Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- "Wer ist krank, wer ist gesund?"
> SCHIZOPHRENIE Alex Giegold und ihr Fotoprojekt „in your mind“ beim
> Klangfestival „Echos + Netze“ im Kunstquartier Bethanien
Interview Hilke Rusch
Das queere Klangfestival „Echos + Netze“ möchte im Kunstquartier Bethanien
Widerständiges hörbar machen. Die Künstlerin Alex Giegold verwischt im
Projekt „in your mind“ die Grenzen zwischen Menschen mit und ohne
psychiatrischer Diagnose.
taz: Alex Giegold, „Echos + Netze“ versteht sich als queeres Hörfest, Sie
sind dort mit einer Klanginstallation vertreten, die sich mit Wahnsinn
beschäftigt. Was hat das mit Queerness zu tun?
Alex Giegold: Einerseits habe ich für meine Arbeit Frauen* [siehe Anmerkung
unten] porträtiert, von denen sich einige – ebenso wie ich auch – als queer
verstehen. Aber dann geht es mir in der Arbeit auch darum, Wahnsinn als
etwas zeigen, das sozial konstruiert ist, ebenso wie Geschlecht.
Inwiefern?
Was heute als krank gilt, wurde früher als eigenartig wahrgenommen,
vielleicht auch als übernatürlich. Und anders herum: Homosexualität wurde
erst 1992 aus dem Krankheitskatalog der Weltgesundheitsorganisation
genommen. Transsexualität gilt immer noch als krank. So werden Menschen
psychiatrisiert, die nach ihren eigenen Wünschen leben möchten.
Psychiatrisierung hat etwas mit Macht zu tun. Und Frauen sind meines
Erachtens davon mehr betroffen.
Wie greifen Sie dies mit Ihrem Projekt „in your mind“ auf?
Ausgangspunkt sind medizinische Fotografien, die zu Beginn des 20.
Jahrhunderts aufgenommen wurden. Alle Bilder sind offensichtlich unter
gewaltsamen Umständen entstanden: Darauf sind Menschen zu sehen, viele
Frauen, die völlig außer sich sind, während sie für das Bild in Position
gehalten werden.
Ging es bei den Fotografien darum, Krankheiten zu klassifizieren?
Es ging darum, Wahnsinn darzustellen und zu dokumentieren, wie eine
Schizophrenie, wie eine Depression aussieht. Fotografie galt damals im
Gegensatz zur Zeichnung als objektives Medium.
Mit Ihrem Projekt möchten Sie also intervenieren, eine Gegenerzählung
etablieren?
Es geht mir darum, die Konstruktion von „krank“ und „gesund“ zu
verdeutlichen. Zunächst hatte ich die Idee, ausschließlich Frauen mit
psychiatrischen Diagnosen zu porträtieren, aber dann wurde mir klar, dass
ich damit in dieselbe Falle tappen würde. Also habe ich die Gruppe der
Porträtierten um Frauen erweitert, die nicht psychiatrieerfahren sind. Wer
die Bilder betrachtet, ist nicht in der Lage zu erkennen, wer als gesund,
wer als krank gilt.
Wie verlief die Arbeit?
Mir wurde dabei schnell deutlich, dass sich die Lebenserfahrungen gar nicht
sonderlich voneinander unterscheiden. Die Frauen haben Gewalt oder
Diskriminierung erlebt, sie unterscheiden sich bloß darin, wie
gesellschaftskonform sie mit den Erfahrungen umgehen.
Nun ist „Echos + Netze“ ein Hörfest. In welcher Form ist das Medium Audio
Teil Ihrer Arbeit?
Das ursprüngliche Fotoprojekt habe ich für das Festival zu einer
Klanginstallation erweitert, in der die Frauen darüber sprechen, was von
ihnen in der Welt nachhallen soll. Wer da jeweils spricht, lasse ich offen.
Steht man direkt vor den Porträts, werden die Frauen zu einer einzigen
Person, es ergibt sich ein einzelnes Bild, und aus Lautsprechern sind die
Stimmen der Frauen zu hören.
Was erzählen sie uns?
Da geht es viel darum: Habe ich überhaupt ein Recht auf eine Stimme? Darum
war es mir auch wichtig, keine Kopfhörer zu verwenden: Das Publikum soll
sich den Stimmen nicht entziehen können.
„Echos + Netze“ findet im Bethanien statt, einem ehemaligen Krankenhaus.
Ist das als Ausstellungsort geeignet oder doch eher problematisch?
Alle Beiträge setzen sich mit dem Raum als ehemaliger Krankenhauskapelle
auseinander. Ich war mir anfangs unsicher: Kann ich das überhaupt dort
machen und quasi mit den Frauen in so einen Raum gehen? Aber inzwischen bin
ich der Meinung: Gerade deshalb sollten die Stimmen der Frauen dort zu
hören sein.
*Giegold hat dabei auch Frauen porträtiert, die sich selbst nicht nur als
Frauen sehen und auch von ihrer Umwelt zum Teil als Mann, zum Teil als Frau
wahrgenommen werden, und nutzt daher das *-Sternchen, um dies sichtbar zu
machen
Festival „Echos + Netze, Das Trans*tonale Hörfest“, unter anderem mit Alex
Giegold, Wolfgang Müller und Dan Thy Nguyen, 20. bis 22. November 2015
Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, täglich 11 bis 22 Uhr.
www.echosundnetze.de/
20 Nov 2015
## AUTOREN
Hilke Rusch
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.