# taz.de -- Den Moment nicht zerstören | |
> Chancen Zum ersten Mal in meinemLeben ist da kein Feind mehr, den wir bis | |
> zum Äußersten bekämpfen sollen | |
Bild: Aus der Serie „José Martí“ | |
Von Elaine Díaz Rodriguez | |
Ein Freund meinte kürzlich, dass wohl jeder Kubaner sich für immer daran | |
erinnern würde, was er am 17. Dezember 2014 gemacht hat. Ich auf jeden | |
Fall. Ich kann mich gut an die Tränen in meinen Augen erinnern, an die | |
ungläubig auf den Mund gepressten Hände, die mich vom Sprechen abhielten, | |
daran, wie ich den Atem anhielt. Das war, als die Präsidenten Barack Obama | |
und Raúl Castro jene Erklärung verkündeten, von der ich glaubte, dass | |
alles, was ich machen würde, den Moment für immer zerstören könnte. | |
So blieb ich sehr still. Wie lange dauerte es, die offiziellen | |
Verlautbarungen zu verkünden? Keine Ahnung. Es hat sich angefühlt wie | |
schmerzhafte 50 Jahre. | |
Für Kubaner, die wie ich in den späten 80ern geboren sind, war die erste | |
Begegnung mit den USA eine aus zweiter Hand. Meine beste Grundschulfreundin | |
gewann in der Visaverlosung und war von einem Moment zum anderen weg. Sie | |
ließ mich mit einem Haufen Fragen zurück, die niemand beantworten wollte, | |
denn de eso no se habla, davon spricht man nicht. | |
Nur ein Jahr später war es mein eigener Onkel, der mit 17 anderen auf einem | |
wackeligen Floß das Land verließ, kurz vor der „Balsero-Krise“ 1994, als | |
innerhalb eines Monats über 30.000 Kubaner die gefährliche Überfahrt | |
antraten. Und ich hörte immer mehr Leute sagen, que el que se va se muere, | |
wer geht, stirbt. | |
Auf die eine oder andere Weise sind die gegangenen wirklich in unserem | |
Denken gestorben. Selbst die, die regelmäßig anriefen, waren in unserer | |
Vorstellung so weit weg, dass wir das Gefühl hatten, sie für immer verloren | |
zu haben, ein Eindruck, der noch verstärkt wurde durch das Gefühl, | |
irgendwie auf dieser von Wasser umgebenen Landmasse in der Falle zu sitzen. | |
Im Mai 2013 reiste ich zum ersten Mal nach Washington, D. C., um am Latin | |
Anerica Studies Association Congress teilzunehmen. Und so konnte ich in | |
einer regnerischen Nacht im Juni 2013, nach 20 langen Jahren, endlich das | |
Haus meines Onkels sehen, ein Holzhaus inmitten eines Trailer-Parks in | |
Miami, wo er abends draußen vor dem Grill sitzt und Geschichten davon | |
erzählt, wie das so ist, ein Bootsflüchtling zu sein. | |
2014 erhielt ich ein Nieman-Stipendium für die Harvard-Universität und zog | |
nach Cambridge, Massachussetts. Ich hatte ein paar Hoffnungen und eine | |
Menge Ängste. Aber anstelle des überzeichneten Schwarzweißbildes, das die | |
kubanischen Medien vermitteln, traf ich auf tiefen Respekt gegenüber meinem | |
geliebten Heimatland. Es war der gleiche Respekt, der sich in nationalen | |
Umfragen immer wieder gezeigt und zu den 18-monatigen Geheimverhandlungen | |
zwischen den beiden Ländern geführt hatte, die dann vergangenen Dezember in | |
den offiziellen Ankündigungen mündeten. Das gab mir Hoffnung. | |
Aber ich traf auch auf Leute, die glaubten, die US-Demokratie solle oder | |
könne nach Kuba exportiert werden, ohne dass sie von unserer langen | |
Geschichte des Nationalismus und Unabhängigkeitskampfes irgendeine Ahnung | |
hatten. | |
Die Wiederherstellung voller diplomatischer Beziehungen nach 54 Jahren | |
bedeutet den Beginn eines neuen Zeitalters für Kuba. Zum ersten Mal in | |
meinem Leben ist da kein Feind mehr, den wir im Zweifelsfall bis zum | |
Äußersten bekämpfen sollen. Aber die Zukunft dieser Beziehungen wird von | |
der Bereitschaft abhängen, Kuba seinen eigenen Rhythmus zuzugestehen. Die | |
Veränderungen müssen von den Kubanern selbst kommen, einschließlich der | |
Ausgewanderten. | |
Im Dezember 2014 besuchte ich noch einmal meinen Onkel. „Wie findest du das | |
neue Verhältnis zwischen Kuba und den USA?“, fragte ich ihn in jener | |
Kombination aus Skepsis und Hoffnung, die uns die Wirtschaftskrise der 90er | |
gelehrt hat. „Ich bin kein Politiker“, sagte mein Onkel, „ich bin nur ein | |
Überlebender …Aber vielleicht ist das ein Zeichen. Zeit, nach Hause zu | |
gehen.“ | |
Elaine Díaz Rodriguez,29, war bis zu diesem Jahr Professorin der | |
Kommunikationswissenschaften an der Uni Havanna. Im Oktober startet sie das | |
unabhängige Journalismusprojekt „Periodismo del Barrio“. | |
14 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Elaine Díaz Rodriguez | |
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