# taz.de -- Die Popkultur der Wüste | |
> MUSIK Am Sonntag spielt die „Queen of Desert Blues“ Khaira Arbyi im Lido. | |
> Wie viele andere Künstler_innen Westafrikas floh sie vor einem | |
> zerstörerischen Dschihad. Ein Film erzählt vom musikalischen Widerstand | |
> Malis | |
Bild: Khaira Arby im FIlm „They Will Have to Kill Us First“ (2015) von Joha… | |
von Janto Rößner | |
Am 22. August 2012 hörte man von den Rundfunkstationen Nordmalis folgendes | |
Statement: „Wir, die Mudschaheddin von Gao, Timbuktu und Kidal, verbieten | |
ab dem heutigen Tag die Ausstrahlung westlicher Musik auf allen | |
Radiostationen des islamischen Gebiets. Wir wollen Satans Musik nicht.“ | |
Diese Worte stammen von Ould Abdel Kader, einem Sprecher der | |
Mujao-Organisation, einer der drei im Norden Malis operierenden | |
islamistischen Gruppen, die den Dschihad predigten und die Scharia von der | |
malischen Stadt Gao im Norden des Landes aus zeitweise etablieren konnte. | |
Gao wurde zuletzt 2012 von islamistischen Gruppen eingenommen. Sie hatten | |
den seit 1963 immer wieder aufflammenden Unabhängigkeitskampf der Tuareg | |
für ihre eigenen Interessen genutzt. Die MNLA (Nationale Bewegung für die | |
Befreiung des Azawad), eine von Tuareg geführte paramilitärische | |
Vereinigung, hatte sich wiederum zum eigenen Nutzen kurzzeitig mit den | |
Islamisten zusammengetan. Während allerdings die Tuareg im Frühjahr 2012 | |
einen Staat „im Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen“ | |
ausriefen, stellten sich die radikalen Kräfte gegen eine Revolution, „die | |
nicht im Namen des Islam geschieht“. Die aus undurchsichtigen Quellen | |
massiv subventionierten Dschihadisten vertrieben die ehemaligen Verbündeten | |
aus den gemeinsam eroberten Schaltzentren Gao, Kidal und Timbuktu. Erst | |
Anfang 2013 konnte die malische Armee die Gotteskrieger mit Hilfe einer | |
militärischen Intervention der Franzosen zurückdrängen. | |
Schon in den 1990er Jahren waren pakistanische Salafisten nach Bamako | |
gekommen. „Die Leute sahen sie mit ihren Bärten und weißen Gewändern“, | |
erinnert sich Manny Ansar, Gründer des weltberühmten Festival au Désert, | |
„sie waren nett.“ Zu dieser Zeit bestimmte der nationalistische | |
Unabhängigkeitskampf der Tuareg im Norden Malis die öffentliche | |
Aufmerksamkeit. Damals managte Ansar die mit einem Grammy ausgezeichnete | |
Tuareg-Band Tinariwen, welche aktiv an Revolten teilgenommen hatte und die | |
langsame Radikalisierung in ihrem Umfeld miterlebte. „Es gab eine Art | |
psychologischer Vorbereitung,“ sagt Ansar, „dann begannen sich bestimmte | |
Freunde Stück für Stück aus unserem Kreis zu lösen. Ihnen gefiel mein | |
Lifestyle nicht mehr, das Reisen, meine Freundschaft zu Europäern und | |
Amerikanern, die Festivals, Musiker, Alkohol, das schöne Leben.“ Mit der | |
uneingeschränkten Machtübernahme der Dschihadisten 2012, wurden ein solches | |
Leben tabuisiert. | |
Für die Musiker im Norden Malis, gleich ob Songhai, Bambara, Berber oder | |
Tuareg, kam dies einem Verbot zu atmen gleich. Generationenübergreifend, | |
unabhängig von Volkszugehörigkeit und abseits der Traditionalität | |
transportiert die Musik in diesem Vielvölkerstaat universale Werte und | |
Geschichte. Auch in der Popkultur. Traditionell hat die mündliche | |
Überlieferung im Vergleich zur europäischen Kultur einen sehr viel höheren | |
Stellenwert als die schriftliche. Der kanadische Geisteswissenschaftler | |
Marshall McLuhan sieht in der typografischen Kultur des Westens den Grund | |
für die „Reduktion unserer gesamten Sinneserfahrung auf den Bereich eines | |
einzigen Sinnes“. Ein Buch liest man allein. Die mündliche Überlieferung | |
verlangt nach Präsenz, Geselligkeit, sozialen Fähigkeiten, Beobachtungsgabe | |
und Erinnerungsvermögen. Die Aufnahme von Wissen findet durch eine | |
ganzheitliche Sinneserfahrung statt und die Musik ist Kommunikationsmittel | |
und Medium für die Vermittlung von Wissen. | |
Bevor die Extremisten schließlich aus den Städten zurückgedrängt wurden, | |
nahmen sie ortsansässigen Musikern ihre Instrumente ab und verbrannten sie. | |
Sie sammelten säckeweise Kassetten ein, plünderten einzigartige Archive mit | |
einmaligen Aufnahmen und verbrannten auch diese. Sie zerstörten | |
Radiostationen und Studios, und nicht zuletzt drohten sie den Künstlern mit | |
Verfolgung und Tod. | |
Dies alles zwang viele Musiker zur Flucht aus ihren Heimatstädten. So auch | |
Khaira Arby, international bekannte Sängerin aus Timbuktu, auch „Queen of | |
Desert Blues“ genannt. Auch die mittlerweile bei Atlantic Records | |
verpflichtete Band Songhoy Blues, deren Mitglieder zu drei Vierteln aus | |
Timbuktu und Gao geflohen waren, kämpft mit musikalischen Mitteln um die | |
Sichtbarmachung der Probleme, nicht nur Malis. | |
„Diese Probleme sind nicht hausgemacht“, so ihr Manager Marc-Antoine | |
Moreau. „Es gibt sie erst seit den willkürlichen Grenzziehungen der | |
ehemaligen Kolonialmächte und aufgrund der anhaltenden Ausbeutung | |
natürlicher Ressourcen.“ Der französische Atomriese Areva baut einen | |
Großteil des malischen Urans ab, internationale Konzerne mit Namen wie | |
Anglo American schürfen nach Gold, Monsanto verkauft den Bauern einmalig | |
nutzbares Saatgut inklusive Pestiziden, Amerika subventioniert | |
ausschließlich den Export von Baumwolle. Billige Schürfrechte werden von | |
korrupten Politikern verhökert, während die westliche Entwicklungshilfe das | |
Land in künstlicher Abhängigkeit halte. „Leider besteht diese Abhängigkeit | |
auch in der Popkultur Malis beziehungsweise Westafrikas. Viele Musiker sind | |
immer noch auf künstlerische Kooperationen mit westlichen Kulturschaffenden | |
angewiesen,“ Der als Scout für das britische Projekt Africa Express | |
malische Musiker rekrutiert, „aber das ändert sich, denn die popkulturellen | |
Märkte wachsen rasant“. | |
Ihre Worte und ihre Musik haben sich die Malier nicht wegnehmen lassen. Sie | |
kommen von ihnen, sie erzählen von ihnen, und sie bilden nach wie vor den | |
Grundpfeiler einer vielschichtigen Kultur. | |
29 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Janto Rößner | |
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