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# taz.de -- Herr H. möchte arbeiten
> Flüchtlinge Die Initiative Arrivo Berlin ermöglicht Flüchtlingen
> Praktika, Jobs und Ausbildungen – und steht damit vor vielen Hürden. Denn
> ohne Arbeitserlaubnis geht gar nichts, auch wenn ein Unternehmen einen
> Flüchtling anstellen will – wie im Falle von Herrn H.
Bild: In den Übungswerkstätten von Arrivo, einer Ausbildungs- und Berufsiniti…
von Hannah Kappenberger
Herr H. kommt aus dem Kosovo. Als Jugendlicher war er schon einmal für
sieben Jahre in Berlin, musste aber wieder zurück in seine Heimat. Dort
gibt es kaum Arbeit und keine Perspektive für seine drei Kinder. Darum
entschloss sich die Familie Ende letzten Jahres erneut zur Flucht: Herr H.
kehrte mit seiner Frau und den Kindern nach Berlin zurück. Arbeit will er
hier finden, so schnell wie möglich: „Ich bin nicht hergekommen, um zu
Hause zu sitzen. Ich will arbeiten, damit ich für meine Kinder sorgen
kann“, erklärt H.
Aber Herr H. darf nicht arbeiten – ihm fehlt die Arbeitserlaubnis.
Gleichzeitig sucht das Berliner Pflegeunternehmen Mevanta händeringend nach
Personal. Die Pflegefirma betreibt zwei mobile Pflegedienste und ein
Pflegeheim.
Als Herr H. – dessen voller Name wegen des laufenden Verfahrens nicht
gedruckt werden soll – über die Berliner Flüchtlingsinitiative Arrivo im
Frühjahr ein Schnupperpraktikum bei Mevanta vermittelt bekam, war
Geschäftsführer Thomas Pump von ihm begeistert. Ein zweites Praktikum wurde
organisiert. Herr H. überwand anfängliche Berührungsängste bei der Pflege
von Frauen, lernte schnell und war zuverlässig. Pump beschloss, ihn
einzustellen.
Das Praktikum ist mittlerweile Monate her. Seit fast einem halben Jahr
bemüht sich das Unternehmen bereits, Herrn H. einzustellen – das Problem
ist die fehlende Arbeitserlaubnis. Der Asylantrag läuft noch – und damit
gilt für Herrn H. die Vorrangprüfung. Das heißt, dass er eine Arbeit erst
dann annehmen kann, wenn die Berliner Agentur für Arbeit für diesen Job
keinen anderen potenziellen Arbeitnehmer aus Deutschland oder der EU finden
kann. Erst wenn ein Asylbewerber 15 Monate in Deutschland ist, entfällt die
Vorrangprüfung.
Pump kann das nicht nachvollziehen. Herr H. habe die besten
Voraussetzungen: er sei motiviert, spreche gutes Deutsch und zudem noch
drei weitere Sprachen, die bei einer multikulturellen Klientel wichtig sind
– „und trotzdem müssen wir uns vor dem Arbeitsamt immer wieder
rechtfertigen, dass wir ihn einstellen wollen“, beklagt Pump. Allein in
Berlin sind laut Industrie- und Handelskammer noch über 4.000
Ausbildungsplätze unbesetzt. Zudem gebe es einen Fachkräfteengpass von bis
zu 27.000 Personen in Berlin – der Bereich der Pflege ist davon besonders
stark betroffen. Deutschland braucht Auszubildende und Fachkräfte, die
Flüchtlinge wollen arbeiten – eigentlich sollte das doch zusammenpassen,
oder?
Anton Schünemann, Projektleiter von Arrivo, ist täglich mit Problemen wie
denen von Herrn H. konfrontiert und sieht die Lage realistischer. „Es ist
schon klar, dass die Betriebe Leute suchen und die Flüchtlinge Arbeit. Das
große Problem sind aber die Vermittlung zwischen beiden Seiten und die
rechtlichen Hürden, die zwischen ihnen liegen.“
Arrivo arbeitet mit zwölf Handwerksinnungen zusammen und bietet
Flüchtlingen Einblicke in verschiedenste Berufe an. So haben Flüchtlinge
wie Herr H. die Chance, in einer Tischlerei, einer Konditorei oder bei
einem Friseur ein Praktikum zu absolvieren, das im Idealfall zu einem Job
oder einer Ausbildung führt.
Seit Dezember 2014, als Arrivo gegründet wurde, waren bereits 70
Flüchtlinge im Projekt – 25 davon konnten mittlerweile in eine
Beschäftigung, eine Einstiegsqualifizierung oder eine Ausbildung vermittelt
werden. Doch angesichts der Tausenden Flüchtlinge, die allein in den
letzten Wochen nach Berlin gekommen sind, ist die Zahl 25 erschreckend
klein.
„Im Moment muss man viel Personal und Ressourcen aufwenden, um die Leute
auf die Arbeitswelt vorzubereiten“, erklärt Schünemann.
Das bringt Probleme mit sich: „Wir brauchen eigentlich bei jedem Flüchtling
Einzelbetreuung.“ Ob jemand allein zur Ausländerbehörde geht oder jemand
mitkommt, der Deutsch spricht – das mache leider einen gewaltigen
Unterschied. Das beklagt auch Robin Seegräf, Ausbildungskoordinator bei
Mevanta, der sich um Herrn H. kümmert: „Das Procedere ist so komplex mit
all den Behördengängen und Anträgen – ohne die Unterstützung von
Unternehmen oder Initiativen hat man da keine Chance.“
Dabei bleibt die Nachfrage auf Seiten der Wirtschaft weiterhin groß: „Uns
erreichen im Moment jeden Tag zwischen drei und fünf Anfragen von
Betrieben, die gerne bei Arrivo mitmachen würden, weil sie Personal
brauchen“, erzählt Schünemann.
Trotzdem ist es für Unternehmen oft ein Risiko, einen Flüchtling
einzustellen oder auszubilden – schließlich besteht die Gefahr, dass dieser
während oder direkt nach einer Ausbildung abgeschoben wird. „Deshalb sind
bis jetzt alle Betriebe, die einem Flüchtling eine Ausbildung ermöglichen,
mutige Betriebe“, so Schünemann. Die IHK fordert deshalb, dass
Auszubildende während der Ausbildung und in den zwei Folgejahren nicht
abgeschoben werden. Durchgesetzt wurde aber nur ein Verfahren, das
Flüchtlinge, die mit unter 21 Jahren eine Ausbildung beginnen, jeweils für
ein Jahr vor Abschiebung schützt. Flüchtlinge, die älter sind, haben diesen
Schutz nicht – und damit haben die Firmen keine Planungssicherheit.
Mevanta ist das Risiko trotzdem eingegangen. Einen Arbeitsvertrag hat Herr
H. bereits, jetzt hofft er, dass die Ausländerbehörde ihn arbeiten lässt.
Nach wochenlangem Warten kam Mitte September dann ein vorläufiger Bescheid
der Agentur für Arbeit: Es gebe in Berlin „genügend bevorrechtigte
Arbeitnehmer“, da es sich um eine ungelernte Tätigkeit handele. Schünemann
sieht das anders: „Wir können die Argumentation nicht nachvollziehen. Um
die Tätigkeit auszuüben, muss man einen Helferbasiskurs absolviert haben –
was Herr H. dank Mevanta gemacht hat.“
Für die Vorrangprüfung hat die Agentur für Arbeit eigentlich nur zwei
Wochen Zeit – Mevanta musste aber einen Monat lang warten. Erst auf
Nachfrage erfuhren Schünemann und Mevanta, dass die Zweiwochenfrist
ausgesetzt wurde, angeblich weil nicht alle Unterlagen eingegangen seien.
„Dabei hat Mevanta alles gemacht, was in seiner Macht stand, und alle
Dokumente rechtzeitig eingereicht“, sagt Schünemann.
In der Agentur für Arbeit hält man sich bedeckt: „Mir ist bisher nicht
bekannt, dass so vorgegangen wird“, erklärt deren Pressesprecher Dennis
Hoffman.
Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin sieht das anders: „Das ist Schikane.
Wir haben schon häufiger von Fällen gehört, in denen die zwei Wochen extrem
überzogen wurden – dagegen sollte man mit einem Anwalt vorgehen.“
Am 25. September dann die Hiobsbotschaft: Der Antrag auf Arbeitserlaubnis
von Herrn H. wurde endgültig abgelehnt – trotz aller Überzeugungsarbeit von
Arrivo und Mevanta. „Wir sind echt unglücklich über diese Entscheidung“,
erklärt Herr Seegräf.
Trotzdem: Herr H. und seine Unterstützer werden weiterkämpfen. Gerade
versucht das Unternehmen, Herrn H. als Auszubildenden einzustellen. Herr
Seegräf denkt gar nicht daran, klein beizugeben: „Die Chancen sind zwar
klein, aber wir geben bestimmt nicht auf!“
21 Oct 2015
## AUTOREN
Hannah Kappenberger
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