# taz.de -- Sie haben die Wahl: Betrug oder Protest | |
> Sansibars Opposition kritisiert massive Manipulation bei den von Gewalt | |
> begleiteten Wahlen vom Sonntag. Auf dem Insel-Teilstaat von Tansania | |
> sorgt die alte Rivalität zwischen Arabern und Afrikanern erneut für | |
> massive politische Spannungen | |
AUS SANSIBAR ILONA EVELEENS | |
In den engen Gassen der Altstadt hängt der Dunst von Tränengas. Wo es sonst | |
von Touristen wimmelt, patrouillieren Polizisten und Militär. Die Wahlen am | |
Sonntag auf der Inselgruppe Sansibar haben aus der romantischen Ferieninsel | |
einen Ort voller Spannung gemacht. | |
Schwindel und Gewalt prägten den Wahltag und den gestrigen Tag danach. | |
Schon am frühen Sonntagmorgen bemerkten Wähler vor dem Wahllokal Forodhani | |
unbekannte Menschen. Sie wurden als mutmaßliche Wahlbetrüger von der | |
wütenden Menge vertrieben. „Diese Leute kommen aus dem Süden der Insel“, | |
schimpfte Hassan Moh’d, ein Anhänger der auf Sansibar starken | |
Oppositionspartei CUF (Vereinigte Bürgerfront). „Wir kennen hier jeden. Sie | |
sind Anhänger der Regierungspartei und konnten sich an verschiedenen | |
Stellen registrieren lassen.“ | |
Wenig später wurden ein paar dieser vertriebenen Wähler von einem anderen | |
Wahllokal verjagt – neben dem Präsidentenpalast. Immer wieder lieferten | |
Busse, gesteuert von Polizisten oder Soldaten, bei den Wahllokalen neue | |
mutmaßliche Mehrfachwähler ab. Einmal schoss die Polizei in die Luft und | |
setzte gegen wütende Oppositionelle Tränengas ein. In einer Gruppe solcher | |
gekarrten Wähler trugen die Männer alle identische Hosen, bei denen die von | |
der Verpackung verursachten Falten noch deutlich sichtbar waren. „Kito | |
Kidogo“, sagte ein CUF-Anhänger und meinte, dass die Hosen ein „kleines | |
Geschenk“ der Regierungspartei waren. | |
Schon Wochen vor den Wahlen hatte Tansanias Regierung zahlreiche Soldaten | |
und Polizisten vom Festland auf die Insel gebracht. Sansibar gehörte vor | |
der Kolonialzeit zum Sultanat Oman und war ein reiches Handelszentrum. Ein | |
großer Teil seiner eine Million Einwohner, vor allem auf der Insel Pemba, | |
ist arabischer Herkunft und behandelte früher die Afrikaner als Sklaven. | |
1964 wurde das alte arabische Regime gestürzt, und aus Sansibar und dem | |
benachbarten Festlandstaat Tanganjika entstand die Union Tansania, regiert | |
von der CCM (Revolutionspartei) des sozialistischen Unabhängigkeitsführers | |
Julius Nyerere. Die Araber von Sansibar fühlten sich darin nicht vertreten, | |
und nach dem Ende des Einparteiensystems Anfang der 90er-Jahre gingen sie | |
in die Opposition. | |
„Die Menschen arabischer Herkunft gehören heute zur CUF und sind meistens | |
ärmer als die Afrikaner“, erklärt Politologe Rweka Mukandala. „Die | |
afrikanische Bevölkerung sieht aber den arabischen Teil noch immer als die | |
ehemaligen Sklavenhändler und fürchtet, dass die Afrikaner wieder Sklaven | |
werden, sollte die CUF an der Macht kommen.“ Eigentlich hätten am Sonntag | |
in ganz Tansania Wahlen stattfinden sollen. Doch weil ein Kandidat für die | |
Vizepräsidentschaft kurz vor dem Wahltag starb, wurden sie auf Dezember | |
verschoben – außer auf Sansibar. | |
Der Schwindel bei diesen Wahlen hängt damit zusammen, wie die | |
internationale Gemeinschaft vor fünf Jahren auf die letzten Wahlen | |
reagierte. Selbst CCM-Anhänger geben zu, dass die Regierungspartei der | |
CUF-Opposition damals den rechtmäßigen Wahlsieg stahl. Wahlbeobachter | |
forderten eine Wahlannullierung, aber es blieb bei Worten. Als die | |
Opposition dann demonstrierte, kamen über 20 Menschen ums Leben, die | |
meisten durch Polizeikugeln. | |
Dieses Jahr schworen sich CUF-Anhänger, sich den Sieg nicht noch einmal | |
nehmen zu lassen. „Wenn wir nicht gewinnen und wenn das Wahlergebnis nicht | |
ganz schnell bekannt ist, wissen wir, dass geschwindelt wird, und dann | |
müssen wir auf die Straße gehen und uns den Sieg holen“, meint Mohammed | |
Abubaker, der in einem Touristenhotel arbeitet. Er weiß, dass keine | |
Touristen mehr kommen und er seinen Job verlieren wird. Aber: „Ich kann | |
nicht anders. Vierzig Jahre CCM haben der Bevölkerung nichts gebracht. Die | |
CCM-Leute haben nur ihre Taschen gefüllt.“ Als beste Lösung wird eine | |
Koalitionsregierung von CCM und CUF gehandelt. | |
1 Nov 2005 | |
## AUTOREN | |
ILONA EVELEENS | |
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