# taz.de -- Inklusion gibt‘s nicht umsonst | |
> Protest Die Koalition will, Menschen mit Behinderungen mehr individuelle | |
> Lebensplanung ermöglichen. Doch mehr kosten darf das eigentlich nicht | |
Bild: Bereits 2010 demonstrierten Betroffene vor der Senatsverwaltung in Berlin | |
aus Berlin Hilke Rusch | |
Oliver Straub würde gern selbstständig arbeiten, als Berater für Menschen | |
mit Behinderung und als freischaffender Künstler. Straub ist | |
querschnittsgelähmt und braucht im Alltag Unterstützung. Gemeinsam mit | |
seinen persönlichen Assistenten entwirft er Skulpturen aus Elektroschrott. | |
Dafür braucht er eine Werkstatt. Das Problem: Oliver Straub darf nicht mehr | |
als 2.600 Euro sparen. Auch einen Kredit kann er nicht aufnehmen, denn | |
seine Assistenz wird vom Sozialamt bezahlt, und hier gilt: Wer mehr als | |
2.600 Euro besitzt, muss die Hilfeleistungen selbst bezahlen. | |
„Behinderte Menschen werden systematisch arm gemacht“, sagt Ottmar | |
Miles-Paul. Er koordiniert die Kampagne für ein gutes Bundesteilhabegesetz, | |
die unter anderem einen umfassenden Anspruch auf Assistenz fordert. Union | |
und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag auf ein Bundesteilhabegesetz | |
geeinigt, Ende des Jahres soll ein Entwurf vorliegen, im kommenden Jahr das | |
Gesetz verabschiedet werden. Im Wesentlichen geht es um eine Reform der | |
Eingliederungshilfe, die aus der öffentlichen Fürsorge gelöst und der | |
Bedarf eines behinderten Menschen in einem bundeseinheitlichen Verfahren | |
individuell ermittelt werden soll. Es geht um Selbstbestimmung und darum, | |
die Kommunen um 5 Milliarden Euro im Jahr zu entlasten. | |
Ein Kernpunkt der Forderungen von Behindertenverbänden betrifft jene Grenze | |
von 2.600 Euro, an denen Oliver Straubs Pläne scheitern. Die Petition | |
„Recht auf Sparen“ wurde inzwischen von 187.000 Menschen unterschrieben. | |
„Einkommen und Vermögen sollten nicht wie bisher auf den Leistungsanspruch | |
angerechnet werden“, sagt Miles-Paul. Rücklagen für Urlaubsreisen oder eine | |
Altersvorsorge seien so nicht möglich. Verena Bentele, Bundesbeauftragte | |
für die Belange behinderter Menschen, sieht hier eine klare Diskriminierung | |
und plädiert für deren Abschaffung. | |
Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Momentan würden Verbesserungen bei | |
der Anrechnung geprüft, so das zuständige Bundesministerium für Arbeit und | |
Soziales (BMAS). Geprüft würden auch Veränderungen im Hinblick auf | |
Werkstätten für Menschen mit Behinderung. | |
Miles-Paul sieht hier ebenfalls Handlungsbedarf. Arbeitet ein Betroffener | |
in einer Werkstatt werde dies zwar unterstützt, wolle aber jemand auf dem | |
regulären Arbeitsmarkt arbeiten und weiter Eingliederungshilfe erhalten, | |
sei das oft ein bürokratischer Kampf. „Etwa 80 Prozent Eingliederungshilfe | |
fließen tatsächlich in Aussonderung“, sagt Miles-Paul. Er fordere einen | |
klaren Fokus auf Inklusion entsprechend der UN-Behindertenrechtskonvention, | |
denn es gehe um menschenrechtliche Fragen nach der freien Wahl des Berufs | |
oder des Wohnsitzes. | |
Oliver Straub ist, derweil mit seinem Elektrorollstuhl auf Tour, für ein | |
gutes Bundesteilhabegesetz. Gestern wurde er in Berlin unter anderem von | |
Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt (SPD) empfangen. Die Tour soll | |
sensibilisieren, auch für die Notwendigkeit eines Teilhabegelds. Durch | |
seine Behinderung hat Straub Mehrkosten: Will er beispielsweise in den | |
Urlaub fahren, muss er auch die Reisekosten der Begleitperson zahlen. Das | |
Teilhabegeld soll da als Nachteilsausgleich wirken. | |
Verena Bentele betont, dass Inklusion nicht zum Nulltarif zu haben sei. Ob | |
das Gesetz überhaupt zu Mehrausgaben führt, ist noch unklar. Das BMAS will | |
jedenfalls spürbare Verbesserungen bei den Leistungen für Menschen mit | |
Behinderung, man sei derzeit mit dem Finanzministerium im Gespräch. Im | |
Koalitionsvertrag jedenfalls ist festgehalten, dass das Gesetz nicht mit | |
Mehrausgaben verbunden sein darf. | |
8 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Hilke Rusch | |
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