |
http://arcg.is/1Na3zZH | |
1 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Marco Wedig | |
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