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# taz.de -- IM VEREIN Der junge Syrer Magid hat beim Hamburger TSV Wandsetal ei…
Bild: Auch zwischen den Wohncontainern an der Hamburger Litzowstraße ist Magid…
von Kristof Botka (Text)und Mauricio Bustamante (Fotos)
Wenn Magid an den Ball kommt, steht für einen kurzen Moment alles still.
Die Leute um ihn herum verharren, richten ihre Augen auf ihn und sehen zu,
wie er mit dem Ball jongliert. Er spielt ihn vom Fuß auf den Kopf, lässt
ihn von einer Schulter zur anderen über den Rücken wandern und fängt ihn
mit dem Fuß wieder auf. Wie ein Tänzer wirbelt Magid mit dem Ball umher.
Doch der graue Betonboden im Hof hat wenig von einem Tanzparkett und die
dunkelgelben Container um ihn herum sind auch kein Ballsaal. Seit
anderthalb Jahren sind sie Magids Zuhause.
Hier, in der Litzowstraße im Hamburger Stadtteil Wandsbek, versucht er, in
sein neues Leben zu starten. In zwei kleinen Zimmern mit jeweils zwei
Betten wohnt er mit seinem Bruder und seinen Eltern. Magid Affo ist
sechzehn Jahre alt und kurdischer Jeside aus Syrien. Er trägt eine Basecap,
ein Shirt mit dem Rapper 50 Cent darauf und verwaschene, enge Jeans. Seine
dunkelbraunen Augen lächeln oft. Er ist ständig in Bewegung, sprüht nur so
von Energie. Seine Lieblingsfußballer? Christiano Ronaldo und Arjen Robben.
Fußballer, die von ihrer unbändigen Dynamik leben.
Wann er das erste Mal gegen einen Ball getreten hat, weiß Magid nicht mehr.
Sicher ist nur, dass es in Qamischli war, einer nordsyrischen Stadt an der
Grenze zur Türkei. Unweit der traurigen Schauplätze, an denen die türkische
Armee heute gleichzeitig gegen den IS und die Kurden kämpft, ist er
aufgewachsen.
Mit acht Jahren, erinnert sich Magid, hat er das erste Mal in einer
richtigen Mannschaft gespielt. „Brate“ hieß sein Team. Als Magid den Namen
ausspricht, strahlt er. Dann wird er still und blickt abwesend in die Ecke.
Seine Mannschaft von damals sind heute nur noch Kontakte bei Whats-App,
sein Smartphone die einzige Verbindung in die Vergangenheit. Auf der
Rückseite ist die rot-weiß-grüne Flagge Kurdistans.
Sein Vater Madani Affo war Taxifahrer: „Qamishli war eine tolle Stadt und
ich hatte eine gute Arbeit, sagt er. „Jetzt ist es dort furchtbar. Überall
ist Krieg.“ „Irgendwann habe ich meinen Job verloren, weil ich Kurde bin.
Die Versorgung war schlecht, wir hatten nicht mal mehr Strom. Da mussten
wir gehen“, sagt Madani. Über die Türkei kamen die Affos auf ein kleines
Schiff, das sie mit 17 anderen Flüchtlingen nach Sizilien brachte. Fünf
Tage auf dem Meer, kaum etwas zu trinken, verzweifelte Familien und Babys,
die ständig schrien. Von Sizilien ging es über Rom und Mailand mit dem Zug
nach Hamburg. Einen Monat dauerte die Flucht.
Anderthalb Jahre später, Ende Juni 2015, spricht Magid schon recht gut
deutsch und besucht die Förderklasse 7/8 der Stadtteilschule in Wandsbek.
Er hat Freunde gefunden und vor drei Monaten endlich auch einen
Fußballverein. Oder besser gesagt: Der Verein hat ihn gefunden. Mansour,
der Trainer der Integrationsmannschaft des benachbarten TSV Wandsetal,
hatte einen Tipp bekommen und war daraufhin in die Litzowstraße gefahren,
um Magid zum Training einzuladen.
Mansour Ghalami, 62, dunkler Trainingsanzug, ist selbst erst vor zwei
Jahren aus dem Iran geflohen. In den Siebzigerjahren war er mal Torhüter
der iranischen Fußball-Nationalmannschaft. Später arbeitete er dreißig
Jahre lang bei einem Ölkonzern. Weil er mit seiner Familie vor ein paar
Jahren zum christlichen Glauben übergetreten war, kam sein Sohn ins
Gefängnis. Ihm und seiner Frau blieb nur die Flucht. Jetzt hat er beim TSV
Wandsetal eine neue Heimat gefunden.
Das Vereinsheim ist ein in die Jahre gekommener Flachbau, davor ein
klappriger Zeltpavillon mit Bierbänken und bester Sicht auf den Sportplatz,
im Hintergrund Industrieschornsteine. Es ist Mittwochabend, 18.30 Uhr:
Trainingszeit. Doch es ist keine Mannschaft in Sicht. Mansour ist da, Magid
und Gerd Seraphin. Sonst niemand.
Gerd Seraphin ist der Integrationsbeauftragte des Vereins, ein Rentner mit
einem klaren Ziel: die neuen Jugendlichen einzugliedern. Jetzt ist er umso
enttäuschter: „Manchmal verstehe ich das einfach nicht. Da kann man noch so
viel telefonieren und am Ende steht niemand auf dem Platz.“ Wahrscheinlich,
meint er, liege das am Fastenmonat Ramadan. Viele der afghanischen Jungs
könnten da nicht. Außerdem spielt normalerweise noch eine Gruppe aus
Eritrea mit: „Aber wenn es ein bisschen regnet, kommen die nicht“, sagt
Seraphin zerknirscht. Das Training fällt aus, Magid schaut enttäuscht in
die Pfützen auf dem Ascheplatz. Dann fährt ihn Seraphin nach Hause.
Die Integration von Flüchtlingen ist kein Selbstläufer. Man kann Angebote
machen, einladen. Doch erwarten, dass diese immer angenommen werden, kann
man nicht. Auch Flüchtlinge suchen sich selbst aus, wie sie ihre Zeit
gestalten wollen „Es ist nicht immer leicht, Menschen aus so vielen
verschiedenen Kulturen unter einen Hut zu bekommen“, sagt Seraphin. Er muss
es wissen. Um die Jugendlichen in der Umgebung bemüht er sich seit dem
Adventssingen 2013. Damals hatten sie im Stadion des TSV Wandsetal
Lebensmittelspenden für die gerade neu eröffnete Unterkunft in der
Litzowstraße gesammelt. Daraus wurde eine langfristige Kooperation. Außer
drei Inte​grationsmannschaften gibt es beim TSV Wandsetal auch eine
Schwimmgruppe für muslimische Frauen.
„Das Ziel ist, die Jungs am Ende im normalen Spielbetrieb unterzubringen“,
sagt Seraphin. Doch so einfach sei es nicht, Spielerpässe für Flüchtlinge
zu organisieren und das regelmäßige Training zu gewährleisten. Für sein
Engagement wurde der Verein bereits ausgezeichnet. Im April war die
Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, zu Gast. Sie
stellte dort die Initiative des DFB „1:0 für ein Willkommen“ vor, in die
der Verband 600.000 Euro investiert und von der auch Wandsetal profitiert.
Zum Anstoß gab es einen Scheck über 500 Euro.
Vom Zauber des Anstoßes ist Anfang August jedoch nur noch wenig zu spüren.
Kommunikationsprobleme, schlechtes Wetter und Schulferien: Seit Wochen hat
kein Training mehr stattgefunden. Seraphin hofft, dass er seine Truppe im
Herbst wieder zusammenbekommt.
Magid wird dann wohl nicht mehr dabei sein. Weil sie keine Wohnung in
Hamburg fanden, ziehen die Affos nach Detmold. Magids Tante wohnt dort
bereits mit ihrer Familie. In Detmold lebten viele Jesiden, meint Madani
Affo. Dort will er auch endlich den deutschen Führerschein machen und
wieder als Taxifahrer arbeiten.
Magid ist nicht glücklich über den erneuten Aufbruch. Zwischen gepackten
Kartons sitzt er auf dem Sofa und denkt an seine Zukunft. Er wird in
Detmold weiter zur Schule gehen, irgendwann einen Abschluss machen. Einen
Beruf hat er noch nicht vor Augen: „Keine Ahnung, was ich mal werde“, meint
er. Sicher ist nur, dass Magid weiter Fußball spielt. Mit seinem Cousin
will er in einem Team spielen. Der Fußball ist eine der wenigen Konstanten
in Magids Leben: „Ohne Fußball kann man gar nicht leben“, sagt er. Nicht in
Qamishli, nicht in Hamburg und auch nicht in Detmold. Und wenn Magid dort
das erste Mal an den Ball kommt, wird man wohl wieder innehalten, sehen wie
er den Ball vom Fuß auf den Kopf spielt, ihn von einer Schulter zur anderen
über den Rücken rollen lässt und mit dem Fuß wieder auffängt.
22 Aug 2015
## AUTOREN
Kristof Botka
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