# taz.de -- „Schwuli, Schwuli“: Pink, problembeladenes Pigment | |
Erwachsen | |
von Martin Reichert | |
Schlussverkauf bei American Aparel, dem US-Modehersteller. Womöglich ist | |
der Journalist Thilo Jung („Jung und Naiv“) auf diese Weise in den Besitz | |
eines rosafarbenen „Hoodies“ (vulgo: Kapuzenpullovers) gekommen, der ihm | |
letzte Woche einen ziemlichen Aufmerksamkeitsschub verschafft hatte: In der | |
Bundespressekonferenz hatten sich der Sprecher des Auswärtigen Amtes, | |
Martin Schäfer, sowie Regierungssprecher Steffen Seibert über den Aufzug | |
des zumindest aus ihrer Sicht üblicherweise nervig-kritisch auftretenden | |
Jung-Journalisten geäußert. Schäfer giggelte etwas von „Herrn Jung (...) | |
unterstellen, dass er schwul ist“, woraufhin Herr Seibert entgegenkicherte, | |
dass es sich „jedenfalls um ein lebensbejahendes Rosa“ handele. ... Die | |
zwei Anzug-Jungs hatten einen Spaß wie zwei Tunten auf Betriebsausflug, | |
„Stößchen!“. Leider nur: Das Mikrofon war offen – und die Empörung gro… | |
Nun hat ein verklemmtes Witzchen noch niemanden umgebracht und Thilo Jung | |
hatte selbst schon mal ziemlichen Ärger aufgrund schwer vermittelbaren | |
Humors. Es ging seinerzeit um eine Frau, die sich auf die Fresse gelegt | |
hatte oder so, aufgrund von Mediendemenz kann ich mich leider nicht mehr an | |
die Details erinnern. | |
Rosa, du problembeladenes Pigment. Nie vergessen werde ich hingegen, was | |
seinerzeit passierte, als die Freundin meiner Mutter mir einen Pullover der | |
Marke Daniel Hechter „aus der Metro“ mitgebracht hatte, einfach so, was | |
einen als Achtjährigen ja durchaus erfreuen kann. Er war rosa, und was es | |
mit dieser Farbe auf sich hat, erfuhr ich am nächsten Tag auf dem Schulhof: | |
„Schwuli, Schwuli“, „Tunte, Tunte“, „Hinterlader, Hinterlader“. Es … | |
seinerzeit offensichtlich bereits Achtjährige, die mehr über die komplexen | |
Zusammenhänge des Lebens wussten als ich, der ich nicht mal verstand, was | |
denn nun ein „Schwuli“ bitte sein soll. Wohl aber hatte ich begriffen, dass | |
es sich um etwas Schlechtes handeln musste. Etwas, worüber man lacht. Und | |
zwar nicht amüsiert und freundlich, sondern verächtlich und hämisch. | |
Nur wenige Jahre nach meinem Schulhofauftritt hatte George Michael die | |
beste männliche Pink-Performance ever abgelegt, und zwar im Rahmen des | |
Videos von „Wake me Up Before You Go-Go“. Das war 1984, und zu dem | |
Zeitpunkt wusste noch keiner, dass der WHAM-Sänger schwul ist, ich auch | |
nicht. | |
In den nuller Jahren schließlich wusste ich dann schon erheblich mehr, war | |
geradezu professionell in dieser Frage geworden. Und Rosa wurde erneut zur | |
Modefarbe für Herren jedweder geschlechtlichen Orientierung. Mir aber wurde | |
beschieden, dass ich „wirklich sehr mutig“ sei, Rosa zu tragen. So als | |
Schwuler. Die jungen Araber in Berlin-Neukölln wiederum wären seinerzeit | |
gar nicht auf die Idee gekommen, dass es einen solchen Zusammenhang geben | |
könnte, trugen sie doch allesamt plötzlich rosafarbene Beinkleider, die wie | |
Schlafanzugshosen aussahen. Warum, weiß kein Mensch – aber den meisten von | |
ihnen stand das in Kombination mit gelglänzendem schwarzem Haar wirklich | |
sehr gut. | |
Herrn Jung steht Rosa übrigens auch sehr gut und Herr Seibert hat natürlich | |
recht: Rosa kann wirklich sehr lebensbejahend sein, wenn man es trägt. Und | |
erträgt, dass die Menschen wohl nie aufhören werden, in Stereotypen zu | |
denken. Rosa ist weiblich. Männer, die Rosa tragen, sind ebenfalls weiblich | |
und daher schwul. Hihi. | |
16 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
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