# taz.de -- 70 Euro pro Quadratmeter | |
> WOHNEN Die Unterbringung von Flüchtlingen ist ein Geschäftsmodell. Auch | |
> privaten Vermietern winken hohe Einnahmen – einige Fälle klingen aber | |
> eher nach Abzocke | |
Bild: Günstiger, aber weniger Privatsphäre – auch diese Traglufthalle in Ba… | |
von Dominik Schneider | |
Idyllisch liegen die vier baugleichen weiß gekalkten Häuser im Dorf Happurg | |
bei Nürnberg. Genau zwischen dem Ufer des Stausees, dem nahen Wald und der | |
Straße, die ins Zentrum des 3.500-Seelen-Ortes führt. Früher wohnten hier | |
die Arbeiter des inzwischen stillgelegten Wasserkraftwerks. Jetzt sollen | |
Flüchtlinge in diese vier Häuser ziehen. Der Vermieter dürfte sich freuen, | |
denn für ihn bedeuten die neuen Mieter ein einträgliches Geschäft. Das Land | |
Bayern muss pro Quadratmeter fast 70 Euro im Monat auf den Tisch legen. | |
Über 2.000 Euro nimmt der Eigentümer mit den Flüchtlingen täglich ein. | |
In der bayrischen Gemeinde Happurg wird für die 120 Flüchtlinge ein Satz | |
von 19 Euro pro Tag und Kopf gezahlt. Durchaus eine übliche Summe, wie | |
Hanna Smuda vom Bayerischen Flüchtlingsrat sagt. Dafür stellt der | |
Eigentümer seine vier Häuser mit jeweils 250 Quadratmetern zur Verfügung | |
und erhält eine finanzielle Sicherheit, die eventuelle Beschädigungen | |
abdecken soll, sowie eine Renovierung und Erweiterung der sanitären | |
Anlagen, die auf den Mietpreis umgerechnet wird. Die Summe hat der | |
Eigentümer mit dem zuständigen Landratsamt ausgehandelt. „Hierbei gelten | |
die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit“, lässt das | |
bayerische Sozialministerium wissen. Einzelfälle mit Kosten wie in Happurg | |
seien dort „nicht bekannt“. Die Ausgaben für die Flüchtlinge hätten sich… | |
den ortsüblichen Mieten zu orientieren. Der Mietpreis, den der Eigentümer | |
der fraglichen Gebäude in Happurg erhält, ist fast siebenmal so hoch wie | |
der örtliche Mietspiegel. Der Eigentümer war für eine Stellungnahme nicht | |
zu erreichen. | |
„Über dem Flüchtlingsmarkt kreisen die Geier“, sagt Bernd Mesovic von Pro | |
Asyl. So gebe es Menschen, die die Notlage der Gemeinden, immer mehr | |
Flüchtlinge schnell versorgen zu müssen, ausnutzen. Sie stellen ihre | |
Privatimmobilien zur Verfügung, allerdings zu überteuerten Preisen. „Die | |
Menschen, die viel Wohneigentum besitzen, sind dem einen oder anderen in | |
der Behörde zuweilen auch privat natürlich nicht unbekannt“, mutmaßt | |
Mesovic. | |
Gerade in kleinen Gemeinden wie Happurg kommt hinzu, dass es schwierig ist, | |
Wohnraum für über hundert Menschen zu finden. „Das Objekt in Happurg wurde | |
uns angeboten. Wegen der derzeitigen Situation hat man angenommen“, sagt | |
Andrea Gramlich vom zuständigen Landratsamt Nürnberg. Aber auch in anderen | |
Städten gab es ähnliche Fälle. In Hörsterfeld bei Essen berichtete die WAZ | |
über eine heruntergekommene Wohnung, die für über 600 Euro im Monat | |
vermietet wurde. Die Berliner Zeitung schilderte im Juli einen Fall, in dem | |
eine Firma Wohnungen anmietete, um sie an die Kommune weiterzuvermieten – | |
mit 900 Prozent Aufschlag. | |
„Früher hat man für wenig Leistung wenig Geld bezahlt, das fanden wir schon | |
nicht gut“, sagt Luise Amtsberg, Sprecherin für Flüchtlingspolitik der | |
Grünen, „und jetzt zahlt man für wenig Leistung viel Geld“. Amtsberg | |
fordert, dass gesetzliche Regelungen für Einzelfälle wie den in Happurg | |
gefunden werden müssen, um die Gier mancher Immobilienbesitzer in Grenzen | |
zu halten. Eine Möglichkeit für eine solche Regelung wäre die | |
Mietpreisbindung, die Mieten auf einem bestimmten Niveau festlegt. | |
Auf private Eigentümer greifen die Gemeinden jedoch nur im Notfall zurück. | |
Günstiger ist die Unterbringung von Flüchtlingen in improvisierten | |
Unterkünften, etwa in Wohncontainern. Bisher war das Herstellen und | |
Vermieten von Wohncontainern ein kleiner, stabiler, aber nicht wirklich | |
rentabler Markt. Seit die Flüchtlingszahlen steigen, macht die Branche | |
Rekordgewinne. Zwar nehmen, so Susanne Schwendtke vom städtischen | |
Unternehmen Fördern und Wohnen, das in Hamburg die Unterbringung | |
organisiert, die Hersteller keine erhöhten Gebühren für die Vermietung und | |
den Verkauf von Containern, es gebe aber auch „keinen Sozialrabatt“. | |
Viele der 130 Betriebe der Branche suchen nach neuen Arbeitskräften. „50 | |
Prozent der aktuellen Aufträge stammen aus Flüchtlingsunterkünften“, sagt | |
Günter Jösch, Geschäftsführer des Bundesverbands Bausysteme. Und, so Jösch | |
weiter, nicht nur seine Branche mache Gewinne mit den Flüchtlingen. Im | |
Kielwasser der Containerhersteller verzeichnen auch andere Betriebe hohe | |
Gewinne, etwa Fliesenleger oder die Produzenten von Dämmstoffen. | |
Die Kosten für die Kommunen sind hier geringer als jene in Happurg: „Für | |
die Unterbringung eines Flüchtlings auf einem angemieteten Gelände geben | |
wir pro Tag etwa 14 Euro aus“, sagt Marcel Schweitzer vom Sozialdezernat | |
der Stadt Hamburg. Darin enthalten seien die Miete für das Grundstück und | |
die Wohnung – beziehungsweise den Container – sowie die Reinigung und | |
Instandhaltung. Auf städtischen Grundstücken liegen die Kosten bei 9 Euro | |
pro Tag und Kopf. | |
Eine noch günstigere Variante der Unterbringung wird derzeit unter anderem | |
in Berlin getestet. Auf einem Sportplatz in Moabit steht etwas, das | |
aussieht wie eine Kreuzung aus einem überdimensionalen Campingzelt und der | |
Münchner Allianz-Arena – eine sogenannte Traglufthalle: eine Überdachung, | |
die mittels eines leichten Innendrucks aufrecht gehalten wird. Diese | |
Konstruktionen waren ursprünglich für Sportplätze und Schwimmbäder gedacht, | |
die auch im Winter genutzt werden sollten. | |
In der Halle in Moabit befinden sich einzelne Schlafkabinen, in denen bis | |
zu sechs Menschen auf elf Quadratmetern schlafen können. Die Kabinen sind | |
nach oben offen, deshalb ist hier weniger Privatsphäre möglich als etwa in | |
einem Container oder den Wohnungen in Happurg. Dafür ist die Unterbringung | |
deutlich günstiger: Je nach Größe und Ausstattung der jeweiligen Halle mit | |
Betten, Duschcontainern und Schlafkabinen vermietet der Marktführer für | |
Traglufthallen, die Firma Paranet, die Objekte zwischen 20.000 und 50.000 | |
Euro im Monat – auch das entspricht dem normalen Marktpreis. | |
Bis zu 300 Flüchtlinge können in einer Halle untergebracht werden. Der | |
Quadratmeterpreis ist mit 20 Euro im Monat stattlich, bei kompletter | |
Auslastung kommt man aber auf einen Preis von gerade einmal 4 Euro pro Tag | |
und Flüchtling. Und das Modell scheint beliebt: Laut Jürgen Wowra von | |
Paranet sollen bis November bundesweit 20 Flüchtlingsunterkünfte in | |
Traglufthallen errichtet werden. In den vergangenen 20 Jahren hat das | |
Unternehmen gerade einmal 120 Hallen vermietet. | |
„Natürlich machen wir in der Krise Profit“, sagt Wowra mit leichtem | |
Unbehagen in der Stimme. „Wir haben diese Lage weder verursacht noch | |
gewollt, aber wir versuchen, Teil der Lösung zu sein. Nicht nur, weil es | |
sich für uns rechnet.“ | |
15 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Dominik Schneider | |
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