# taz.de -- Franziskus und die Flüchtlinge | |
> Wie die barmherzige Botschaft des Papstes die italienischen Katholiken | |
> aufrüttelt | |
Bild: Puccio Capanna: Franziskus mit unbekanntem (Flüchtlings-?)Kind | |
Roberta Carlini Sara Farolfi | |
Zölibat, Abtreibung, Verhütung, Schwulenrechte – und dann noch geleakte | |
Brandbriefe an den Heilgen Vater: Die Familiensynode in Rom bietet das Bild | |
einer katholischen Kirche, die über die Fragen der Zeit tief gespalten ist. | |
Vor allem im höheren und höchsten Klerus muss man inzwischen von zwei | |
Kirchen sprechen: Eine, die – um es mit den Worten von Papst Franziskus zu | |
sagen – die Türen offen halten will, sei es um Neues einzulassen, sei es um | |
raus zu gehen und zu schauen, was dort eigentlich geschieht. Und eine | |
andere, die eine Doktrin zementieren will, die für das reale Leben der | |
meisten Gläubigen keine Rolle mehr spielt. | |
Weniger diskutiert wird über den Riss, der sich an der Basis aufgetan hat. | |
Auch hier stehen sich zwei Kirchen gegenüber, geteilt durch die soziale | |
Botschaft des Papstes – und den sie begleitenden Gesten: der Reise nach | |
Lampedusa, den in den Toiletten am Petersdom eingerichteten Duschen für | |
Obdachlose, dem Satz: „Diese Wirtschaft tötet.“ Und wenn der Papst auch | |
selber nur milde lächelt, wenn man ihn einen Kommunisten nennt – nicht von | |
außen, sondern aus seiner Kirche heraus! –, und wenn auch kein Gläubiger | |
christliche Kardinaltugenden wie Barmherzigkeit und Gastfreundschaft offen | |
ablehnen würde: So macht eine Tour durch Gemeinden und Pfarreien des | |
reichen italienischen Nordens klar, wie verbreitet die verdeckten | |
Widerstände gegen Franziskus’ fremdenfreundliche Botschaft inzwischen | |
geworden sind. | |
In Venetien, in der schönen Provinz Vicenza, nennt Pfarrer Beppe Gobbo die | |
Dinge beim Namen: „Ja, der Papst, natürlich . . . er kommt gut an, er | |
trifft die Herzen, alle mögen ihn. Aber wenn er dann von den Migranten | |
spricht . . .“ Dann ziehen die Schäfchen nicht mehr mit. Don Beppe ist für | |
vier Pfarreien zuständig und leitet zudem ein Flüchtlingsheim. Er ist da, | |
wo es brennt. Der Präsident der Region Venetien, der Lega-Mann Luca Zaia | |
ist einer der Hardliner. In einer Polemik mit dem Generalsekretär der | |
italienischen Bischofskonferenz, Monsignore Galantino, nahm er die | |
„einfachen Pfarrer vom Lande“ in Beschlag – die hätten wie er und seine | |
Partei endgültig genug von der Politik der offenen Tür für Flüchtlinge. | |
Don Beppe geht da nicht mit. Er und viele andere Priester standen zu ihrem | |
Papst, als der die Pfarreien aufforderte, Flüchtlingsfamilien aufzunehmen. | |
Die klaren Worte von oben halfen den Pfarrern, das Problem in den | |
Sonntagspredigten anzusprechen. Doch damit es überhaupt dazu kam, brauchte | |
es eben diese explizite Ansage des Papstes. Zuvor hatten viele | |
Pfarrgemeinderäte das Ansinnen ihrer Pfarrer, Flüchtlinge im Pfarrhaus oder | |
anderen Räumen unterzubringen, noch entschieden zurückgewiesen – und | |
Venetien gehört zu den katholischsten Regionen Italiens. Die Pfarrer sind | |
willig – aber sie stehen zwischen den dem Innenminister unterstehenden | |
Präfekten der Landkreise – die sich oft an die Kirche wenden, um | |
Flüchtlinge unterzubringen – und den sich verweigernden Bürgermeistern und | |
murrenden Gemeindemitgliedern. | |
Was ist eigentlich die Aufgabe der Kirche – das ist die Frage, an der sich | |
die Geister scheiden. | |
In Ferrara, im Herzen der Emilia-Romagna, hat Don Domenico Bedin die Frage | |
für sich entschieden: „Wir sollen jetzt 400 Flüchtlinge aufnehmen – na un… | |
Und wenn es 1.000 wären: Wir sind überaltert, niemand bekommt mehr Kinder. | |
Was Besseres kann uns doch gar nicht passieren!“ | |
Ganz anderer Meinung war da der Bischof: „Die Diözese Ferrara-Comacchio | |
betont nachdrücklich, dass sie mit den Aussagen von Don Domenico Bedin | |
bezüglich des möglichen Umgangs mit Flüchtlingen auf dem Territorium der | |
Diözese nichts zu tun hat, weil solche politischen Fragen nicht in ihre | |
Kompetenz fallen.“ Nun war Don Bedin immer ein wenig in Opposition zu | |
seinen Vorgesetzten und hat sich den Ruf des „Armenpriesters“ ehrlich | |
erworben. Aber er sagt auch, dass es diesmal um mehr geht als ihn | |
persönlich: „Der Bischof denkt, dass eine Kirche, die sich für die | |
Flüchtlinge zu sehr engagiert, nur noch als sozialer Dienstleister | |
verstanden wird und die Menschen zu Materialisten erzieht anstatt die | |
existenziellen Wahrheiten zu verbreiten, etwa zur Sexualmoral.“ | |
In der lombardischen Stadt Crema wiederum war die Konstellation umgekehrt. | |
Hier stand Bischof Oscar Cantoni allein der überaus hartnäckigen Opposition | |
der Eltern der katholischen Manziana-Schule gegenüber. Es ging um ein paar | |
Flüchtlinge, die in Räumen neben dem Schulgebäude untergebracht werden | |
sollten. Das Schreiben, mit dem Cantoni öffentlich machte, dass er auf sein | |
Vorhaben verzichte, wurde zu einer bitteren Anklageschrift: An die Eltern, | |
die ihre Kinder auf eine katholische Schule schicken, aber offensichtlich | |
„nicht verstehen oder nicht wahrhaben wollen, welche Bildungsziele ein | |
solches Institut eigentlich verfolgt – nämlich unter andrem eben die | |
Gastfreundschaft“; und an die Gemeinde der Gläubigen, die den Papst „wie | |
alle Welt feiern würden, aber im entscheidenden Moment seine | |
unmissverständlichen Aussagen sozusagen zensieren, wenn sie nicht zu ihrer | |
Ideologie passen“. | |
Dass es im Kern um die Akzeptanz der Botschaft des Evangeliums in | |
stürmischen Zeiten geht, sagt auch Don Claudio Celli, Präsident des | |
Päpstlichen Rats für die sozialen Kommunikationsmittel: „Es ist wie damals, | |
als in Berlin die Mauer fiel und ein deutscher Geistlicher mir gestand: | |
‚Für uns war es früher bequemer, wir hatten ein Alibi, eine Entschuldigung | |
fürs Nichtstun‘ “. Eben diese Trägheit erlaube Franziskus nicht, er rütt… | |
uns wach und rühre an unsere schwachen Seiten. „Die Kirche muss in diesen | |
Zeiten wie ein Feldlazarett sein, improvisiert und beileibe nicht perfekt – | |
aber viel besser als eine reine und unbewegliche Kirche.“ | |
All das, was jetzt Tat werden müsse, sagt Don Celli, stand schon im | |
Dokument von Aparecida, dem Abschluss der 5. Generalversammlung des | |
Episkopats von Lateinamerika 2007, redaktionell verantwortet eben vom | |
Kardinal Bergoglio, dem heutigen Papst. In dem was heute an | |
politisch-sozialer Kirche wieder nach oben dränge, werde oft der riesige | |
Einfluss übersehen, den die lateinamerikanische Erfahrung und Geschichte | |
haben. Diese Sensibilität des globalen Südens treffe nun auf die | |
brandaktuelle Lage, auf eine Welt, die in Europa Zuflucht suche und die | |
Türen verschlossen fände. „Sagen wir es doch, wie es ist: Wir in Europa und | |
in Italien sind eingeschlafen. Aber dann geschieht etwas – und man muss | |
aufwachen. Und Entscheidungen treffen.“ Und die Opposition gegen Franziskus | |
aus dem katholischen Establishment? „Viele Wohlgesinnte meinen, der Papst | |
übertreibe; aber das hat man auch zu Jesus’ Zeiten gesagt – den hielten | |
auch viele für irre.“ | |
Es ist vor diesem Hintergrund, dass die „andere Kirche“ wieder an Zug und | |
Kraft gewinnt, diejenige, die während des langen Pontifikats von Johannes | |
Paul II. und des kurzen von Ratzinger ins Abseits geraten sei. Die | |
Priester, die immer schon am Rand der Gesellschaft wirkten, die den Armen | |
so nah waren, wie sie der Kurie in Rom fern standen – diese suchen jetzt | |
mit einem starken Signal die Öffentlichkeit. Am 16. November treffen sie | |
sich nicht in, nein, sie kommen unter Neapel zusammen: in den Katakomben | |
der Kirche Santa Maria della Sanità. | |
Dort wollen sie einen Pakt erneuern, der vor fünfzig Jahren geschlossen | |
wurde: Die „Kirche der Katakomben”, die arm sein soll – und den Armen | |
dienen. Denn es war 1965, am Ende des II. Vatikanischen Konzils, als eine | |
Mehrheit der lateinamerikanischen Kardinäle diesen Pakt einging, ein | |
Vorläufer der Befreiungstheologie, die im Folgenden von der katholischen | |
Orthodoxie niedergewalzt wurde. | |
Jetzt aber sind sie wieder da, die Priester der Peripherien. Einer von | |
ihnen, Don Virginio Colmegna aus Mailand, sagt, warum: „Wir gehen in die | |
Katakomben, um zur ursprünglichen christlichen Botschaft zurückzukehren. | |
Wir müssen etwas wagen, wir müssen mit der Vergangenheit brechen. Es reicht | |
nicht zu sagen, die Kirche sei für die Armen da: Sie muss selbst arm sein, | |
nicht die Armen benutzen, um die eigene Existenz zu rechtfertigen.“ | |
Und es sind viele, im Norden wie im Süden, die diese Botschaft aufnehmen | |
und verbreiten – noch nicht die Mehrheit, aber auch nicht länger ein paar | |
in die Ecke gedrängte Sünder. Oder, in den Worten des Armenpriesters | |
Virginio Colmegna: „Das Zweite Vatikanische Konzil beginnt jetzt!“ | |
Aus dem Italienischen: Ambros Waibel | |
17 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Sara Farolfi | |
Roberta Carlini | |
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