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# taz.de -- Beim Kaffeebauern kommt am wenigstens an
> Konsumkritik StudentInnen führen Jugendliche auf einer konsumkritischen
> Tour durch die Stadt und weisen auf Missstände in der Welt hin – am
> Beispiel von Kaffeeplantagen. Was Berliner Geschäfte damit zu tun haben,
> wird ausgespart. Das soll sich aber ändern
Bild: „Marketing-Memory“: Fotos zeigen Werbeplakate einschlägig bekannter …
von Julian Rodemann
Plastikflaschen. Überall Plastikflaschen. Der ganze Strand ist voll davon,
angespült von den Wellen des Meeres – das Bild wirkt surreal wie eine
Montage aus irgendeiner Internet-Plattform. Lisbeth Schröder hält das Foto
in der Hand. Sie zeigt es in die Runde aus 15 jungen Menschen am Hackeschen
Markt. Stille.
Die Jugendlichen sind mitten in einer Stadtführung. „Aber keiner
gewöhnlichen“, sagt Lisbeth Schröder. Die 23-Jährige leitet die Führung
zusammen mit ihrer Studienfreundin Hanna-Lynn Pachali. Es geht nicht um
touristische Sehenswürdigkeiten, sondern um Konsumkritik. Schröder möchte
zeigen, wie unser Kaufverhalten globale Probleme beeinflusst – etwa die
Verschmutzung der Meere.
Deshalb das Bild mit den Plastikflaschen. Es ist Teil eines Spiels, das
Schröder mit den Jugendlichen spielt. Sie nennt es „Marketing-Memory“. Auf
den Steinplatten am Hackeschen Markt hat sie acht Fotos verdeckt
ausgebreitet. Vier davon zeigen Werbeplakate einschlägig bekannter
Konzerne, die vier anderen Bilder soziale und ökologische Missstände. Jedes
Werbebild gehört zu einem Schreckensbild. Schröders Botschaft: „Werbung hat
mit der Realität nichts zu tun.“
## Die Missstände der Welt
Die Zuhörer nicken. Für sie nichts Neues. Sie kennen die Missstände der
Welt – zehn von ihnen kommen gerade aus sozialen Projekten in
Entwicklungsländern, haben dort ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ)
gemacht. Sie gehören zu IN VIA, dem katholischen Verband für Mädchen- und
Frauenarbeit.
Auf Schröders Stadtführung sind sie im Internet gestoßen. Schröder und
Pachali gehören zu „Weltbewusst“ – einer Gruppe aus fünf Berliner
StudentInnen, die konsumkritische Stadtführungen anbietet; vor allem für
Jugendliche. Im Jahr kommen sie im Schnitt auf circa 50 Führungen. Sie sind
kostenlos, die StudentInnen arbeiten ehrenamtlich. Schröder und Pachali
bitten jedoch um eine Spende für das Material.
Dazu gehört etwa ein weißer Schutzanzug. Den kramt Pachali beim nächsten
Halt hervor: Vor dem „Pure Origins“-Café an der Spandauer Straße berichtet
sie von den Arbeitsbedingungen auf südamerikanischen Kaffeeplantagen. Lisa
Petersen, eine der 15 TeilnehmerInnen, streift sich den Schutzanzug über.
Er soll vor Pestiziden schützen, die beim Kaffeeanbau zum Einsatz kommen.
Hanna-Lynn Pachali hat den Beipackzettel des Anzugs mitgebracht, reicht ihn
in die Runde. „Zu klein geschrieben“, ruft jemand. „Kann man nicht lesen.…
Pachali schaut auf. „Da geht es euch wie den Kaffeebauern“, sagt sie. Der
kaum lesbare Beipackzettel sei nur ein Beispiel für mangelnde
Sicherheitsvorkehrungen auf den Plantagen. „Das ist auf Teeplantagen nicht
anders“, sagt Lisa Petersen. Sie war für ein soziales Jahr in Indien, hat
dort mehrere Teeplantagen besucht. „Manche Arbeiter tragen gar keine
Schutzkleidung, sodass Insektengift direkt auf ihre Haut gelangt.“
Kaffee sei in Deutschland beliebter als Tee, sagt Pachali. „Sogar beliebter
als Bier – Kaffee ist das Lieblingsgetränk der Deutschen.“ Ein dickes
Geschäft also. Wer verdient daran? Pachali hat eine Tüte mit hundert
Kaffeebohnen mitgebracht. Die Gruppe soll sie auf eingeschweißte Kärtchen
auf dem Boden verteilen. Auf ihnen stehen „Staat“, „Verkäufer“, „Hä…
„Plantagenbesitzer“ und „Kaffeebauer“.
Jede Bohne symbolisiert ein Prozent des Verbraucherpreises, also den
Betrag, den wir im Supermarkt bezahlen. Lisa Petersen schnappt sich die
Bohnen und lässt sie auf die Kärtchen rieseln. Am meisten landet beim
Verkäufer. „Nicht ganz richtig“, korrigiert Pachali. Sie liest vor: „45
Prozent gehen an den Staat, 24 an den Verkäufer und gerade mal 5 Prozent an
den Kaffeebauer.“ Der Rest verliere sich zwischen Plantagenbesitzern und
Händlern. Aber: „Wer zählt denn zu den Verkäufern?“, fragt Lisa Petersen.
Pachali zögert. „Weiß ich auch nicht genau.“ Sie verspricht, noch einmal
nachzuschauen.
Die Zahlen stammen aus der Weltbewusst-Wiki – einer gemeinnützige
Onlineplattform. In Deutschland gibt es über 50 Weltbewusst-Gruppen.
Mitglieder laden auf der Plattform Material und Informationen zu den
Stationen noch. Die enthaltenen Fakten sind mit Quellenverweisen versehen,
lassen sich also überprüfen. Nur: Die Zahlen bleiben meist allgemein. Ein
Berlin-Bezug fehlt. Wieso wählt Schröder ausgerechnet das „Pure
Origins“-Café aus, um über den Kaffeehandel zu sprechen? „Die Orte sind
ziemlich willkürlich gewählt“, gesteht sie. „Wir wollen dem Café vor Ort
gar nicht schaden.“
Aber wieso dann überhaupt eine Stadtführung? Wie ungerecht der Welthandel
ist, lernt heute doch jeder Achtklässler im Erdkunde-Unterricht. „Wir
wollen halt Assoziationen schaffen, damit sich die Leute später beim
Einkaufen daran erinnern können“, sagt Schröder. Das sei „eine
psychologische Sache“. Dazu tragen laut der 23-Jährigen auch Spiele wie das
„Marketing-Memory“ bei. Aber das mit dem fehlenden Berlin-Bezug stimme
schon. „Das bekommen wir oft zu hören.“
Deshalb sei die Gruppe gerade dabei, eine Schnitzeljagd zu entwickeln. „Da
soll es dann um ganz konkrete Probleme in Berlin gehen“, sagt Schröder. Die
Schnitzeljagd könne man sich so vorstellen: Die Gruppe bekommt eine Aufgabe
wie „Finde ein Kaffeehaus, das nur 5 Prozent fair gehandelte Kaffeebohnen
verwendet“. Da sind Ortskenntnis und Recherche gefragt. Rumfragen, googeln
– alles erlaubt. An verlässliche Zahlen der Berliner Unternehmen zu
gelangen sei nicht einfach. Hier können die StudentInnen nicht auf die
Weltbewusst-Wiki im Netz zurückgreifen, sondern müssen selbst
recherchieren.
## Wie fair ist „Fair Trade“?
Sina Sager ist mit der Führung auch ohne Schnitzeljagd zufrieden. Sie war
für ihr FSJ in Uganda und weiß, wie es auf Kaffeeplantagen zugeht.
„Trotzdem ist manches in der Führung für mich neu.“ Zum Beispiel, dass das
Fair-Trade-Siegel „Rainforest Alliance“ von Tchibo einen Anteil fair
gehandelter Kaffeebohnen von lediglich 30 Prozent garantiert. „Das hätte
ich nicht gedacht“, meint Sager.
Trotzdem sei es wichtig, fair gehandelte Waren zu kaufen, sagt die
Stadtführerin Pachali. Der Weltmarktpreis für Kaffee schwankt stark. Wenn
er im Keller ist, können die Bauern nicht von ihrer Arbeit leben. Fair
gehandelter Kaffee hingegen gewährt ihnen feste Abnehmerpreise; unabhängig
von den Turbulenzen am Weltmarkt. Mittlerweile gibt es unzählige
Fair-Trade-Siegel. „Doch nicht alle halten, was sie versprechen“, sagt
Pachali. Das Tchibo-Siegel ist nur ein Beispiel.
## Ins Gedächtnis rufen
Sonst sind die Botschaften der Stadtführung aber nicht neu. Dass etwa
T-Shirts für 5 Euro unter unmenschlichen Bedingungen genäht werden, hat
sich mittlerweile herumgesprochen. „Das weiß man heutzutage“, sagt die
Teilnehmerin Kim-Tina Nava. Trotzdem: „Es schadet nicht, sich das immer
wieder ins Gedächtnis zu rufen.“ Höchstwahrscheinlich komme sie wieder.
„Vielleicht mache ich sogar mal selbst eine Stadtführung.“
22 Oct 2015
## AUTOREN
Julian Rodemann
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