Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der unberechenbare Chor
> Inklusion Bei den Nogat Singers singen Menschen mit und ohne Behinderung
> gemeinsam
Von Franziska Maria Schade
Im Café „Fincan“ steht niemand hinter dem Tresen, und Gäste kommen auch
keine. Trotzdem herrscht reges Treiben an der Theke. Kekse werden drapiert,
Getränke verteilt. Das Café öffnet freitagnachmittags nur für besondere
Gäste, besonders musikalische Gäste. Die nächsten zwei Stunden gehören den
Nogat Singers, dem Inklusionschor der Lebenshilfe gGmbH. Sie ermöglicht
Menschen mit geistiger Behindertung das betreute Einzelwohnen in der
Nogatstraße. Der Chor ist einer von sehr wenigen Inklusionschören in
Berlin.
Die Nogat Singers, gegründet 2011, waren anfangs ein Chor für die Klienten
der Lebenshilfe und ihre Betreuer. Inzwischen singen auch Menschen mit, die
keine Verbindung zur Lebenshilfe haben. Der Chor ist auf 25 Sänger
angewachsen. Da könne man schon mehr machen als zu Anfang, als man gerade
mal zu sechst war, sagt Chorleiter Michael Kuntze. Er ist ausgebildeter
Opernsänger und hat ein Pädagogik- und Psychologiestudium absolviert.
## Schlager und Pop
Das Repertoire ist breit gefächert: Lieder aus den 20er Jahren, klassische
Stücke, aber auch Schlager sind im Programm. Derzeit bereiten sich die
Sängerinnen und Sänger auf ihren Auftritt am 29. August beim Tag der
offenen Tür im Bundesfamilienministerium vor.
Marianne Skrzypinski lebt im betreuten Wohnen für Menschen mit Behinderung
in Neukölln und gehört zu den Gründungsmitgliedern. Sie fiebert den
Chorproben und besonders den Auftritten entgegen. „Ich freue mich, wenn die
Leute jubeln und klatschen“, sagt die 59-Jährige. Und wenn nicht, helfe die
Sängerin da auch nach, wie Chorleiter Kuntze bestätigt.
Behinderte Sänger kommen vor allem über die Lebenshilfe zum Chor.
Nichtbehinderte Sänger zu finden sei anfangs schwergefallen, berichtet
Kuntze. Zu groß seien die Berührungsängste und die Hemmschwelle. Die
Reaktion auf Flyer war verhalten. Zuletzt lief es besser: Der Chor musste
sogar aus dem ursprünglichen Proberaum in den Räumen der Lebenshilfe in das
größere Café Fincan umziehen.
Grund für den erhöhten Zulauf sei die Zusammenarbeit mit Kuntzes zweitem
Chor, dem des H&M Starting House, eines Begegnungshauses, in dem der
Modekonzern Veranstaltungen organisiert und Kunden das Unternehmen
kennenlernen können. Im September 2014 sangen beide Gruppen gemeinsam in
den Hackeschen Höfen. Danach seien direkt fünf neue Mitglieder zu den
Proben erschienen.
Auch an diesem Freitagnachmittag hat sich ein neues Mitglied eingefunden.
„Endlich wieder ein Mann“, sagt der Chorleiter erfreut. Tatsächlich sind
die Herren in der Unterzahl, können stimmlich aber ganz gut mit den Damen
mithalten. Eine Tür führt vom Tresen in den Proberaum. Der helle
Dielenboden wurde frisch abgeschliffen, es riecht nach Holz. An weißen
Wänden hängen bunte Bilder, durch die Fensterfront dringt wenig Licht
hinein. Die Stühle sind im Halbkreis aufgestellt, davor stehen die Sänger.
Die Musik wird vom Band gespielt, der Chor intoniert die ersten Zeilen des
Liedes. Während die Sänger still auf ihren Plätzen stehen – nur einige
wippen mit dem Kopf –, tanzt der Chorleiter im Halbkreis umher, geht auf
die Einzelnen zu, zeigt mit seinen Händen den Einsatz und singt mit ihnen
gemeinsam. „An diesem Chor hängt mein Herz“, sagt er später lächelnd. De…
die Gruppe sei unberechenbar und offen für neue Interpretationen der
Lieder.
## Ziel: ein schöner Klang
Der Chor verzichtet fast ganz auf Mehrstimmigkeit. „Wir haben nur ein
zweistimmiges Lied, weil das sehr viel Konzentration fordert“, sagt Kuntze.
Stattdessen arbeitet er mit punktuellen Verzierungen, wie Veränderungen der
Lautstärke und Geschwindigkeit. Das Programm solle am Ende qualitativ
hochwertig sein, so der Chorleiter. „Ich will nicht, dass die Leute uns
sehen und denken, dass es schön ist, dass die Behinderten mal singen. Ich
will, dass ein schöner Klang entsteht.“
Der Chor soll sich in den nächsten Monaten noch weiter vergrößern, bis zu
15 weitere Sänger und Sängerinnen könne man aufnehmen. Die Proben seien für
jeden offen, der gerne singen möchte und keine Berührungsängste habe.
Hagen Funke gehört seit einem halben Jahr zu den Nogat Singers. „Ein
Freitag ohne Chorprobe ist kein schöner Tag“, sagt der 48-Jährige. „Wir
sind einfach eine tolle Truppe“, findet er und macht keinen Unterschied
zwischen behinderten und nichtbehinderten Sängern. Er sei auch nie auf die
Idee gekommen, in einem „normalen“ Chor zu singen.
Offene Probe im Café Fincan, Altenbraker Straße 26, freitags von 15 bis 17
Uhr
20 Aug 2015
## AUTOREN
Franziska Maria Schade
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.