# taz.de -- Recht oder Moral | |
> FORSCHUNG Jura und Theologie gelten als gegensätzliche Disziplinen. Am | |
> Zentrum für Medizinrecht in Göttingen widmen sie sich in der Medizin nun | |
> brisanten Fragen wie Biobanken und ärztlich assistiertem Suizid | |
Jura und Theologie sind gegensätzliche Disziplinen – im Zentrum für | |
Medizinrecht der Georg-August-Universität in Göttingen arbeiten sie jetzt | |
zusammen. „Spannend“ sei die Arbeit mit den Theologen, erzählt Gunnar | |
Duttge vom Lehrstuhl für strafrechtliches Medizinrecht, zugleich Mitgründer | |
des Zentrums. Es seien die evangelischen Theologen, die offen für | |
verschiedene Bereiche des Rechts seien, sagt er. | |
## Nach Lust und Laune | |
Mit Vertretern der Medizin verbindet die Rechtswissenschaftler in Göttingen | |
bereits eine längere Tradition. Vor über 40 Jahren begannen hier zwei | |
Juristen und ein Mediziner, das Arzt- und Arzneimittelrecht zu diskutieren. | |
Das geschah zunächst nach „Lust und Laune“, erzählt Duttge. Vor einem Jahr | |
taten sich nun die Medizinische, die Juristische und die Theologische | |
Fakultät zusammen, um gemeinsame ethische und rechtliche Grundlagen des | |
Medizinrechts zu erforschen. | |
Erste Ergebnisse präsentierten sie bei einem Symposium im Juni. Themen wie | |
„gesundheitliche Vorausplanung“, „ärztlich assistierter Suizid“ und | |
„Biobanken“ wurden von Juristen, Theologen und Ärzten zusammen besprochen. | |
„Das sind wichtige Themen, die in den kommenden zehn Jahren zu diskutieren | |
sind“, sagt Volker Lipp, Professor für Zivilrecht und geschäftsführender | |
Direktor des Zentrums. Biobanken zum Beispiel sind Sammlungen genetischer | |
Proben. Fragen des Datenschutzes sind hierbei ein zentrales Anliegen des | |
Zentrums. | |
Die erste Aufgabe des Zentrums sei, aufzuklären und zu differenzieren, sagt | |
Lipp. Die bioethische Diskussion bewege sich in einem starken | |
Spannungsfeld: Für die einen seien manche Möglichkeiten der modernen | |
Medizin „verboten und verwerflich“, für die anderen eröffneten sie neue | |
Felder. Für solche Debatten will das Zentrum die wissenschaftlichen | |
Grundlagen liefern. | |
Außerdem entwickelt das Zentrum konkrete Regulierungsvorschläge. Diese | |
Aufgabe ist stark geprägt von der Zusammenarbeit mit den klinischen | |
Medizinern. Denn sie erleben jeden Tag konkret die Auswirkungen der | |
theoretischen Rechtsgrundlagen. Deswegen betont Duttge, ihm sei es wichtig, | |
„Rechtspolitik nicht einfach vom Schreibtisch aus zu begleiten, sondern | |
interdisziplinär zu gestalten“. | |
Ein Forschungsprojekt ist derzeit in der Konzeptionsphase: Doktoranden der | |
medizinischen und juristischen Fakultät untersuchen die Gabe von | |
Arzneimitteln, die für das betroffene Krankheitsbild noch nicht zugelassen | |
sind. Als Beispiel nennt Duttge den Fall eines neunjährigen Mädchens. | |
Dieser erregte vor einigen Wochen Aufsehen. Das Mädchen erkrankte an | |
Kinderdemenz. Ein Medikament einer US-amerikanischen Firma soll das einzig | |
wirksame sein – ist aber nicht zugelassen. „Das ist kein Einzelfall“, sagt | |
Duttge. Ärzte fühlten sich in der klinischen Medizin häufig gehindert, das | |
vermutlich beste Medikament zu verschreiben. Wohingegen das Recht die | |
Patienten schützen will. Ein Arzt soll nicht „beliebig frei irgendwelche | |
Medikamente verschreiben können“, sagt Duttge. Seiner Meinung nach ist das | |
ein „ungelöstes Dilemma“. | |
Das Zentrum will hier konkrete Vorschläge für die Politik und | |
Rechtsprechung entwerfen. Geplant ist, Theologen einzubeziehen, die etwa | |
den Aspekt des ärztlichen Gewissens beleuchten könnten. Auch ihre | |
Fähigkeit, Verständnis für die vielen unterschiedlichen Seiten zu | |
entwickeln, könnte laut Duttge hilfreich sein. | |
Ende des Jahres beschließt der Bundestag, ob der assistierte Suizid – etwa | |
durch Ärzte – strafrechtlich verfolgt werden soll. Derzeit ist das noch | |
über das Berufsrecht geregelt. Die Landesberufsordnungen enthalten dabei | |
unterschiedliche Regelungen. Die Sterbehilfe ist derzeit ständiges Thema in | |
Vorträgen oder Diskussionen des Zentrums. Der Leiter der Palliativstation | |
der Uni ist zugleich stellvertretender geschäftsführender Direktor des | |
Zentrums. | |
## Schärfstes Schwert | |
Laut Duttge kritisiert das Zentrum, dass in der Debatte im Bundestag | |
individuelle moralische Vorstellungen unmittelbar mit Rechtsfragen | |
verknüpft werden. „Dazu noch mit dem Strafrecht – das schärfste Schwert d… | |
Justiz“, sagt er. Ihm ist wichtig, Strafrecht und Moral zu trennen. Auf der | |
inhaltlichen Ebene aber könnten Theologen moralische und ethische Aspekte | |
einbringen, die die Notwendigkeit einer rechtlichen Abstufung | |
nachvollziehbar machen. | |
Auch Lipp betont, dass der Austausch mit Theologen auf inhaltlicher Ebene | |
juristisch weiterführend sei. „Die Fragen, wie etwas rechtlich geregelt | |
werden soll – oder ob es überhaupt eines Gesetzes bedarf – besprechen wir | |
gemeinsam“, sagt er. Dass die Theologische Fakultät – und nicht die | |
Philosophische – die Ethik vertrete, liegt laut Lipp daran, dass es in | |
Göttingen eine lange Tradition der thelogisch-ethischen Auseinandersetzung | |
mit Medizin- und Bioethik gebe. | |
Ökonomische Gegebenheiten seien nur bedingt Gegenstand des Zentrums. So | |
könnte zwar eine flächendeckende Palliativversorgung den Wunsch nach Suizid | |
verringern, sagt Lipp. „Das betrifft dann die gesellschaftliche Tragweite | |
des Themas“, sagt er. Forschungsgegenstand sei aber die rechtliche Regelung | |
der Fälle, die Sterbehilfe für sich beanspruchen wollen. Nele Wagner | |
29 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Nele Wagner | |
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