| # taz.de -- Störungen melden | |
| > Engagement Der Verein Gesicht Zeigen! setzt sich seit 15 Jahren gegen | |
| > Rassismus und rechte Gewalt ein. Ein Gespräch über Zivilcourage mit den | |
| > Geschäftsführerinnen Sophia Oppermann und Rebecca Weis | |
| Bild: Jugendliche Menschen denken noch nicht so sehr in Erwachsenenschubladen. … | |
| von Anne-Sophie Balzer | |
| taz: Frau Oppermann, Frau Weis, Sie haben die Initiative Gesicht Zeigen! im | |
| Jahr 2000 gegründet. Was war der Anlass? | |
| Sophia Oppermann: Damals gab es einen Höhepunkt rassistischer Übergriffe. | |
| Nicht so groß und kulminiert wie in Rostock-Lichtenhagen oder Mölln, aber | |
| das Thema war dennoch täglich in den Nachrichten präsent. Es gab den | |
| Anschlag auf die Synagoge in Düsseldorf und ständig wurden dunkelhäutige | |
| Menschen auf offener Straße angegriffen. Uwe-Karsten Heye, der damals noch | |
| Regierungssprecher war, hat damals gesagt: „Es reicht, dieses rassistische | |
| und feindliche Klima können wir nicht unkommentiert hinnehmen. Wir gründen | |
| einen Verein, der zu solchen Angriffen und Geschehnissen Stellung bezieht.“ | |
| Das wiederholt sich gerade. | |
| Sophia Oppermann: Ja, wir haben einen immensen Anstieg an rechtsextremen | |
| Übergriffen und Anschlägen. Aber ich höre keine kollektive Empörung. Es | |
| gibt keine klare Haltung zur Menschlichkeit quer durch alle Parteien. Und | |
| auch keine erkennbare Linie. Mal suchen Politiker das Gespräch mit Pegida | |
| und dann ist wieder vom „Pack“ die Rede und es heißt: „Oh, jetzt haben d… | |
| einen Galgen für uns aufgestellt, also das geht ja gar nicht!“ Im Jahr 2000 | |
| gab es einen kollektiven Aufschrei, sowohl politisch als auch medial. Alle | |
| sagten: So nicht. | |
| Aber es gibt doch von Seiten der Bevölkerung eine große Anstrengung! Viele | |
| engagieren sich, helfen vor dem Lageso, spenden, laden Autos voll mit | |
| Lebensmitteln und fahren nach Slowenien oder Kroatien. Aus eigener | |
| Initiative. | |
| Sophia Oppermann: Ich meine auch nicht die Zivilbevölkerung, sondern die | |
| Politik und einige Medien. Wenn Sie bundesweit alle Helfer_innen | |
| zusammenzählen, die da einspringen, wo die Politik es nicht gebacken | |
| bekommt, diese sogenannte Flüchtlingskrise zu meistern, sind das mit | |
| Sicherheit mehr, als die paar Tausend, die sich „besorge Bürger“ nennen und | |
| jeden Montag ihre rassistischen Parolen brüllen. | |
| Rebecca Weis: Man überlässt die Probleme seit Jahren der Zivilbevölkerung. | |
| Nach dem der NSU aufgeflogen ist, ist meiner Meinung nach nichts | |
| Nennenswertes passiert. Gerade gab es ein rechtsextremistisches Attentat | |
| auf die Bürgermeisterin in Köln und alle sind vollkommen überrascht, dass | |
| so etwas passiert. Dabei gibt es seit Jahren Übergriffe, und nicht nur an | |
| den Hotspots im Osten Deutschlands. Deutschland wird massiv gefordert sein, | |
| in den nächsten Jahren die vielen Menschen zu integrieren, die jetzt | |
| ankommen, und ich sehe überhaupt kein Konzept. | |
| Angela Merkel sagte doch „Wir schaffen das“. | |
| Sophia Oppermann: Das war auch sehr gut! Aber wie wir es dann schaffen, das | |
| überlässt Merkel anderen. Unsere Regierung setzt gerade eine massive | |
| Asylverschärfung durch und Merkel schafft es trotzdem noch, als | |
| asylfreundliche Kanzlerin dazustehen. Es ist genau die gleiche Politik wie | |
| nach Rostock-Lichtenhagen. Der Straße und den fremdenfeindlichen Impulsen | |
| wird nachgegeben. Was hier vor dem Lageso passiert, ist unerträglich. Die | |
| Hauptstadt eines der reichsten Länder der Welt kriegt es nicht hin, den | |
| Menschen ein schnelles und geregeltes Verfahren zu organisieren. Die Bilder | |
| unterscheiden sich nicht von denen in Slowenien und Kroatien. Da warten | |
| kleine Kinder im strömenden Regen 15 Stunden lang in der Schlange. | |
| Wie greift Ihr Verein diese aktuelle Ausnahmesituation auf? | |
| Sophia Oppermann: Wir waren eine Woche nach den dortigen Ausschreitungen in | |
| Heidenau und haben dort an der Schule mit der ZDF-Moderatorin Dunja Hayali | |
| und Justizminister Heiko Maas einen Störungsmelder organisiert. Wir hatten | |
| ein mulmiges Gefühl und waren auf das Schlimmste gefasst, was die | |
| Einstellungen und Reaktionen der Schüler_innen anging. Und dann passierte | |
| genau das Gegenteil. Die Jugendlichen erzählten uns nicht: „Wir haben Angst | |
| vor den Flüchtlingen“, sondern: „Wir haben Angst vor den Nazis.“ Sie | |
| erzählten, dass ihre Eltern sie nachts nicht mehr auf die Straße ließen, | |
| weil in der Stadt Nazis herumliefen, und nicht, weil dunkelhäutige Männer | |
| unterwegs seien. | |
| Rebecca Weis: Ich habe in dieser Woche wirklich angefangen, an unserer | |
| Medienlandschaft zu zweifeln. Vor der Schule lauerten 17 Kamerateams, die | |
| Schüler trauten sich nicht aus dem Gebäude heraus. Man hatte den Eindruck, | |
| dass der ganze Ort fremdgesteuert war. Aber die Schüler_innen fragten uns: | |
| wie können wir uns engagieren? Sie haben sich dann ganz spontan | |
| entschieden, eine AG zu gründen, in der sie den Flüchtlingen | |
| Deutschunterricht geben. | |
| Sophia Oppermann: Deshalb liebe ich meine Arbeit immer noch. Die | |
| Jugendlichen denken noch nicht so sehr in Erwachsenenschubladen und dadurch | |
| lassen sich Vorurteile schneller abbauen. | |
| Was wünschen sie sich für die Zukunft? Sie haben ja Geburtstag! | |
| Rebecca Weis: Ich wünsche mir, dass gesellschaftliche Problemlagen wie die | |
| jetzige differenzierter verhandelt werden. Es gibt zu viel | |
| Schwarzweißdenken. Und ich wünsche mir, dass die vielen engagierten | |
| Menschen nicht aufgeben. | |
| Sophia Oppermann: | |
| Ich habe das Gefühl, dass der Hass überhandnimmt, egal ob im Internet oder | |
| bei Pegida. Alles ist so enthemmt und entgrenzt. Als ich die Bilder von den | |
| Grenzen in Slowenien und Kroatien sah, dachte ich: Da geht Europa gerade | |
| unter und wir schauen wieder alle zu. Mein Wunsch klingt kitschig, aber es | |
| ist mir ernst damit: Ich wünsche mir mehr Liebe zwischen den Menschen. | |
| 5 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Anne-Sophie Balzer | |
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