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# taz.de -- Berliner Szene: Taschentücher für Newsom
> Umwerfend
Im Hof standen so wenig Leute. Also doch. Dafür ist dann selbst Berlin zu
klein, die Konkurrenz an diesem Abend zu stark: Julia Holter im Berghain,
die Sleaford Mods im Astra. Mia im Huxleys, Fish im C-Club, Fil im
Mehringhof. Keine Chance für Joanna Newsom, die kalifornische Göttin des
sirenenhaften Katzengesangs, der ewigen Melodie und des Folk mit Anspruch,
der verschachtelten Songdramaturgie, des Bandwurmtextes und der reinen
Schönheit. Dachte ich. Fürchtete ich.
Aber ich hatte die Rechnung ohne Amerika gemacht: Brooklyn und
Nordkalifornien saßen schon auf ihren Plätzen, duldsam wartend, sich hier
und da zuwinkend, den Admiralspalast bis fast auf den letzten Platz
füllend. Punkt neun kam sie auf die Bühne gehuscht, mit schön gekämmtem
Pferdeschwanz, mädchenhaft wirkend trotz ausladendem, vanillefarben
glänzendem Taft-Rock. Und dann passierte Herrliches. Eine Essenz
musikalischen Know-hows, ein perfekter Rundlauf durch ihre letzten drei
großen Alben. Sie an Harfe und Klavier, ihre drei Mitmusiker an Banjo,
Gitarre, Geige, Keyboard, Blockflöten und Lamellophon, Bruder Pete in
aufmerksamer Zurückhaltung am Schlagzeug. Es war umwerfend gut, ich
brauchte Taschentücher.
Zwei Reihen weiter vorne klopfte sich ein Typ mit dem Finger den Takt ins
Haupthaar. Ohne ihn hätte ich mich einfach aufgelöst. Hinterher standen die
Leute auf, so lange, bis sie eine zweite Zugabe spielte. Und sich
verspielte. Wenn die Perfektion Brüche bekommt, wird ja immer alles noch
besser.
Am Merchandising-Stand trubelten die Berückten, ein zweiter Verkäufer wurde
eilig rekrutiert, das neue Album war zuerst als Musikkassette ausverkauft,
danach kauften alle Vinyl, die CDs blieben liegen.
Kirsten Riesselmann
7 Nov 2015
## AUTOREN
Kirsten Riesselmann
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